Freitag, 23. Dezember 2011

wechselnd umgedacht.


In Vorbesinnung auf Weihnachten und im Angesicht des unvermeidlichen Jahreswechsels heute einmal etwas weniger Aktuelles. Oder im Gegenteil: etwas von dauerhafter Aktualität. Je nach gewünschter Betrachtungsweise bei freier Wahl des persönlichen Standpunktes. Schließlich hängt genau davon auch ansonsten alles mögliche ab. Auch das, was man unter einem „Umdenken“ versteht.

Kürzlich wurde das offizielle „Wort des Jahres“ gekürt: „Stresstest“. Ich selbst dagegen halte ein anderes für geeigneter: „Umdenken“. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, jemals öfter auf dieses Wort gestoßen zu sein als in diesem Jahr (was vielleicht auch zwangsläufig beruflich bedingt sein kann).

Noch nicht einmal vor drei Jahren war das der Fall, als ein gewisser Barack Obama mit „Yes, We Can“ und dem Schlagwort „Change“ weltweit die Politik- und Medienszene aufmischte. Heute muss man jedenfalls in Erwägung ziehen, dass dieses „Change“ auf gut Deutsch weniger als epochale „Veränderung“ gemeint war, sondern als vergleichsweise simpler „Wechsel“ von einer US-Regierung zu einer anderen. Womöglich ist es auch so, dass jemand mit tatsächlich visionären Ideen und Absichten von „den Realitäten“ eingeholt und abgewürgt wurde, prompt als er im Chefsessel saß.

Immerhin ermöglicht das eine recht elegante Überleitung zum „Umdenken“, nämlich im offenkundig-scheinbaren Gegensatz zu dem, was man für „realistisch“ und „realisierbar“ hält. Anders gesagt: Nicht alles, was denkbar ist, ist auch realistischerweise realisierbar. Und umgekehrt.
Darauf kam nicht zuletzt auch Kanzlerin Merkel höchstpersönlich im März dieses Jahres zu sprechen, wonach uns die Atomkatastrophe in Fukushima zumindest lehrt, dass „etwas, was nach allen wissenschaftlichen Maßstäben für unmöglich gehalten wurde, doch möglich werden kann“, so die studierte Physikerin.

Also: Umdenken! Wir müssen umdenken! Doch „um“ was genau? Um die Wissenschaft und all ihre Maßstäbe herum, vielleicht in Richtung dessen, was „trotz dem“ möglich ist? Oder denken wir uns lieber um die Verantwortung herum? Oder um den Verstand? Um Kopf und Kragen? Oder: in dieser Reihenfolge, aber irgendwie anders als bisher, effektiver und effizienter, und dann wird alles besser?

Man könnte auch fragen: Was interessiert uns eigentlich …wirklich? Gibt es ein reales Interesse an etwas wirklich Wichtigem? Oder interessiert uns tatsächlich nur noch, ob wir in der City einen Parkplatz finden, dass wir an der Supermarktkasse nicht lange herumstehen müssen und was heute Abend im Fernsehen läuft?
Ist da irgendwo irgendjemand, der eine Idee hat, wohin es eigentlich gehen soll? Für die Zukunft? Zumindest als grobe Richtungsangabe(?) – sei es auch nur als realistischerweise kaum realisierbare Vorstellung, entgegen einigen geltenden Maßstäben?

Oder wird wirklich gemeint, es wäre eine grandiose Lösung, Automobile nicht mehr mit Benzin, sondern elektrisch fahren zu lassen? Also jeder weiterhin mit seinem eigenen, farbig lackierten Blechhaufen unterwegs, dieselbe Gesundheitsbelastung, Platz-, Geld- und Ressourcenverschwendung, nur eben „umweltfreundlicher“?
Wird wirklich gemeint, eine andere revolutionäre Lösung sei die Energiegewinnung durch Sonne, Wind und Wasser? Ohne dass irgendjemand in Frage stellt, warum und wofür genau eigentlich dermaßen viel Energie gebraucht wird(?), etwa für nächtliche Leuchtreklame, für den Rund-um-die-Uhr-Betrieb von Abfüllanlagen in Brauereien, von Gummibärchen- und Kartoffelchipsherstellung, für den Dauerbetrieb von Schlachthöfen und anderen Fließbandproduktionen, für die endlos langen Tiefkühltheken in den Supermärkten? Oder wofür genau braucht unsere Gesellschaft eine solch enorme Energiemenge?
Wird wirklich gemeint, eine andere Lösung sei es, Politiker und Manager gnadenlos an den Pranger zu stellen, die sich unmoralisch verhalten(?) – während es Otto Normalbürger weiterhin als Kavaliersdelikt betrachten darf, „Tempo-30-Zonen“ zu ignorieren und auf „Eltern-Kind“-Parkplätzen falsch zu parken, weil er es nunmal gerade eilig hat?
Und wird wirklich gemeint, die Welt ließe sich verbessern, indem wir eine „Bildungsoffensive“ nach der anderen starten(?) – während wir gleichzeitig von Politik und Werbung mit Worthülsen und Phrasen überschüttet und mit Fernsehshows zugemüllt werden, die an Niveaulosigkeit und Dümmlichkeit kaum noch zu überbieten sind?
Nur beispielsweise.

Meint man wirklich, das Ganze ist insgesamt grundsätzlich voll in Ordnung, es müsse nur hier und dort noch ein bisschen herumgefeilt werden? Ist das mit „Umdenken“ gemeint? Weit weniger belastend, als sich darüber Gedanken zu machen, ist es dagegen natürlich, einfach beim „Stresstest“ als „Wort des Jahres“ zu bleiben. Denn darum kümmert sich schon irgendwer.

Ich wünsche besinnliche Feiertage und einen gelungenen Rutsch.
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Samstag, 10. Dezember 2011

bildungsfern besprochen.



Vor gut einer Woche konnte man wieder einmal ein kleines Kunststück erleben: Wie man sehr ausführlich über Bildung spricht, ohne über Bildung zu sprechen. Das Ganze war öffentlich (sogar: öffentlich-rechtlich) im Fernsehen zu bestaunen, als in „Günter Jauch“ einem Millionenpublikum ziemlich wirre Ansichten untergejubelt wurden.

In der relativ neuen Sonntagstalkshow unter Leitung des gleichnamigen Moderators hieß es „Generation doof - warum gibt es so viele Bildungsverlierer?“. Wobei gleich dieser Titel immerhin darüber informiert, dass es (ein paar) Sieger und (sehr viele) Verlierer gibt, und „Bildung“ damit wohl keineswegs eine Angelegenheit der ganz persönlichen Entwicklung und Reife eines Menschen ist, sondern einen zwischenmenschlichen Wettkampf darstellt, jeder gegen jeden, von öffentlichem Interesse.

Das alleine schon provoziert die Frage, wie gebildet es überhaupt ist, von einer solchen Grundannahme auszugehen(?). Immerhin die Grundschullehrerin Sabine Czerny deutete diese leichte Fragwürdigkeit an: „Es geht nicht darum, besser zu sein, sondern sehr gut zu sein“. Diese Feststellung wurde allerdings im Weiteren glänzend ignoriert. Vielleicht deshalb, weil keiner der Anwesenden sie verstanden hat.

Apropos Anwesende: Als Talkgast eingeladen war u.a. der Unternehmer Harald Christ, wohl wegen seines vermeintlich beispielhaften Vorbildcharakters, weil er sich „hochgearbeitet“ hat, wie es hieß, vom unterprivilegierten Arbeiterkind zum Multimillionär, wie es hieß, kurz: eine „Bilderbuchkarriere“, wie es hieß.
Auch hier könnte man sich fragen, wie gebildet es ist, den Sinn von Bildung in der Anhäufung von Geldvermögen zu sehen, das dazu noch in diesem speziellen Fall, in dem Herr Christ seine Millionen am Finanzmarkt zusammenspekulierte, und das so in dieser Weise einem Millionenpublikum als erstrebenswert unterzujubeln.

Ein anderer Anwesender, Michael Rudolph, der „härteste Schulleiter Berlins“, durfte sich öffentlich-rechtlich damit brüsten, Kinder, die verspätet zum Schulbeginn erscheinen oder im Unterricht stören, strafweise zu gemeinnütziger Arbeit zu verdonnern, wie etwa Müll aufzuklauben oder Laub zusammenzufegen.
Wer Kindern jedoch lehrt, dass gemeinnützige Arbeit eine Strafe ist, und das auch noch als Teil einer „umfassenden Bildung“ betrachtet, der gehört damit in ein Museum, doch weder in einen Schulleitersessel noch in eine solche Talkshow.

Zwei weibliche Gäste wiederum, eine 14-jährige, die Goethes „Faust“ auswendig beherrscht, sowie eine Seniorin, die im Alter von 71 Jahren ihr Abitur gemacht hat und nun gerade ein Studium beginnt, rundeten das Desaster auf gelungene Weise ab.
Natürlich: beide leisten sicher etwas außergewöhnliches – was im Grunde tragisch genug ist. Die andere Frage, die jedoch ebenfalls ungeklärt blieb, ist: was hat das beides eigentlich mit Bildung zu tun? Oder anders gefragt: zählen die beiden damit nun etwa zu den Bildungssiegerinnen?

Und über dem allem schwebte das Geheimnis, worüber eigentlich gesprochen werden sollte. Aber: warum auch? Über Bildung eben. Bildung ist wichtig, das weiß schließlich jeder. Wer ungebildet ist, hat es schwer im Leben und gehört laut Talkshowtitel zur „Generation doof“. Also: Bildung! Bildung! Und nochmals: Bildung! Alle brauchen Bildung! Gute Bildung! Bessere Bildung! Was immer damit auch gemeint ist.
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Freitag, 18. November 2011

energisch betrieben.



Was war denn das nun wieder. Da zappte ich irgendwann zu später Stunde durch das TV-Programm und blieb auf irgendeinem Kanal in irgendeiner Dokumentation hängen, in der es um die grandiose „Energiewende“ ging, die die Menschheit jetzt und in naher Zukunft vollführt. Ganz nach dem Motto „Jetzt wird endlich alles gut“. Wie so oft jedoch blieben in der Euphorie ein paar kleine Fragen nicht nur unbeantwortet; sie wurden gar nicht erst gestellt.

Da ging es zunächst erst einmal um das so genannte „Wüstenstrom-Projekt“ namens „Desertec“. In den nächsten 40 Jahren sollen rund 400 Milliarden Euro investiert werden, um im sonnig-heißen Wüstensand von Nordafrika sehr viele und sehr große Solarkraftwerke zu bauen. Der so gewonnene Strom soll per Fernleitung nach Europa fließen und mindestens 15 Prozent des europäischen Strombedarfs decken. Baubeginn bereits nächstes Jahr, 2012.

