Montag, 6. Dezember 2004

Dumm gelaufen: PISA, Teil 2

So kann man sich täuschen: Im Grunde war ich der Meinung, bereits im September alles zu dieser unsäglichen PISA-Studie gesagt zu haben, was dazu zu sagen ist. Jedoch: Weder in Medien noch Politik kehren Ruhe und Besinnung ein. Noch nicht einmal so kurz vor Weihnachten.
Die Deutschen sind also immernoch dumm. Vergleichsweise. Im Vergleich zum Rest Europas. Heißt es. Dabei ist mir heute so aufgefallen, dass mich und meine Frau und meine Generation das Ganze überhaupt nicht betrifft! Nicht wir sind mit Dummheit geschlagen, sondern nur unsere Jugend. Genauer: Die 15-jährigen. Denn PISA "misst" nur die Bildung von 15-jährigen Schülern. Ausschließlich. Also: Was soll´s? Nach uns die Sintflut. Wir haben ein reines Gewissen. Wir haben schließlich immer schön fleißig gelernt und unsere Hausaufgaben gemacht. Wir. Sie. Und ich. Unsere Politiker. Und natürlich die Verantwortlichen der OECD, die diese Studie alle drei Jahre durchführt. Oder doch nicht?
Dabei stellt sich mir die Frage: Ist unsere Jugend nun tatsächlich wirklich dümmer als wir früher? Oder als unsere Eltern und Großeltern? Oder als Schiller, Goethe, Luther und Beethoven? Anders gefragt: Was wäre wohl dabei herauskommen, wenn PISA nicht erst im Jahre 2000 erstmals durchgeführt worden wäre? Wenn es schon 1990 oder 1950 oder sogar zu Goethes Zeiten schon eine solche Studie gegeben hätte? Am Ende hätte sich herausgestellt, dass schon Goethe strohdumm war und seine Werke völlig zu Unrecht bis zum heutigen Tag hoch angesehen sind. War vielleicht schon der Sitzenbleiber Albert Einstein ein erster Hinweis auf den Niedergang des Bildungssystems?
Nun gut. Wollen wir nicht weiter herumspekulieren. Bleiben wir im Hier und Jetzt und im Jahr 2004: Was bedeutet eigentlich die Abkürzung "PISA"? Meine persönliche grobe Schätzung lautet, dass mindestens 50 Prozent der Menschen nicht wissen, dass "PISA" die Abkürzung für "Programme for International Student Assessment" ist. Da fängt es schon einmal an: Man weiß nicht, wovon man redet, aber peinlich betroffen ist man trotzdem. Dem Ergebnis der erneuten PISA-Studie zufolge hat wieder ein- mal Finnland "abgeräumt".
Genauer: Die 15-jährigen Finnen sind einsame Spitze im europäischen Bildungsniveau. In etwa 10 bis 20 Jahren wird Finnland uns also als "Export-Weltmeister" ablösen. Und jeder zweite Nobelpreisträger wird demnächst ein Finne sein. Oder vielleicht doch nicht? Im Rahmen der Berichterstattung im deutschen Fernsehen über dieses "angesagte" Thema, hat ein Sender ein Reporterteam auf die Straßen geschickt, um "die Deutschen" einmal einem "PISA-Kurz-Test" zu unterziehen. Nach dem Motto "Wie dumm ist Deutschland wirklich?" hat man den Menschen auf der Straße unter anderem die Frage gestellt: "Wieviele Bundesländer hat Deutschland?".
Doch leider: Das mag zwar zur Allgemeinbildung gehören - hat aber leider nicht das Geringste mit PISA zu tun: Die OECD fahndet in ihren PISA-Studien nach dem Wissen und den Fähigkeiten von 15-jährigen Schülern in den Bereichen Leseverständnis, Mathematik und Naturwissenschaften. Und das ist auch schon "alles": Einige andere Bereiche, wie etwa Inspiration, Kreativität, Optimismus, Sozial-Kompetenz, Empathie, Einfühlungsvermögen, Geschicklichkeit und Team-Fähigkeit (etc), spielen nun einmal keine Rolle, wenn es um den Begriff "Bildung" geht. Diese so genannten "weichen" Werte sind eben völlig unwichtig, wenn es darum geht, ob ein Mensch nun "gebildet" oder "ungebildet" ist, und werden deshalb in den PISA-Studien außen vor gelassen und ignoriert. Oder?
Nein: Diese "weichen" Aspekte sind eben keineswegs unwichtig und irrelevant, sondern im Gegentum. Diese Werte spielen nur deshalb in den PISA-Studien keine Rolle, weil sie (schlicht und einfach) nicht messbar sind. Apropos "messbare Werte": Mich persönlich würde brennend interessieren, wie die Damen und Herren der OECD das "Leseverständnis" messen, analysieren und bewerten(?). Gut: In den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaften ist eine Bewertung relativ einfach. Es gibt Formeln und es gibt Naturgesetze, die man entweder richtig oder falsch anwendet. Doch: Wer bitte entscheidet auf welcher Grundlage, ob ein 15-jähriger nun ein gutes oder schlechtes "Leseverständnis" hat? Leider darf man über diesen Hintergrund nichts erfahren. Es scheint uns nichts anzugehen. Hauptsache, wir wissen, dass unsere Jugend verdummt.