Montag, 15. Februar 2010

noch viel Platz nach oben.

Guido Westerwelle hat mit seinem Ablenkungsmanöver der "HartzIV"-Thematik am Wochenende noch einen drauf gesetzt. Das ist keine große Kunst, denn nach oben ist eben immer viel, viel Platz. Außerdem erspart es einem, in die Tiefe gehen zu müssen.
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Wie war das also diesmal wieder im westerwellschen Originalton: "Wir dürfen nicht zulassen, dass der, der arbeitet, immer mehr der Dumme ist, weil ihm immer weniger bleibt". Das stimmt natürlich. Dem arbeitenden Menschen bleibt immer weniger, weil u.a. die Kommunen flächendeckend zahlungsunfähig sind und alle möglichen Gebühren anheben müssen, vom Kindergartenplatz über Schwimmbad und Stadtbibliothek bis zu Müllgebühren und Grundsteuer. Aber das hat Westerwelle offenbar nicht gemeint, denn das hat er nicht angesprochen - ansonsten müsste er dazu am Ende noch Stellung nehmen und erklären, wie er die Finanzlage der Kommunen zu ändern gedenkt.
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Gemeint hat Westerwelle vielmehr nun zum wiederholten Mal "die Sozialausgaben" des Staates: "45 Prozent des Bundeshaushaltes würden für Soziales ausgegeben, zusammen mit Zinsen für Schulden sogar 60 Prozent". Und das müsse ein Ende haben, weil - so Westerwelle - ansonsten "bald der Steuerzahler zum Sozialfall wird".
Sieht man sich "das Soziale" und "die Sozialausgaben" einmal etwas näher an - also: die Menschen, die auf finanzielle Unterstützung angewiesen und deshalb nach der Definition des Vize-Bundeskanzlers ein "Sozialfall" sind, dann fallen darunter u.a. auch knapp 1 Million Studenten, die BAFöG beziehen, rund 1,5 Millionen Pensionäre, rund 1,8 Millionen Menschen, die Leistungen aus einer Unfallversicherung beziehen, weil sie aufgrund eines schweren Unfalls erwerbsunfähig sind, rund 1,8 Millionen Pflegebedürftige und rund 20 Millionen Rentner.
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Und laut Westerwelle ist der Steuerzahler "der Dumme", der alle diese "Sozialfälle" mit seinen Steuerzahlungen mitfinanzieren muss.
Dazu gehören übrigens auch Kosten für "Kinder- und Jugendhilfe", u.a. für Kinder, die zum Opfer von elterlicher Vernachlässigung wurden, von Misshandlung oder sexuellem Missbrauch wurden. Kosten für Fälle, die allein von 2007 bis 2008, also innerhalb eines(!) Jahres, um 23% (!) gestiegen sind, mitsamt der dazugehörigen Steigerung der Folgekosten um 118 Millionen Euro, auf insgesamt 24,6 Milliarden Euro - wohlgemerkt: allein für solche... "Sozialfälle".
Jedoch: auch das hat Westerwelle natürlich nicht gemeint. Am Ende müsste er auch dazu noch Stellung nehmen und auch hierzu erklären, wie er das zu ändern gedenkt.
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Nein, Westerwelle erklärt(e) schließlich: "Wir wollen den Bedürftigen helfen, aber nicht den Findigen". Neben den Fragen, welche "Sozialausgaben" und welche "Sozialfälle" er eigentlich genau meint, stellt sich hier gleich die nächste: was ist "bedürftig" und was ist "findig"? Ist ein jugendlicher Ausreißer, der das Leben auf der Straße dem Leben im Elternhaus vorzieht, nun bedürftig oder nur findig? Jedoch: siehe oben, das hat Westerwelle natürlich nicht gemeint, denn Kinder haben eine Lobby - selbst wenn die Beantwortung dieser Frage womöglich einige Millionen Euro für "Kinder- und Jugendhilfe" einsparen und den arbeitenden Steuerzahler - wenn auch nicht moralisch, doch zumindest finanziell - "entlasten" würde.
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Übermorgen, am 17. Februar, wird die "Arbeitsgruppe Finanzen" der "Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa" (OECD) in Abu Dhabi einen Bericht veröffentlichen, wonach Deutschland ein "großes Geldwäsche-Land" sei, das "zu wenig gegen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug vorgeht". Bei insgesamt 49 Prüfkriterien fällt Deutschland in 22 Punkten durch, 17-mal mit der Beurteilung "teilweise ungenügend", 5-mal mit "ungenügend".
Doch auch das... hat Westerwelle nicht gemeint, selbst wenn dem deutschen Staat hierdurch über 100 Milliarden (!) Euro jährlich verloren gehen. Denn es geht ja gerade darum, dass "der, der arbeitet, immer mehr der Dumme ist, weil ihm immer weniger bleibt" - und so wird manch einer von diesen Dummen eben geradezu gezwungen und genötigt, das Bisschen, das ihm bleibt, sehr findig auf einem Konto in der Schweiz in Sicherheit zu bringen - in Sicherheit vor "HartzIV"-Empfängern, vor Rentnern, Pensionären, Pflegebedürftigen, Studenten und Kindern. Zum Beispiel.
Und so wissen wir inzwischen eine ganze Menge von dem, was Westerwelle nicht meint. Womöglich erfahren wir irgendwann etwas von dem, was er denn eigentlich meint.
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