„Ein großer Schritt im Kampf gegen den Klimawandel“, wie es hieß. Der Planet wird wohl letztlich gerettet durch u.a. RWE, e.On, Siemens und die Deutsche Bank, die das Projekt finanzieren. Vorausgesetzt natürlich, die weltweiten „Occupy“-Aktivisten bleiben erfolglos, weil das Ganze ansonsten schlecht finanzierbar sein dürfte. Welch ein Dilemma.
Außerdem etwas dumm dabei: ausgerechnet Nordafrika, ausgerechnet dort, wo gerade mit dem „Arabischen Frühling“ eine Revolution nach der anderen stattgefunden hat, in Tunesien, Ägypten, Libyen und Marokko steht irgendwie noch auf der Macht-Kippe. Und ausgerechnet von diesen ganzen potenziellen Pulverfässern machen wir uns abhängig – weil dort so schön die Sonne scheint. Diplomaten nennen das eine „geostrategische Herausforderung“. Na, das kann man wohl sagen.

So ähnlich, wie die angeblich ernsthaft vorangetriebene Wende zur „Elektromobilität“: Weg von den Autos alter Generation mit Verbrennungsmotoren, weg von der Abhängigkeit vom Öl, weg vom klimafeindlichen CO2-Ausstoß, hin zu Elektromotoren, innovativ und umweltfreundlich; besonders in dem Fall, wenn der benötigte Strom nicht aus Atom-, sondern aus Solarkraftwerken in Nordafrika stammt.

Das hat zumindest schon einmal den Vorteil, dass die USA nicht mehr überall dort einmarschieren und/oder Krieg führen müssen, wo sie ihre Öl-Lieferungen bedroht sehen. Dafür jedoch vielleicht demnächst in Lateinamerika. Im so genannten „Lithium-Dreieck“, wo die weltweit größten Lithium-Vorkommen herumliegen, in Argentinien, Bolivien und Chile. Schließlich ist Lithium unverzichtbar für die Batterien von Elektroautos.
Je stärker die „Energiewende“ zur „Elektromobilität“, je abhängiger von Lithium. Von einer Abhängigkeit in die andere; dasselbe in grün, sozusagen. Nicht nur betrefflich der Rohstoffe. Eben auch politisch. Bolivien etwa, das momenten noch ärmste Land Südamerikas, wird nicht mehr lange arm sein, und Dank des Lithium wie Argentinien und Chile sehr, sehr reich werden, auch: einfluss-reich.

Hier verschieben sich mitsamt Abhängigkeiten also ganze globale Machtverhältnisse, nach Nordafrika und Lateinamerika. Man darf sich einigermaßen sicher sein, dass das von Politik und Konzernen sehr wohl einkalkuliert ist, in der vermeintlichen Gewissheit, das schon irgendwie geregelt zu bekommen. Dem Otto Normalbürger werden die kleinen Nebeneffekte der schönen neuen Welt dagegen nicht mitgeteilt. Es reicht voll und ganz, wenn er sich darüber freut, dass die Klima-Rettungsmaßnahmen angelaufen sind und endlich alles gut werden wird.
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Donnerstag, 17. November 2011

übermäßig informiert.



Huuuuuuh…. „Information“. Ein ganz, ganz sensibles Thema! Information und alles mögliche, was man damit heute in Verbindung bringt: das Internet, Daten und Datenschutz, „Big Brother“, Kontrolle, Überwachungsstaat, undsoweiter. Jedenfalls bekam ich nach einem Vortrag bisher selten einen so zögerlichen Applaus, wie vor ein paar Tagen, als ich über Information referierte – was ich als vollen Erfolg betrachte: das passiert eben, wenn Nachdenklichkeit die Hände lähmt.

Vor drei/vier Wochen wurde der auf vielen Websites anklickbare „Gefällt mir“-Button medial thematisiert und wie das Soziale Netzwerk „Facebook“ auf diese Weise Daten über den Nutzer sammelt. Jedenfalls in dem Fall, dass dieser Nutzer Mitglied bei „Facebook“ und gerade auch dort eingeloggt ist.
Und dann war da noch der Student aus Wien, der von „Facebook“ alle Daten anforderte, die man dort über ihn gespeichert hat – und bekam eine CD zugeschickt, darauf eine PDF-Datei mit über 1.200 Seiten persönlicher Daten.
„Facebook“ als angeprangerte „Datenkrake“ sammelt alle möglichen Informationen über seine Mitglieder, die es nur bekommen kann. Das wirkt allgemein erschreckend und beängstigend und provoziert den üblichen Ruf nach Datenschutz bzw. noch mehr Datenschutz. Denn schließlich: Man stelle sich vor, was „Facebook“ mit den Informationen alles anstellen kann!

Ja. nämlich? Das, was „Facebook“ (wie auch „Google“ & Co.) in erster Linie interessiert, ist der imaginäre Wert der Werbeanzeigen. Man stellt den werbungtreibenden Unternehmen in Aussicht, durch Datensammlung „noch gezielter“ werben zu können, indem die Anzeigen nur den Nutzern präsentiert werden, von denen man anhand der Datenprofile zu wissen glaubt, dass sie am ehesten darauf anspringen. Da muss man wirklich Angst haben! „Immer gezielter“ mit Werbung zugemüllt zu werden… das kommt fast einer Apokalypse gleich.

Wenn man mich fragt, hat das ungefähr die gleiche Bedrohungsqualität, wie das an jeder Supermarktkasse übliche Hinweisschild „Bitte legen Sie alle Waren auf das Band“. Wenn ein Mann, Ende Vierzig, nichts weiter als ein Sixpack Bier, eine Tiefkühlpizza und eine Tüte Kartoffelchips auf das Förderband legt, verrät er damit eventuell mehr über sich, als in seinem „Facebook“-Profil. Und zwar: öffentlich. Jenseits allen Datenschutzes. Und ohne das mit einer „Privatsphäre“-Einstellung verhindern zu können.

Aber natürlich: Der erwartungsgemäße Einwand lautet, dass die Gefahr nicht in vereinzelten Informationen besteht, die über Personen gesammelt werden, sondern in der Masse, wie etwa (siehe oben) satte 1.200 Seiten persönlicher Daten über einen einzigen „Facebook“ -Nutzer.
Dem gegenüber stelle man sich die gewaltige Informationsmenge von 24 Aktenordnern vor! Das ist die Masse an Informationen, die die thüringische Abteilung des Verfassungsschutzes innerhalb von 13 Jahren über die rechtsradikale „Zwickauer Zelle“ gesammelt hat, wie kürzlich bekannt wurde. Und? Was hat diese enorme Informationsmenge gebracht? Offenbar nur wenig bis gar nichts.

Und auf anderen Ebenen?
Wir haben sämtliche Informationen darüber, dass in Indien (übrigens: eine parlamentarische Bundesrepublik, eine Demokratie) noch immer ein ziemlich unmodernes und unsoziales Kastensystem und „Schuldknechtschaft“ herrscht, dass indische Bauern reihenweise in den Selbstmord getrieben werden und Kinderarbeit durchaus üblich ist. Und was machen wir mit diesen Informationen?
Wir haben auch sämtliche Informationen darüber, wie im größten Tagebau der Welt in Chile Kupfer abgebaut wird, das für unsere High-Tech-Elektronik unerlässlich ist. Wir wissen, dass dieser Kupferabbau schwerste Umweltschäden verursacht und die Minenarbeiter bei extremsten Arbeitsbedingungen schwer erkranken. Und wir wissen, dass unser Elektronikschrott nach Ghana verschifft wird, wo Kinder auf den Müllhalden das ganze Zeug in Brand setzen, um die übrig bleibenden Metalle zu verkaufen – und dabei hochgiftige Dämpfe einatmen. Und was machen wir mit diesen Informationen?
Wir haben auch die Information (siehe u.a. mein Blogeintrag unten: „mehrfach verdorben“), dass mitten in Deutschland rund 500.000 Kinder Hunger leiden. Und was machen wir mit dieser Information – außer, dass daraufhin kurz mal über das „Mindesthaltbarkeitsdatum“ diskutiert wurde?
Nur beispielsweise.

Und so müssen wir uns darauf vorbereiten, dass wir irgendwann von unseren Kindern berechtigterweise gefragt werden: „Ihr und Euer Zeitalter der totalen Information. Ihr habt doch alles gewusst. Warum habt Ihr nichts dagegen getan?“. Wahrscheinlich werden wir antworten müssen: „Wir lebten nun einmal in einer Wissensgesellschaft, steckten in Bildungsoffensiven fest und mussten uns um den Datenschutz kümmern“.
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Mittwoch, 19. Oktober 2011

mehrfach verdorben.



Rund 500.000 Kinder leiden an Hunger – in Deutschland! Wer jedoch gemeint hat, dass diese Information, die letzten Sonntag zum „Welternährungstag“ veröffentlicht wurde, eine aufgeregte Diskussion entfachen würde, lag damit falsch. Das, was dagegen vielmehr thematisiert wird, ist das Mindesthaltbarkeitsdatum auf Lebensmittelpackungen. Ein kleines Lehrstück der Kommunikationspolitik: Reden wir nicht über hungernde Kinder mitten in Deutschland, lasst uns über Stempel und Verordnungen diskutieren.

Die ursprüngliche Meldung geht auf Wolfram Hartmann zurück, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), der am „Welternährungstag“ darauf hinwies, dass „etwa 500.000 Kinder in Deutschland regelmäßig nicht ausreichend ernährt werden und immer wieder Hunger leiden“ – während jährlich bis zu 20 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll landen.
Statt sich dem erschreckenden Hungerleiden und der Unterernährung von Kindern mitten in Deutschland zu widmen und etwas (zumindest. irgend etwas) in Bewegung zu setzen (oder zumindest: anzustoßen), um diesen Zustand zu beheben, schwenkt die verantwortliche Politik dazu über, sich eine weitaus weniger pikante Nebensache herauszupicken:

So wäre Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner „für´s Erste schon zufrieden, wenn mehr Verbraucher das Mindesthaltbarkeitsdatum richtig verstehen würden“, denn das sei „lediglich eine Orientierungshilfe“, doch „trotzdem werden viele Lebensmittel, die eigentlich noch essbar wären, nach Überschreiten dieses Datums ohne zu prüfen in den Müll geworfen“. Leider dürfte es am Hungerleiden der betroffenen Kinder nicht besonders viel ändern, wenn die Familien, die genug zu essen haben, das Mindesthaltbarkeitsdatum richtig verstehen. Doch genau darum geht es hier natürlich: Ein thematisches Ablenkungsmanöver, und wie es scheint: gelungen. Bravo, Frau Aigner. So lange Sie das mit Ihrem Gewissen und Amtseid vereinbaren können.

