Mittwoch, 13. August 2008

digitale Ver(w)irrung.

Eine Dokumentation gestern Abend im Ersten Fernsehprogramm: "Spielen, spielen, spielen... wenn der Computer süchtig macht". Auszug aus der offiziellen Inhaltsbeschreibung: "Über ein Jahr lang hat das Autorenteam Marc-Oliver und seine Familie begleitet - ein Jahr im Leben eines Spielsüchtigen", eine Dokumentation über "die Auswirkungen der Computerspielsucht sowie die Hilflosigkeit der Eltern", die sich "diesem neuen Krankheitsbild auch aus Sicht von Neurologen und Psychiatern" nähert. Dem ausgewählten Themenaspekt (nämlich eben dem Suchtaspekt) entsprechend ging diese Dokumentation am eigentlichen Kern der Sache vorbei.
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Ähnliches gilt für die vom Autorenteam ausgewählten betroffenen Eltern, die über ihre ganze Hiflosigkeit berichten durften. Denn: Wenn man schon von der Annahme ausgeht, dass Computerspiele süchtig machen, dann ist es eine ziemlich naive Reaktion von Eltern, ihren Kindern (u.a. mit dem Entzug von Taschengeld) zu drohen. Und noch naiver, sich darüber zu wundern, wenn die von den eigenen Eltern bedrohten Kinder ihre Sachen packen und auf Nimmerwiedersehen irgendwohin verschwinden, wo sie nicht bedroht, sondern verstanden werden. Eltern, die ihre computerspielsüchtigen Kinder verstehen oder das zumindest versuchen, tauchten in der Dokumentation dagegen nicht auf. Das so dargestellte Bild der Folgen war entsprechend verzerrt. Vielleicht sollte das Autorenteam gleich eine weitere Dokumentation über die Konfliktfähigkeit von Eltern gegenüber ihren Kindern drehen.
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Denn: zu verstehen gibt bei dieser Thematik bedeutend mehr, als von einer Sucht und einem Krankheitsbild zu sprechen, bei dem unterschwellig mitschwingt, man müsse in erster Linie mit medizinischen, klinischen, pharmazeutischen, (psycho-)therapeutischen Maßnahmen eingreifen, um eine "Fehlfunktion im Kopf" des Betroffenen zu beheben.
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Was es tatsächlich und noch viel mehr zu verstehen gibt, hat zum Beispiel damit zu tun, wenn gemeint wird, die Betroffenen würden sich "lieber in der virtuellen als in der realen Welt" aufhalten. Man könnte und sollte langsam verstehen, dass das Virtuelle ein Teil der realen Welt ist und kein psychologischer Effekt bewusstsein-erweiternden Drogenkonsums. Das eigentliche (Verständnis-)Problem resultiert genau daraus: zwischen "virtueller" und "realer" Welt fein säuberlich zu trennen.
So meinte kürzlich der auf das Internet spezialisierte Medienphilosoph David Weinberger: "Der Wandel (Anm.: durch das Internet) ist nicht nur für unsere Institutionen fundamental, sondern auch dafür, wie wir über uns selbst nachdenken - und darüber, was unsere Welt eigentlich ist. Eine grundlegende Herausforderung für unsere Vorstellung von Wissen, unsere Vorstellung von Gemeinschaft, vom Menschsein. Es dauert ein bisschen, sich damit auseinanderzusetzen".
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In der Tat: es dauert ein bisschen. Es wäre durchaus sinnvoll, sich diese Zeit für ein paar tiefere Gedanken darüber zu nehmen statt "das Virtuelle" kurzerhand in irgendwelche Sucht- und Krankheits-Kategorien zu (ver-)stecken. Im Falle der Fernsehdokumentation hat offenbar ein ganzes Jahr nicht ausgereicht, das die Autoren damit verbrachten, Betroffene und deren Eltern zu begleiten.
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