Schuld sind also „die Verbraucher“, weil sie auf das Haltbarkeitsdatum achten und die Lebensmittel „ohne zu prüfen in den Müll werfen“. Was, bitte, sollen „die Verbraucher“ denn prüfen? In einer Zeit, in der Lebensmittel in Forschungslaboren getrimmt werden, praktiziert von einer Berufsgruppe, die „Lebensmittelchemiker“ genannt wird. Was soll „der Verbraucher“ denn wissen über „Stabilisatoren E452 und E340“, über „Trennmittel E341“, über „Emulgatoren E471 und E472e“ und was soll er bitteschön prüfen? Einmal kurz daran riechen? Oder soll er sich ein kleines Heimlabor einrichten?

Da trichtert man den Menschen unablässig ein, dass sie – grundsätzlich – als Laien keine Ahnung haben und das Denken besser den zahllosen Experten überlassen sollen, da werden Bundesämter und Aufsichtsbehörden installiert und Richtwerte, Höchstwerte, Prüf- und Gütesiegel eingeführt, et cetera, et cetera, warum überhaupt… damit „der Verbraucher“ vollauf beruhigt sein kann… und nun wird ihm gesagt, ausgerechnet auf das Mindesthaltbarkeitsdatum soll er bitte weniger achten und sich auf sein eigenes Urteilsvermögen verlassen(?). Aber natürlich.
Gerade in dem achso sensiblen Bereich der Gesundheit und des „Gesundheitsbewusstseins“, das man inzwischen erfolgreich etablieren konnte. Und gerade in einer Kultur, in der uns jede Bananen-Werbung zeigt, wie eine Banane aussehen muss, leuchtend gelb, makellos, ohne den geringsten bräunlichen Fleck.

Schon deshalb dürfte man sich ruhig einmal fragen, was das im Jahr 1981 eingeführte „Mindesthaltbarkeitsdatum“ eigentlich soll(?). Als „verbraucherpolitische Errungenschaft“ wurde es jetzt in dieser Diskussion bezeichnet (in der es übrigens ursprünglich, siehe oben, kurz mal um hungernde Kinder ging) und selbst Otto Normalbürger ist verbreitet der Ansicht, dass es eingeführt wurde, um „den Verbraucher zu schützen“ – wovor auch immer. Man darf allerdings ebenso in Erwägung ziehen, dass die Lebensmittelindustrie dafür gesorgt hat, die gewaltig davon profitiert, hübsch verpackt als „Verbraucherschutz“.

Last but not least darf man auch zwei Ecken weiter denken. Etwa darüber, was eigentlich passiert, wenn die jährlich 20 Millionen Tonnen Lebensmittelmüll tatsächlich extrem reduziert werden würden, wenn Entsorgungsbetriebe weniger zu entsorgen haben, weniger Umsatz machen und Arbeitnehmer entlassen, wenn Müllverbrennungsanlagen nicht ausgelastet sind, dadurch Mehrkosten entstehen, die letztlich wieder „der Verbraucher“ zahlt.
Oder darüber, was passiert, wenn „die Verbraucher“ dann eben nicht mehr so schnell so viele Lebensmittel durch neue ersetzen müssen, wenn Supermärkte weniger verkaufen, wenn die Produzenten ihre Überproduktion nicht mehr loswerden, wenn nur noch halb so viele Lebensmittel von A nach B transportiert werden müssen, nur noch halb so viele Lkw-Fahrer gebraucht und nur noch halb so viele Container verladen werden, etc, etc.

Doch wer will sich diese Gedanken um größere Zusammenhänge schon freiwillig machen? Und schon gar nicht um das, worum es eigentlich anfangs einmal ging: um 500.000 hungernde Kinder. Mitten in Deutschland.
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Montag, 17. Oktober 2011

vorübergehend besetzt.



„Occupy Wall Street“. Aus ein paar Menschen, die in den USA mit den dort üblichen Pappschildern gegen „die Macht der Banken“ protestierten, sind ein paar Tausend weltweit geworden. Das soll erst der Anfang sein. Aber: wovon genau? Zunächst einmal ist es der Anfang davon, dass spontane, schlichte Unmutsäußerung zu einer organisierten Bewegung gemacht wird – was gleichzeitig der bedauerliche Anfang vom Ende sein könnte.

Eine – vergleichsweise – Handvoll Menschen demonstriert also relativ spontan einem Aufruf folgend, geboren aus einer gehörigen Frustration in Verbindung mit gefühlter und tatsächlicher Machtlosigkeit. Immer mehr Menschen schließen sich dem Protest an, malen kleine Schilder und große Transparente mit Sprüchen, die ihnen in den Sinn kommen, und rufen Protestsprüche, die aus dem Protestgefühl heraus entstehen. So weit. So gut. Vielleicht sogar potenziell erfolgreich.

Und dann passiert folgendes: Eine Großorganisation bietet den Spontandemonstranten ihre Unterstützung an, Einigkeit macht stark, doch noch stärker, wenn sie professionell organisiert wird, undsoweiter. Prompt wird dem bis dahin unorganisierten Protesthaufen ein „Sprecher“ als Kontaktperson zu den Medien an die Seite und vor die Nase gestellt, die zuvor spontanen Protestler werden zu „Aktivisten“ und in ihrer Gesamtheit zu einer „Bewegung“ erklärt, eine Werbeagentur bietet sich willig an, der Aktivistenbewegung ein professionelles Logo zu gestalten, einen professionellen Slogan zu creieren, beides zur Verwendung auf den nun professionell gestalteten Plakaten, die die zuvor unbedarft selbstgemalten Schilder ersetzen, dazu gibt es nun mit Logo und Slogan bedruckte Aufkleber, Kaffeebecher und Fähnchen zu kaufen, irgendwo dazwischen wird eine professionell gestaltete Website ins Internet gestellt, global-mehrsprachig, versteht sich, auf den zukünftigen Protestkundgebungen dürfen Getränke- und Würstchenverkäufer ihre Getränke und Würstchen nur noch gegen Lizenz verkaufen und dürfen nun „Dixi-Klo“-Vermieter ihre „Dixi-Klos“ gegen Lizenz auf dem Kundgebungsgelände aufstellen. Zum Beispiel. So ungefähr läuft das. Wenn es noch etwas weiter läuft.

Das, was dagegen bereits angelaufen ist, ist die heute unvermeidliche analytische Aufbereitung durch Experten aller Art, durch Psychologen, Politologen und Soziologen, die in der „Occupy“-Bewegung den „Widerstand einer gebildeten Mittelschicht“ sehen und den Aktivisten zugestehen, dass „Wut und Empörung wichtig“ seien, doch der „zornige Protest in ein bürgergesellschaftliches Engagement umgewandelt“ werden müsse. Erst dadurch und erst jetzt wird sich jeder Empörte und Wütende richtig verstanden fühlen.

Zwischen den Zeilen liest sich das ungefähr so: Liebe Leute, keine Sorge, wir halten Euch nicht nur für aufmüpfige Querulanten, sondern wir halten Euch für gebildete Bürger, die zurecht aufgebracht und wütend sind. Wir nehmen Euch ernst und wir verstehen Euch. Und nun, wo wir das geklärt haben, geht wieder alle schön nach Hause, und guckt Euch am Fernseher auf Eurer Couch an, wie wir Experten das für Euch kompetent in die Hand nehmen.

Und weil das so nicht zum ersten Mal der Fall wäre, dass die „Bankenwut“ in Talkshows von Experten und Politikern zerredet wird, bis keiner mehr weiß, worum es eigentlich anfangs mal gegangen ist und bis es keiner mehr hören will, könnte der ehemalige Bundespräsidentenkandidat Joachim Gauck Recht behalten, wenn er diese Bewegung als „albern“ deklariert und meint „Das wird schnell verebben". Womöglich sagte er das gar nicht aus Arroganz, sondern aus politischer Erfahrung.
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Samstag, 15. Oktober 2011

weise verwachsen.



Die „Wirtschaftsweisen“ haben wieder einmal gesprochen – und ich kann es nicht mehr hören. Statt regelmäßig über konjunkturelle Entwicklungen zu spekulieren, könnten sich die Experten zwischendurch mit der Frage beschäftigen, was dieses Wirtschaftssystem eigentlich mit Weisheit zu tun hat. Allerdings ist es verständlich, wenn sie das lieber nicht tun: sie würden sie sich mit der Antwort darauf selbst überflüssig machen.

Regelmäßig dürfen wir (warum eigentlich?) erfahren, wie „die Wirtschaftsweisen“ die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland beurteilen und was sie davon erwarten. Genau so regelmäßig, wie wir über Arbeitslosenzahlen informiert werden, und über den jeweils aktuellen „Geschäftsklimaindex“ und über das alljährliche Weihnachtsgeschäft des Einzelhandels. Offenbar sollen wir also darüber informiert sein. Warum auch immer.

Ebenso regelmäßig liegen die „Wirtschaftsweisen“ mit ihrem geballten Experten-Knowhow knapp oder meilenweit daneben. Damit das in Zukunft etwas weniger oft oder zumindest weniger offensichtlich passiert, scheint man sich einen neuen Stil zugelegt zu haben, der sich vor allem im Konjunktiv bewegt: „Wenn die Euro-Politik der Regierung etwas klarer werden würde, könnte sich die wirtschaftliche Stimmung so verbessern, dass im kommenden Jahr ein stärkeres Wachstum möglich wäre“. Aha. Da haben wahre Experten gesprochen. Und sogar welche, die als „weise“ bezeichnet werden.

Damit ist nun immerhin Klarheit geschaffen. Auch für den Teil der Bevölkerung, mit dem sich eher andere Experten beschäftigen, die regelmäßige „Armutsberichte“ erstellen dürfen, und wonach aktuell rund 45% der Alleinerziehenden und rund 20% der Hauptschüler als „armutsgefährdet“ gelten – was so leider nichts über Alleinerziehende aussagt, deren Kinder Hauptschüler sind oder über Hauptschüler, die bei nur einem alleinerziehenden Elternteil aufwachsen, und ob sich diese Prozentzahlen dann wohl automatisch addieren.

Und auch Rentner sind demnach „armutsgefährdet“, die mitunter satte 40 Jahre lang schwer gearbeitet haben. Beispielhaft in Bayern, wo besonders viele Senioren in Gastronomie und Landwirtschaft tätig waren und deshalb heute einen Anspruch auf gerade einmal zwischen rund 950 (Männer) und 475 Euro (Frauen) monatliche Rente haben – zum Überleben angewiesen auf zusätzliche Sozialleistungen („HartzIV“).

Davon wiederum werden wir in Zukunft noch viel mehr haben, Stichwort: demographischer Wandel. Laut anderer Experten führt die zunehmende Altersarmut in zunehmende Alterskriminalität und zunehmende Selbstmordraten unter Senioren. Doch vielleicht helfen hier ja die Erfahrungen weiter, die man mit stetig zunehmender Jugendkriminalität und Selbstmordraten von chancen- und hoffnungslosen Jugendlichen gemacht hat.

Aus der Sicht von weisen Wirtschaftsexperten ist das sogar „gut so“, weil kriminelle Jugendliche und kriminelle Rentner zu mehr Strafverfolgungen führen und die jeweiligen Anwaltshonorare genauso in das Bruttoinlandsprodukt einfließen, wie Arzthonorare, Behandlungs- und Therapiekosten und Kosten für die dauerhafte Unterbringung in diversen Kliniken: je mehr Kranke und Kriminelle, desto besser für das Wirtschaftswachstum – ob Jugendliche oder Rentner ist dabei ökonomisch irrelevant und eine Frage, um die sich bitte Soziologen kümmern sollen.

Diese Beispiele sind keine unerfreulichen, bedauerlichen Nebeneffekte, sondern zwangsläufige Produkte eines grundsätzlich unmenschlichen Wirtschaftssystems. Es ist nicht besonders schlau darüber zu spekulieren, wie man das auch noch zum Wachstum bringt. Von Weisheit einmal ganz abgesehen.
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Mittwoch, 12. Oktober 2011

technisch vergöttert.




Vor einer Woche ist ein US-amerikanischer Unternehmer gestorben, der sehr viel mit Computern zu tun hatte, ein bisschen etwas auch mit Mobiltelefonen und elektronischen Musikabspielgeräten; erheblich mehr jedoch mit Vermarktung und Verkauf. So betrachtet ist es ein wenig irritierend, wenn sogar Regierungschefs ihre Anteilnahme als offizielle Pressemitteilung kundtun und dieser Unternehmer in Nachrufen gar als „Gott“ betitelt wird.

Natürlich. Es geht um Steve Jobs. Es ist vielleicht nur in Papua-Neuguinea möglich, über dessen Tod noch nicht informiert worden zu sein. Mich persönlich überraschte diese Meldung auf einem Hotelzimmer beim nächtlichen Zappen durch die TV-Kanäle: CNN berichtete über nichts anderes als diese „Breaking News“ mit den in solchen Fällen üblichen nichtssagenden, überflüssigen Live-Bildern, Hauptsache es sind irgendwelche Live-Bilder zu sehen.

Wobei mich die erste Irritation erhaschte, als Steve Jobs in seiner historischen Bedeutung auf das Niveau von Thomas Edison und Henry Ford gehoben wurde. Im späteren Verlauf nur noch getoppt von der Bezeichnung „iGod“, posthum nicht nur heilig gesprochen, sondern zu einem „Gott“ ernannt, mit vorangestelltem „i“ selbstverständlich in Anspielung auf Produkte wie „iMac“, „iPhone“, „iPod“ und „iPad“.
Diese Seltsamkeit ermöglicht immerhin eine prima Überleitung zu der Redewendung, vielleicht doch für einen Moment die Kirche im Dorf zu lassen. Beispielsweise, weil Jobs manches, das ihm gerüchteweise immer wieder als Erfindung zugesprochen wird, gar nicht erfunden hat, wie etwa die „Maus“ zur Computersteuerung. Oder wie Jobs zu Lebzeiten meinte: „Ein guter Künstler kopiert. Ein großer Künstler stiehlt“.

Vielleicht sollte man zwischendurch auch das relativieren, was Jobs tatsächlich erfunden oder zumindest angestoßen hat. Etwa die Farbgrafik auf Computermonitoren, ein tragbares Musikabspielgerät und ein Mobiltelefon mit Computerfunktionalität („Smartphone“). Erfindungen, wegen deren Jobs als „Visionär“ betitelt wird.
Sicherlich. Ungefähr so visionär, wie derjenige, der seinerzeit das Schwarz-Weiß-Fernsehen als verbesserungsfähig erkannte und daraufhin das Farbfernsehen erfand. Oder wie der Erfinder, der an Telefonen die Wählscheibe durch Tasten ersetzte. Oder auch wie der Erfinder des „Walkman“. Nur beispielsweise.
Kaum jemand weiß, wer diese Erfinder waren. Im Falle von „Apple“-Produkten dagegen weiß man es. Und allein schon daran lässt sich erkennen, dass Jobs vor allem eines war: Ein großartiger Verkäufer.

In zweiter Linie war Jobs ein äußerst gewiefter Marketingspezialist, der eines nahezu perfekt erdachte und umsetzte: die „Planned Obsolescence“, nämlich die vorweg geplante Lebensdauer, also das quasi eingebaute Verfallsdatum – im Falle von „Apple“-Produkten weniger in technischer Weise, dafür umso mehr psychologisch: Jede neue Produktversion lässt die vorherige veraltet erscheinen. Der Kunde hat das bedrückende Gefühl, nicht mehr „up-to-date“ zu sein und der Entwicklung hinterher zu hinken. Jobs machte zweckmäßige Technik so zum Mode- und Trendobjekt, wie es ansonsten wohl nur in der Automobilbranche üblich ist.

In dritter Linie verstand es Jobs offenbar, den Kauf eines technischen Apparates zu einer Glaubensfrage zu stilisieren, als geistiger Visionär, als derjenige, der für uns die Zukunft erdenkt und entwickelt, Technik als Religion, Steve Jobs als der „iGod“, siehe oben.
Nicht zuletzt konnte Jobs auch die Medien für sich gewinnen, wie sich gerade auch in den Tagen nach seinem Tod zeigte. Permanent wurde man medial mit der naiven Feststellung konfrontiert, dass Steve Jobs auch „unsere Kommunikation veränderte“. Und der geneigte Leser möge sich fragen, ob sich seit der Ära Jobs tatsächlich verändert hat, wie sich Menschen gegenseitig beschimpfen, was sich Liebespaare in die Ohren flüstern und wie Politiker ihre Worthülsen formulieren.

Das hier ist nicht der Versuch, eine Lebensleistung in Frage zu stellen. Sondern es ist eine Anregung, eine Bedeutsamkeit zu relativieren. Nicht unbedingt die Bedeutsamkeit eines verstorbenen Unternehmers. Eher die Bedeutsamkeit dessen, wofür er als Person stand und worum es eigentlich geht. Beziehungsweise: wäre das Gleiche auch möglich mit einem Hersteller von Kaffeemaschinen und Leergutautomaten? Oder noch anders mit einem arabischen Sprichwort: „Ihr habt Uhren. Wir haben Zeit“.
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Freitag, 7. Oktober 2011

informativ bankrott.

Wir können aufatmen: Der deutsche Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Rettung Europas ist nach einigem politischen Tammtamm gesichert, der europäische „Rettungsschirm“ kann endlich aufgespannt werden. Doch ein kleiner Blick darauf, was hier eigentlich gerettet werden soll (und vor allem: was nicht), macht das Ganze noch deutlich fragwürdiger als es ohnehin schon ist.

Der Euro-Rettungsfonds „EFSF“, „European Financial Stability Facility“, der „Rettungsschirm“ nämlich ist – in erster Linie – der Versuch, ein Wirtschaftssystem zu retten, das die Grenzen des Sarkasmus längst überschritten hat.
Etwa, wenn ein Schweizer Pharmakonzern griechische Krankenhäuser, die in akuter Geldnot sind, prompt nicht mehr mit Medikamenten beliefert, oder wenn das strikte Rauchverbot in griechischen Gaststätten gekippt wird, indem sich ein Wirt nun mit 200 Euro pro Quadratmeter davon freikaufen kann. Rauchen kann laut der EG-Gesundheitsminister angeblich tödlich sein. Doch wenn es hilft, den Staatshaushalt zu sanieren, ist es diese Opfer scheinbar wert.

Zum anderen ist da eine recht ironische Nähe zwischen den Kürzeln des Rettungsfonds „EFSF“ und dem „EFTS“ („Electronic Fund Transfer System“, u.a.: „Electronic Banking“), das sehr viel mehr zum eigentlichen Kernproblem gehört, an dem jedoch die Idee des Rettungsschirms haarscharf vorbeirauscht. Beträchtlicher Teil des eigentlichen Kernproblems nämlich ist nicht die Kreditwürdigkeit eines Staates, nicht „der Euro“ und nicht das Geld, sondern die Information über Geld.

Spätestens seit dem das „Electronic Banking“ möglich und inzwischen zur Normalität wurde, finden Geldtransfers weitgehend vollautomatisiert statt, ohne Zeitverzug durch menschliche Bearbeitung, sofort, auf der Stelle und „in Echtzeit“. Wenn früher die 864 Kunden einer kleinstädtischen Bank gleichzeitig Geld überweisen wollten, mussten sie dafür Schlange stehen, zahlreiche Bankangestellte hatten alle Hände voll zu tun, um die Formulare nacheinander abzuarbeiten. Heute können erheblich mehr als 864 Menschen ihre Überweisungen am Computer selbst vornehmen – allesamt gleichzeitig.

Auf diese Weise werden mit dem selben Geld in der selben Zeit heute rund zehnmal mehr Transaktionen durchgeführt als vor dem Zeitalter des „Electronic Banking“. In globalisierten und datenvernetzten Zeiten beeinflusst so die bloße Information über z.B. eine zu erwartende Missernte bei Kaffeebohnen innerhalb von Sekunden den Kaffeepreis – weit bevor die Missernte tatsächlich eintritt. Und die bloße Spekulation (also: kursierende Information) über die angeblich drohende Pleite eines Staates manövriert das betroffene Land tatsächlich in akute Finanzprobleme, die es vorher gar nicht hatte.



Das Dumme ist nun: Die Wirtschaftstheorie ist grundsätzlich seit dem 17. Jahrhundert völlig unverändert. Deshalb spielt u.v.a. auch der Faktor Information darin nicht die geringste Rolle, also auch nicht die Information über Geld, geschweige denn deren extreme Beschleunigung bis hin zur „Echtzeit“ durch Datenverarbeitung und Internet, geschweige denn die daraus entstandene „Globalisierung“.

Mindestens ebenso dumm: Der Faktor Information unterliegt nicht den sonst üblichen Bedingungen des Handels. Wenn sich eine Information verbreitet, dann verfügen in Windeseile sämtliche Eingeweihten, mitunter Millionen Menschen, darüber. Und das löst eine wesentliche Voraussetzung der steinalten Wirtschaftstheorie – nämlich: Knappheit – in Luft auf.

Das alles sind – nur wenige beispielhafte – Gründe, warum nicht nur der „Retttungsschirm“ und „Rettungsfonds“ die Anführungsstriche zwingend erforderlich macht, sondern dass viel mehr eine ganz andere Rettung erforderlich wäre: unser aller Rettung vor diesem maroden, zukunftsfeindlichen Wirtschaftssystem.
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Dienstag, 4. Oktober 2011

einheitlich verjährt.

Gestern war wieder einmal Feiertag in Deutschland: Der „Tag der Deutschen Einheit“, irgendwann willkürlich mitten aus dem Juni auf den dritten Oktober verlegt, inzwischen jedoch vornehmlich beschränkt auf vollbeflaggte öffentliche Gebäude und politische Festakte – während das gemeine Volk mittlerweile darin nicht mehr zu sehen scheint als einen arbeitsfreien Feiertag wie jeden anderen.

So stellte etwa die Kanzlerin fest, dass die Deutsche Einheit „auf einem guten Weg, aber noch nicht vollendet“ sei, vergaß allerdings dabei zu erwähnen, wann genau diese Vollendung eigentlich der Fall wäre.
Dass eine politische Vollendung gemeint sein soll, erscheint eher unwahrscheinlich. Deutschland als Staatsgebilde ist jedenfalls vereinheitlicht, das Grundgesetz gilt auf der gesamten Landesfläche. Kulturell? Besteht vielleicht etwa noch die Notwendigkeit, „die Westdeutschen“ gegenüber „den Ostdeutschen“ kulturell zu vereinheitlichen? So, wie Norddeutsche und Bayern, Flamen und Wallonen in Belgien, Spanier und Basken oder Wien-Städter und der ganze Rest Österreichs?

Nein, nein. Natürlich ist in erster Linie die Wirtschaftsentwicklung gemeint, westliche und östliche Lohn- und Gehaltsunterschiede und Arbeitslosenzahlen, die immer noch zu vereinheitlichen sind. Wohl so ungefähr, wie schließlich auch die Einführung des Euro und die EU-weite Personen-, Arbeitnehmer- und Niederlassungsfreizügigkeit ganz sicher zur vollendeten Einheit Europas führen werden. Politisch verordnet, sozusagen. Aus wirtschaftlichen Gründen. Zu unser aller Bestem. Ob wir wollen oder nicht.

Und wieder einmal mache ich mir – nicht nur anlässlich dieses Feiertages – Gedanken, warum uns heute noch immer, nach über zwanzig Jahren Deutsche Einheit, allmonatlich die Arbeitslosenzahlen fein säuberlich aufgeteilt in „Arbeitslose West“ und „Arbeitslose Ost“ präsentiert werden(?). Wenn das einen tieferen Sinn hat, wäre die Frage, warum nicht auch jede Staatsausgabe und jeder Haushaltsposten zusätzlich noch in D-Mark angegeben wird?
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Freitag, 30. September 2011

trotzig abgelehnt.



Unser vierjähriger Sohn befindet sich momentan in einer so genannten „Trotzphase“. Auf elterliche Wünsche und erzieherische Anordnungen reagiert er mit einem trotzigen „Nein“, ansonsten mit einem trotzigen „Doch“. Es könnte sein, dass er damit schon jetzt alle Voraussetzungen mitbringt, um irgendwann als Abgeordneter im Bundestag zu sitzen.

Wie andere Eltern wissen werden, kostet die Trotzphase des Nachwuchses einige Nerven. Es hindert unseren Jungen allerdings auch an persönlichen Bildungsfortschritten, gerade jetzt, wo er beginnt, sich für die englische Sprache zu interessieren. Schließlich wird die Zahl Neunundsechzig, im Englischen Sixty-Nine, sprich: „siksti-nein“, schnell missverständlich, wenn sie in ein trotziges „siksti-doch“ gewandelt wird.

So ungefähr wirkt auch das politische Tohuwabohu um den Papstbesuch auf mich. Ich muss zugeben, durch einen privaten Umzug und anschließendem Erholungskurzurlaub (siehe Eintragspausen im „NotizBlog“ und bei „Facebook“) nicht allzuviel davon mitbekommen zu haben. Ich wollte mich nicht wesentlich intensiver mit der Schicksalsfrage befassen, ob der Papst nun im Reichstag reden sollte oder besser nicht, ob er als Oberhaupt einer Religionsgemeinschaft dort nicht zu sprechen hat, oder als Staatschef des Vatikan vielleicht doch, oder beides in Verbindung nur dann, wenn er umweltfreundlich mit der Bahn durch Deutschland reist und auf den Flieger verzichtet hätte.

Jedenfalls kündigten rund einhundert Abgeordnete an, der Papstrede aus Protest fernbleiben zu wollen. Dummerweise wurde der Effekt dadurch abgefedert, dass die leeren Sitzplätze clever mit Putzfrauen, Handwerkern und Sicherheitsbeamten aufgefüllt wurden, die man wahrscheinlich vorher schnell noch in einem Crashkurs unterrichtete, wie man auf einem Abgeordnetenplatz zu sitzen und zu gucken hat.

Den Vogel in diesem Kindergarten abgeschossen hat jedoch der „Grüne“ Hans-Christian Ströbele. Ihm muss vor allem eine Frage den Schlaf geraubt haben: Wie lässt sich ein medienwirksamer Effekt erhaschen, wenn man nur einer von vielen ist, die die Papstrede boykottieren? – und kam auf die Idee, den Plenarsaal erst dann empört zu verlassen, wenn der Papst mitten in seiner Rede steckt. Ein grandioser Einfall. Jedenfalls: auf diesem Niveau.

Genau der Hans-Christian Ströbele, der ein/zwei Tage vor dem Papstbesuch meinte, dass das Oberhaupt einer Religionsgemeinschaft in einem politischen Parlament nichts zu suchen habe, schließlich ginge es hier um die strikte Trennung von Staat und Kirche; für den Dalai Lama könne man dagegen eine Ausnahme machen. Aha. Warum, das müsste Ströbele noch erklärend hinzufügen.

Und dann fehlen da noch die Erklärungen, warum man – bei der strikten Trennung von Staat und Kirche – eigentlich zum Rathaus gehen muss, um (mit Personalausweis und gegen Gebühr) aus der Kirche auszutreten, ohne jemals eingetreten zu sein, und ansonsten der staatliche Steuerbescheid auch eine Kirchensteuer beinhaltet, sowie warum – bei der strikten Trennung von Staat und Kirche – im April eine staatliche „Ethikkommission“ zum geplanten Atomausstieg eingesetzt wurde, in die man auch Kirchenvertreter berufen hat?
Ich schlage vor, dass bis zur Klärung dieser Fragen alle Abgeordneten dem Plenarsaal fernbleiben und die weiteren Regierungsgeschäfte boykottieren.
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Donnerstag, 11. August 2011

ahnungslos beruhigt.




Und schon schlittern wir wieder in die nächste Finanzkrise. Also: nicht direkt wir. Die USA sind geschlittert. Und deshalb schlittern viele andere mit. Und wir auch. Weniger aus Solidarität, sondern weil „die Märkte beunruhigt“ sind. Es spricht einiges dafür, dass niemand weiß, was damit genau gemeint ist, doch es hält auch niemanden davon ab, beruhigen zu wollen. Oder um es mit Norbert Blüm zu sagen: „Die Rente ist sicher“.

Ich bin kein Finanzexperte. Ich habe mich auch damals, als die Deutsche Telekom an die Börse ging und die „Volksaktie“ beschworen wurde, nicht dazu verleiten lassen, mich mit Aktienkursen zu beschäftigen. Und ich habe mich nur kurz gewundert, als ein knappes Jahr später plötzlich vor der 20-Uhr-„Tagesschau“ eine Kurzsendung mit neuesten Nachrichten von der Börse eingeführt wurde, während man bis dahin allenfalls nebenbei am Ende der Hauptmeldungen den aktuellen Dollarkurs verkündete. Und ich muss den Tag verpasst haben, an dem irgendwelche sonderbaren „Rating-Agenturen“ ihren Betrieb aufnahmen.

Insofern gebe ich freimütig zu, jede neue globale Finanzkrise nur unzulänglich aus der Sicht eines sehr ahnungslosen Laien beurteilen zu können. Doch es beruhigt mich ein wenig, dass auch erklärte Finanzexperten offenkundig längst den Überblick verloren haben, den sie womöglich niemals hatten.

Wer die systemkritische Dokumentation „Kapitalismus – Eine Liebesgeschichte“ von Michael Moore gesehen hat, konnte darin verschiedene Investmentbanker erleben, wie sie stotternt versuchten, das Funktionsmodell diverser „Finanzprodukte“ zu erklären. Und der Chef der „Hypo Real Estate“ Immobilienbank, die Ende 2008 etliche Milliarden verpokerte, gab damals ebenso zu, nicht wirklich verstanden zu haben, was genau eigentlich mit dem Geld getrieben wurde und wie und warum und wohin genau es verpuffte.

Inzwischen sind es nicht mehr nur Banken, sondern ganze Staaten, Griechenland, Portugal, Spanien, kürzlich Italien, die USA und nun wohl auch noch Frankreich, die kurz vor der Pleite stehen, weil das irgendwelche privaten „Rating Agenturen“ in einem Meeting, kurz nach dem Frühstück, mal eben so beschlossen haben – zur Überraschung einiger dieser Staaten, die von ihrer drohenden Pleite noch gar nichts wussten.

Dort, in den „Rating Agenturen“ scheinen offenbar die zu sitzen, die noch Überblick haben. Und in China. Die Chinesen nämlich haben über die Jahre hinweg fleißig US-Staatsanleihen gekauft, sind dadurch inzwischen der größte Gläubiger der USA, kurz gesagt: den Chinesen gehören die Vereinigten Staaten. Früher wurden für solche Aktionen Kriege mit Millionen Toten geführt, heute muss man nur oft genug die „F12“-Taste am Computer betätigen und Staatsanleihen sammeln.

Einen relativ machtlosen Eindruck machen dabei die regierenden Politiker, auch die Mächtigsten, die gern in Frankreich und Deutschland vermutet werden, selbst der proklamierte „Mächtigste Mann der Welt“ in den USA. Wo noch nicht einmal die Finanzexperten noch eine Ahnung haben, wissen die Politiker immerhin eines: „Die Märkte sind beunruhigt“ und müssen beruhigt werden. Und so wird auf Pressekonferenzen öffentlich erklärt: Wir können völlig beruhigt sein.

Doch warum eigentlich „wir“? Sind wir „die Märkte“? Im Prinzip schon: Jeder Otto Normalbürger, als Kunde, als Konsument und Verbraucher, an der Tankstelle, im Supermarkt, überall, zwangsläufig. Jeder einzelne Cent, der seinen Besitzer wechselt, beeinflusst irgendwie irgendeinen „Markt“. Nur wie genau, das versteht eben keiner mehr. Vielleicht ist das auch ganz gut so. Denn wie meinte Henry Ford bereits vor einigen Jahrzehnten: „Würden die Menschen das Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh“.
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Montag, 1. August 2011

böse verborgen.



„Das Böse in uns“. Unter diesem Titel ging die Fernsehsendung „ttt – Titel, Thesen, Temperamente“ Sonntagabend der Frage nach, „was Menschen zu grausamen Attentätern macht“ (Untertitel) bzw. „wie Menschen zu kaltblütigen Attentätern werden“. Es war der Versuch, in einem allenfalls zehnminütigen Bericht zu klären, was der Menschheit seit Jahrtausenden rätselhaft ist.

Ein solcher Versuch muss kläglich scheitern, sollte man meinen. Doch wenn die verantwortliche Redaktion offenbar anderer Ansicht ist und diesen Versuch nicht nur unternimmt, sondern auch noch waghalsig in ihrem „Kulturflaggschiff“ öffentlich-rechtlich ausstrahlt, muss man das einfach gesehen haben.

Das erste Kunststück liegt hier wieder einmal in dem, was man in einem solchen TV-Bericht eben nicht sieht: in der redaktionell vorab stellvertretend für den Zuschauer getroffenen Entscheidung, wen man denn eigentlich befragt und zu Wort kommen lässt, wenn es um „das Böse in uns“ geht. Früher hätte man sich dazu wohl an einen Geistlichen gewandt, heute befragt man – selbstverständlich – zeitgemäß einen Psychiater und einen Neurobiologen, um so zwangsläufig in die Folgerung zu stolpern „Der geheime Code des Bösen liegt verborgen, tief im Innern des Gehirns“.

Der österreichische Psychiater, so wird behauptet, sei einer der renommiertesten Gerichtspsychiater und -gutachter Europas(!), hätte für sein aktuelles Buch über 300 Mörder befragt und deren Persönlichkeit analysiert, wisse also „wie kaum ein anderer, wie Mörder denken und fühlen“ und „wie das Hirn von Mördern tickt“. Da fragt man sich glatt, warum überhaupt noch zusätzllich ein Neurobiologe befragt wurde.

Dieser Psychiater jedenfalls, der phänomenalerweise aufgrund simpler Befragungen genau weiß, was physiologisch in Gehirnen stattfindet, ist sich sicher: Einem Attentäter „fehlt jegliches mitmenschliches Gefühl“ und „Je höher der Planungsgrad ist und je länger die Vorlaufzeit, desto böser ist eine Tat“, sowie „Das Böse begegnet uns alltäglich in Streit, Rache, Eifersucht und in seiner schlimmsten Form im eiskalten Vernichtungsplan eines Fanatikers“. Da spricht geballte Fachkompetenz. Eine solche Erkenntnistiefe ist nur echten Experten möglich.

Leider klärt nichts davon, was das Ganze denn nun mit dem Gehirn zu tun haben soll. Und das eben ganz abgesehen davon, dass ein Psychiater von Haus aus für „die Psyche“, also für Seele und Gemüt, zuständig ist, und man sich aussuchen kann, ob es nur fragwürdig oder schon grob fahrlässig ist, beides als Produkt von Gehirnfunktionen zu vermuten – und das insgesamt auch noch auf simple Befragungen zurückzuführen.

Ganz anders natürlich bei dem zusätzlich befragten Neurobiologen, der zumindest im Fachbereich Gehirnforschung weitaus glaubwürdiger ist, sich jedoch zu Fragen äußert, die mit seinem Fachbereich herzlich wenig zu tun haben:
So referiert dieser Fachmann über „Schmerzzentren“ des Gehirns, sie würden „nicht nur dann reagieren, wenn wir physisch, körperlich bedroht werden, sondern auch dann, wenn wir sozial ausgegrenzt werden, wenn wir gedemütigt werden, wenn man uns den Respekt verweigert“. Das hat ungefähr die gleiche Qualität, als ob ein Orthopäde erklärt, warum jemand für Malerei völlig untalentiert ist und sich als Linkshänder sozial ausgegrenzt fühlt.

Und das: im „Kulturflaggschiff“ des Ersten Deutschen Fernsehens, einem Sender mit gebührenfinanziertem Bildungsauftrag. Aber warum eigentlich nicht. Es gab Zeiten, da wurden sehr ernsthaft Schädel per Hand vermessen und über den Daumen gepeilt kartografiert, um daran charakterliche Eigenschaften festzumachen. Heute lacht man darüber.
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Freitag, 29. Juli 2011

lohnend verleitet.


„Wer arbeitet, hat keine Zeit, Geld zu verdienen“. Ein geflügelter Spruch, der sich nicht auf Mindestlöhne und Durchschnittsgehälter bezieht, sondern auf „richtiges Geld“, auf Millionen, mitunter sogar Milliarden. Ein Spruch, der darauf hinweist, wie man Millionär oder gar Milliardär werden kann: nämlich entgegen aller Gerüchte jedenfalls nicht durch harte Arbeit, noch nicht einmal überhaupt durch Arbeit. Sondern durch irgendetwas anderes.

Schon in den 1950er Jahren machte sich Bertrand Russell wichtige Gedanken über die Werte-Entwicklung unserer Gesellschaft. Er war u.v.a. der Ansicht, dass es sinnvoll wäre, wenn Menschen maximal 4 Stunden pro Tag arbeiten würden. Doch er wusste auch, dass eine Arbeitszeit von täglich 8 Stunden deutlich beliebter, weil das Gehalt entsprechend höher ist.

Ganz nach dem Motto „Wer mehr arbeitet, verdient mehr Geld, kann sich mehr leisten“ haben Vollzeitarbeitsstellen das weitaus bessere Image. Kein Gedanke daran, dass Arbeitnehmer in Vollzeit per Steuern und Abgaben die Menschen mitfinanzieren müssen, die genau deshalb keine Arbeitsstelle haben, und sich der vermeintlich logische Mehrverdienst ebenso logisch so stark relativiert, dass es sich mit dem Reichtum durch harte Arbeit prompt erledigt hat.

Und wie sonst? „Wer arbeitet, hat keine Zeit, Geld zu verdienen“. Man kann zum Beispiel eine Firma gründen. Um „richtiges Geld“ zu verdienen, gilt es allerdings zu beachten, damit keinesfalls echte Produkte herzustellen, die von echten Menschen hergestellt werden. Das artet nur in Arbeit aus. Je weniger von dem allem, umso besser und lohnender.
Sehr lohnend, aber halbherzig, ist es beispielsweise, eine Firma zu gründen, die im Grunde mit nichts weiter als Luft enorme Summen erwirtschaftet, mit Datenströmen im Internet, eine „Suchmaschine“ oder ein „Soziales Netzwerk“ etwa, womit man spielend einen Börsenwert bis zu 200 Milliarden Dollar erreichen kann.

Noch lohnender kann es dagegen sein, gänzlich auf alles zu verzichten, das irgendeinen echten, realen Wert darstellt, sondern eher im Gegenteil, und dabei die erforderliche Arbeitsleistung auf ein Minimum zu reduzieren: Investieren Sie in Geld! Noch simpler und besser: in die pure Aussicht auf mehr Geld! Investieren Sie nicht darin, Menschen in Ostafrika oder anderswo auf der Welt zu helfen, die Hunger leiden, sondern investieren Sie in Weizen. Beziehungsweise: in die pure Aussicht, dass der Weizenpreis in den nächsten Jahren steigt und steigt und steigt.

Ganz wichtig: vermeiden Sie jeden Gedanken daran, ob an diesem System womöglich etwas nicht stimmt. Sich in die größeren Zusammenhänge einzudenken, sich vielleicht sogar über einen Wertewandel Gedanken zu machen, kann echte Arbeit sein. Sie laufen damit Gefahr, keine Zeit mehr zu haben, um Geld zu verdienen. Richtiges Geld. Siehe oben.
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Mittwoch, 27. Juli 2011

diebisch beraubt.


Es hat natürlich immense Vorteile, einen professionellen „Taschendieb“ im Varieté zu erleben statt in freier Wildbahn. Als unbeteiligter Zuschauer ist es dabei äußerst leicht zu behaupten, natürlich selbst niemals so lächerlich vorgeführt werden zu können, wie die Opfer, die sich der „Taschendieb“ zur allgemeinen Belustigung aus dem Publikum auf die Bühne holt.

Da werden Menschen für alle Zuschauer bestens sichtbar, doch vom jeweils Betroffenen völlig unbemerkt, der Reihe nach ausgeraubt, die Armbanduhr, die Geldbörse, der Schlüsselbund, mit etwas mehr Aufwand entfernt der „Taschendieb“ sogar einen Gürtel komplett, ohne dass der Hosenträger etwas davon bemerkt.

Wer sich bereits ein bisschen mit der Thematik befasst hat, weiß sehr genau, dass das Ganze lediglich eine Frage der gekonnten Ablenkung ist. Man wird einfach sehr geschickt in ein belangloses Gespräch verwickelt und achtet auf die übertriebenen Gesten, die der Täter mit seiner linken Hand theatralisch vollführt – statt genau deshalb besser auf seine rechte zu achten, und ihn so auf frischer Tat zu ertappen.

Jedoch: selbst dieses Wissen wird einem nicht viel helfen, wenn man es mit einem echten Profi zu tun hat. Man weiß, dass man abgelenkt wird. Man weiß, dass man im nächsten Augenblick friedlich beraubt werden wird. Man weiß, worauf man achten muss. Und dennoch: es hilft nichts. Mehr noch: Das Ganze funktioniert überhaupt nur dadurch, dass das jeweilige Opfer einbezogen wird – sei es auch noch so wissend.

Und noch mehr: das funktioniert nicht nur künstlerisch im Varieté und nicht nur diebisch auf offener Straße, es funktioniert ganz allgemein prächtig, in den Medien, in Wirtschaft und Politik, in Bildung und Medizin, wo auch immer.
Vielleicht achten Sie einmal verstärkt darauf und treffen entsprechende Vorkehrungen. Leider jedoch siehe oben: es wird wohl nicht viel helfen.
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Dienstag, 26. Juli 2011

eigenmächtig entregelt.

 
Es gibt Regeln, die etwas regeln sollen. Zum Beispiel das gemeinschaftliche Zusammenleben. Die Natur von Regeln ist der Gebotscharakter, sind also in der Regel weder Vorschriften noch Verbote, so etwa Benimmregeln, Grammatikregeln, Kleidungsregeln, Spielregeln, Ernährungsregeln, und so weiter.

Dass das Ganze funktionieren kann, ist vor allem von der Einsicht der Beteiligten abhängig. Nämlich, dass es einen tieferen Sinn hat, sich an gewisse Regeln zu halten. Deshalb gibt es den kurzgefassten Verhaltenscodex „Das macht man nicht“, zum Beispiel, sich an einer Gruppe von Menschen, die eine Warteschlange bilden, vorbei- und dadurch an eine vordere Position zu mogeln. „Die Freiheit ist immer nur die Freiheit des Andersdenkenden“, sagte Rosa Luxemburg. „Was Du nicht willst, das man Dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu“, sagt der Volksmund.

Auch hier scheint jedoch eine Ausnahme die Regel zu bestätigen, nämlich die Verkehrsregeln, die phänomenalerweise hauptsächlich eben nicht aus Regeln, sondern aus Verordnungen, Vorschriften und Verboten bestehen. Fünfzig Stundenkilometer innerorts, einhundert auf der Bundesstraße… es wird allgemein fröhlich darauf gepfiffen, wer sich tatsächlich daran hält, wird zu einem ärgerlichen Verkehrshindernis.
Auf Menschen, die begründet vorsichtig fahren, Senioren, Fahranfänger, Porzellantransporteure kann leider keine Rücksicht genommen werden. Man hat es nun einmal eilig. Und das hat es scheinbar mindestens jeder Zweite, wahrscheinlich um nach Arbeitsende rechtzeitig zur Quizshow auf der Couch zu sitzen.

Hier werden Regeln verletzt. Eigenmächtig, aus Eigennutz. Um selbst allenfalls zwei Minuten früher an sein Ziel zu gelangen wird hingenommen, dass Mitmenschen, Senioren, Fahranfänger an der nächsten Parkbucht eine halbe Stunde Pause machen müssen, weil sie vor Angst und Schreck zittern.

Dieselben Menschen, die aus Eigennutz, auf Kosten anderer eigenmächtig Regeln verletzen, schimpfen auf Manager und Politiker, die sich achso unmoralisch, eigennützig, auf Kosten anderer Vorteile verschaffen. Und alle zusammen beklagen den Werteverfall in unserer Gesellschaft.
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Montag, 25. Juli 2011

geschlechtlich verzwickt.


Am letzten Tag der Frauen-Fußballweltmeisterschaft brachte es der Chef des Weltverbandes gnadenlos auf den Punkt: „Die Frauen-Mannschaften… äh… die Frauschaften…“. Eben. Ist eine Mannschaft, die aus Frauen besteht, eine Mannschaft? Eine Frauengruppe? Und darf man bei großartiger Atmosphäre bei einem Frauenfußballspiel von einem „Hexenkessel“ sprechen, wie ein Moderator während dieser Veranstaltung fragte?

Oder offenbart sich hier etwa eine noch immer herrschende kopflastige Problematik der Gleichberechtigung von Mann und Frau, Frau und Mann? Im Jahr 2011? Im 21. Jahrhundert?

Letzte Woche wurde in Österreich politisch beschlossen, die dortige Bundeshymne im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit zu ändern: Statt „Heimat bist du großer Söhne, Volk, begnadet für das Schöne“ heißt es ab dem nächsten Jahr „Heimat großer Töchter, Söhne…“. Das ist konsequente Gleichstellung. Oder vielleicht auch nur eine andere Form des selben Problems.

Gerade die politische Sommerflaute in Berlin könnte geeignet sein, auch über die deutsche Nationalhymne geschlechtsspezifisch nachzudenken: „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland. Danach lässt uns alle streben, brüderlich mit Herz und Hand“. So, so. Brüderlich. Während die Frauen schwesterlich vereint in der Küche am Herd stehen. Oder wie soll man das verstehen? Das könnte man zeitgemäß ändern. Man könnte auch fragen, welche Frau mit dem traditionellen Text wirklich ein Problem hat. Oder welcher Mann.

Dazu könnte man eine der beliebten Umfragen starten. So, wie es die Redaktion der Fernsehsendung „Hart aber fair“ tat, eine Reporterin losschickte, um Männer nach deren Meinung über Frauenfußball zu befragen, und ausschließlich positive Reaktionen bekam. Redaktionsintern wollte man das nicht glauben, schickte daraufhin einen männlichen Reporter auf die Straße, der wiederum ausschließlich auf Männer traf, die sich über Frauenfußball lustig machten.

So viel einerseits zum Thema „Objektivität“ von Umfagen. Andererseits war damit für die Redaktion von „Hart aber fair“ erwiesen, dass Männer gegenüber Reporterinnen lügen und nur gegenüber einem männlichen Reporter die Wahrheit sagen. Was man auch umgekehrt interpretieren könnte: gegenüber einem anderen Mann will Mann nicht als Schwächling wirken, gegenüber einer Frau fällt es ihm dagegen leichter, etwas „Emotionales“ zu sagen. Es ließe sich allerdings auch in Erwägung ziehen, dass einem Befragten unbewusst durch den Kopf geht „Was will sie/er wohl von mir hören?“.

Es scheint, als sei diese Thematik noch immer verzwickter als man es für möglich halten möchte. Vielleicht spielt es auch eine Rolle, dass politisch seit ein paar Jahren nicht mehr von Gleichberechtigung, sondern von Gleichstellung gesprochen wird. Denn immerhin: berechtigt ist man, gestellt wird man.
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Freitag, 22. Juli 2011

ausdrücklich entwickelt.


Evolution ist nichts, was in Büchern beschrieben oder in der Schule gelehrt wird. Sondern Evolution findet statt. Jetzt gerade. Wir sind mittendrin. Das sollte man sich unbedingt ab und zu bewusst machen. Ganz besonders, wenn man sich mit der deutschen Sprache und verschiedenen Auswüchsen beschäftigt.

Da steht man irgendwo in irgendeinem Stadtzentrum herum, in unmittelbarer Nähe einer Gruppe von Heranwachsenden, und schwankt. Man schwankt, ob man sich dagegen wehren soll, deren Unterhaltung mitzuverfolgen, weil es jemandem, der gewissen Wert auf sprachlichen Ausdruck legt, leichte Ohrenschmerzen zufügt. Oder ob man lieber zuhören soll, um betrefflich Jugendsprache auf dem neuesten Stand zu bleiben.

Wie so oft jedoch stellt sich eine scheinbare Wahl als genau solche heraus, die man gar nicht hat, weil sie von der dramatischen Realität übertönt wird. Es ist erstaunlich, mit welcher Lautstärke sich Jugendliche gegenseitig zubrüllen. Das lässt sich nur durch eine allgemein verbreitete nachhaltige Hörschädigung infolge Discothekenlärms und Dauerberieselung mittels MP3-Abspielgeräten erklären.

Es gibt jedoch nicht allzu viel, was man verpassen würde: so ziemlich jeder Satz wird mit einem „…weiße“ („…weißt du“) abgeschlossen, direkt gefolgt von dem Füllsatz „…keine Ahnung“. Ein recht übersichtlicher Wortschatz also. Wobei es zudem in Mode zu sein scheint, das „sch“ übermäßig zu verwenden. So lautet ein typischer jugendlicher Austausch in etwa wie folgt: „Isch hab disch gestern angerufen, weiße… keine Ahnung“ – „Escht? Hab isch nisch mitgekrischt, weiße… keine Ahnung“ – „Ja, escht, weiße… keine Ahnung“.

In derselben Stadtmitte, ein paar Meter weiter in einem Lokal hört man vom Nebentisch einige Wortfetzen durch die Luft schwirren, die sinngemäß ungefähr folgendes ergeben: „…und da hat der CEO das Meeting gecancelt. Jetzt müssen wir uns online updaten wie es um die Performance steht. Aber ganz relaxed, der Workshop ist erst nächste Woche, dann wird gebrieft und wir können auf Power umswitchen“.

Ich bin mir nicht ganz sicher, welche Rolle die sprachliche Entwicklung in Darwins Evolutionstheorie spielt. Doch hier wäre es ausnahmsweise sehr beruhigend, wenn das nur die Randerscheinungen eines etwas unglücklichen Zufalls wären und nicht das Ergebnis einer beabsichtigten Schöpfung.
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Mittwoch, 20. Juli 2011

vergesslich (v)erklärt.


Wir haben uns daran gewöhnt, in einer Welt voller Wissenschaftler zu leben. Wissenschaftler, die an den wichtigsten Problemen unserer Zeit herumforschen, die uns mit ihren Studien an den gefundenen Wahrheiten teilhaben lassen, das Rätselhafte erklärbar machen, und uns damit in unsicheren Zeiten ein bisschen mehr Sicherheit geben. Man darf nur nicht weiter nachhaken und keine dummen Fragen stellen.

Wozu brauchen wir eigentlich noch unser Gedächtnis, wenn wir jede Antwort zu jeder Frage jederzeit per Mausklick aus dem Internet holen können, per Google, per Wikipedia oder auch per vegleichsweise neuartiger „Apps“, et cetera? Ein Forscherteam aus den USA hat im Wissenschaftsmagazin „Science“ jetzt eine passende Studie veröffentlicht, die diese Frage angeblich beantwortet. Das Ergebnis von vier Jahren Forschungsarbeit – was womöglich deutlich schneller gegangen wäre, hätten die Forscher einfach im Internet gesucht.

Wie kaum anders zu erwarten, ist durch diese Studie nun endlich erwiesen, was wir alle schon geahnt haben: Wenn alle möglichen Informationen abrufbereit im Internet zur Verfügung stehen, leidet unser Gedächtnis und Erinnerungsvermögen. Wir müssen uns eben nicht mehr sonderlich anstrengen, nichts mehr großartig in Büchern nachschlagen, unser Gehirn verlernt quasi zu lernen.

Eine durchaus interessante Frage wäre jedoch, warum man diese Forschungen eigentlich auf das Internet beschränkt und nicht auch das Fernsehen einbezogen hat? Man dürfte hier schließlich den identischen Effekt haben: Warum nach Ostafrika reisen, um sich über die dortige Dürre und Hungersnot zu informieren, wenn das doch in der „Tagesschau“ innerhalb von zwei Minuten erklärt wird? Oder ist das etwas anderes als dasselbe über das Internet zu erfahren? Und wenn ja: warum?

Oder: weder-noch. Zum Beispiel, weil es ein Unterschied ist, etwas wissen oder lediglich in-Erfahrung-bringen zu wollen oder nur informiert-zu-sein – inkusive dessen, was man überhaupt unter „Lernen“ und „Wissen“ versteht, beziehungsweise welches Verständnis in dieser Studie klammheimlich vorausgesetzt wird? Außerdem: Leben wir denn nicht gerade wegen des Internet in einem „Zeitalter des Wissens“ und einer „Wissensgesellschaft“?

Eine andere Frage wäre, ob nicht vielleicht auch die jeweilige Bedeutung eine Rolle spielen könnte? Es macht schließlich einen gewaltigen Unterschied, ob man etwas wissen möchte, um die Frage eines Gewinnspiels zu beantworten, oder ob eventuell die gesamte berufliche Zukunft davon abhängt.
Fragen über Fragen, die eine Studie aufwirft, die eigentlich eine Antwort geben soll. Das wiederum wirft die Frage nach der Relevanz auf, nämlich wer dafür eigentlich verantwortlich ist, nämlich Frau Betsy Sparrow, eine Psychologieprofessorin an der US-amerikanischen Columbia University.

So wird das Ganze erheblich fragwürdig bei dem Hintergrund, dass sich die Psychologie von Haus aus mit der Seele und dem Gemüt beschäftigt – was mit Gedächtnisleistung und Erinnerungsvermögen allenfalls am Rande zu tun hat. Das ist ungefähr so, als ob ein Stauforscher eine Studie über den Verschleiß verschiedener Autoreifen erarbeitet, daraus Rückschlüsse auf den Benzinverbrauch zieht, und dadurch nachweist, warum in Holland so viele Fahrräder gestohlen werden.
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Donnerstag, 16. Juni 2011

seitlich unterstellt.

Mit der Sprache lässt sich einiges anstellen. Man kann eine Information so oder auch anders darstellen, die eine Seite der Information betonen und die andere Seite elegant unter den Tisch fallen lassen, je nach dem, wie es gerade für irgendeinen Zweck gebraucht wird. Vielen Menschen geht das durch die Lappen, weil sie anderweitig stark beschäftigt sind. Doch manchmal sollte man sich einfach die Zeit nehmen und die Mühe machen. Oder einen solchen Blogeintrag lesen.

Da wäre zum einen die kürzliche Information, dass mehr als 100.000 Selbstständige Sozialleistungen („HartzIV“) beziehen. Ergänzt wurde diese Nachricht mit dem scheinbar unverzichtbaren Hinweis, dass „Experten in den Jobcentern“ (was immer das für Experten sein sollen) vor einem „Missbrauch des Sozialstaats“ warnen, schließlich könnten Selbstständige „ihr Einkommen so herunterrechnen“, dass sie zwar „auf dem Papier Anspruch“ hätten, tatsächlich jedoch gar nicht auf das Geld angewiesen seien.

Man hätte bei der Gelegenheit natürlich auch erwähnen können, dass vor nicht allzu langer Zeit auf Seiten der Politik sehr angestrengt jede Menge heruntergerechnet wurde, um bloß den „HartzIV“-Regelsatz nicht erhöhen zu müssen. Und man hätte genau so erwähnen können, dass Langzeitarbeitslose von Jobcentern in fragwürdige Selbstständigkeiten gedrängt werden, damit man sie aus der Arbeitslosenliste streichen kann. Hat man aber nicht. Und so einseitig informiert ist das, was wieder einmal übrig bleibt, die leichtfertige Unterstellung, der Sozialstaat würde missbraucht, diesmal nicht von Westerwelle, sondern von Experten.

Eine andere kürzliche Information betraf „die deutschen Arbeitnehmer“, die sich im Jahr 2010 so oft krankschreiben ließen, wie lange nicht mehr, mit einer ärztlich verordneten Fehlzeit von 8,1 Tagen pro Arbeitnehmer, rein statistisch, versteht sich. Und auch hier werden irgendwelche (diesmal: „Arbeitsmarkt“-) Experten zitiert, die das auf die „gute Konjuktur“ und die „gefühlte Arbeitsplatzsicherheit“ zurückführen, während die Arbeitnehmer in Zeiten schlechter Konjunktur aus Sorge um ihren Arbeitsplatz lieber den Gang zum Arzt vermeiden würden.

Man hätte bei der Gelegenheit natürlich auch erwähnen können, wie oft Letzteres wohl in den vergangenen Jahren tatsächlich passiert ist, wie oft sich Arbeitnehmer kränklich zur Arbeit ge- und dadurch ihr Leiden verschleppt haben, und kurz vor dem endgültigen Kollaps dann doch zum Arzt gingen. Hat man aber nicht. Und so legt die einseitige Information auch hier eine Unterstellung nahe: das von Experten gemalte Bild nicht von Menschen, die arbeiten, bis sie umfallen, sondern gern mal einen Tag „blau machen“.
Ganz so, wie es eben nützlich ist und gebraucht wird. Von irgendwem. Für irgendetwas.

Mittwoch, 1. Juni 2011

geregelter Kaufrausch.



Seit nun schon längerer Zeit denke und arbeite ich an einem Wertewandel bzw. an verschiedenen Ansätzen, um diesen längst überfälligen Wertewandel nicht nur als schönere Zukunft irgendwie irgendwann haben zu wollen, sondern klar umrissen, im wörtlichen Sinne be(-)greifbar und umsetzbar zu machen. Dabei fallen einem Sachen in die Hände und kommen einem Sachen vor das Auge, die mitunter erstaunlich sind.

Ich möchte den geneigten Leser in Zukunft über diesen „NotizBlog“ auch etwas mehr an meinem Wirken an einem Wertewandel teilhaben lassen. Wie Sie vielleicht bereits bemerkt haben, habe ich den Untertitel kürzlich entsprechend geändert: „Im Namen des Menschen“. Denn genau so ist es: Die Menschheit ist dabei, in ihrem Namen, für ihre kurzsichtigen Zwecke den Planeten zu zerstören. Doch es hätte zweifellos einige Vorteile, das – im Namen des Menschen – zu verhindern, in einer gewissen Verantwortung für nächste Generationen, Natur und Mitgeschöpfe.

Was mir nun also kürzlich vor das Auge kam, waren mehrere Regeln für die optimale Konsumgesellschaft, quasi von der Erziehung des Menschen vom unschuldigen Kind zum „Profi-Verbraucher“ und „Konsumenten aus Leidenschaft“. Als da wären:

1. Die „Du brauchst mehr als nur einen Schlips“-Methode (Anm.: Man könnte hier den Zweitwagen als Beispiel anführen, der jedoch heute dermaßen selbstverständlich ist, dass er sich kaum eignet, Nachdenklichkeit zu bewirken. Anders vielleicht das vermeintlich zwingend notwendige „Zweit“- oder gar „Dritt-Handy“)

2. Das „Wegwerf-Prinzip“ (Anm.: Wie wir wissen… neu kaufen ist billiger als reparieren lassen, wobei sich das meiste heute noch nicht einmal mehr überhaupt reparieren lässt und der Gedanke daran fast schon nostalgisch anmutet)

3. Das „Prinzip des permanenten technischen Fortschritts“ (Anm.: Was man auch kauft, es wird in einem Jahr etwas Besseres auf dem Markt sein, das vielleicht nicht schöner und nicht praktischer ist, doch wer kann es sich schon leisten, nicht auf dem neuesten Stand zu sein)

4. Der „Trick der vorgeplanten Ablaufzeit“ (Anm.: Technische Geräte werden ab Werk so produziert, dass sie nach einer vorgeplanten Lebensdauer auf den Tag genau dasselbe aushauchen, nach Regel Nummer 2 irreparabel, bitte neu kaufen, nach Regel Nummer 3 dann bitte auch das Neueste)

5. Die „Taktik des Modellwechsels“ (Anm.: Für das alte Gerätemodell gibt es leider keine Orginalersatzteile mehr zu kaufen, für veraltete Software wird jede Hilfeleistung des Herstellers ersatzlos gestrichen und das vor 1 1/2 Jahren gekaufte Auto hat einen immensen Wertverlust, weil es inzwischen das „alte Modell“ ist)

6. Das „System der Verkomplizierung“ (Anm.: Es wird absichtlich kompliziert produziert, sodass man irgend etwas zusätzliches kaufen und/oder eine kostspielige Telefon-Hotline anrufen muss, um damit annähernd klar zu kommen)

7. Die „Sie brauchen kein Geld“-Methode (Anm.: Bestens bekannt durch „Null-Prozent-Finanzierung“ und „Heute-kaufen-in-einem-Jahr-zahlen“-Aktionen)

8. Das „Verkaufe an Kinder, wenn die Alten genug haben“-Prinzip (Anm.: Was gibt es heute noch, das nicht auch ganz speziell „für Kids“ zu haben ist?)

Dieses „Regelwerk“ mag so noch nicht wirkllich überraschen. Deutlich überraschender wird es allerdings bei der Kenntnis, dass es im Jahr 1960(!) aufgestellt wurde, Autor bis heute unbekannt.

Ich möchte ganz persönlich noch als neunte Regel hinzufügen: „Mache irgend etwas zum Problem, das bisher noch nie ein Problem gewesen ist, um dafür die passende Lösung anzubieten“; und als zehnte: „Trichtere den Menschen ein, dass genau an der Stelle, wo sie mit einer diesen Regeln nicht mithalten können, die soziale Ausgrenzung und/oder Armut beginnt“.

Dienstag, 31. Mai 2011

fragwürdig gebildet.



Wenn es noch eines letzten Beweises bedurfte, wie eklatant groß im deklarierten und propagierten „Bildungszeitalter“ die klaffende Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist, dann wurde dieser Beweis gestern Abend öffentlich im Fernsehen gesendet. Womöglich noch viel schlimmer ist jedoch das, was in diesem Zusammenhang deutlich unauffälliger und raffinierter passiert.

Kennen Sie „Planking“ (engl., sprich: „plänking“)? Das hängt mit einiger Wahrscheinlichkeit von Ihrem Lebensalter ab. Und davon, ob auch Sie gestern Abend beabsichtigt oder zufällig ein so genanntes „Boulevard Magazin“ des Privatsenders RTL gesehen haben. Bei „Planking“ handelt es sich um eine absonderliche, vornehmlich bei jüngeren Menschen angeblich zunehmend beliebte „Freizeitbeschäftigung“, bei der man sich „an möglichst außergewöhnlichen Stellen flach wie ein Brett hinlegt“, beispielsweise längs auf einem wenige Zentimeter schmalen Brückengeländer oder auf der Spitze eines Baukrans, je „spektakulärer“ desto besser. ( siehe auch: http://www.youtube.com/watch?v=rObgXiQEV8g )

Wo manch einer vielleicht dazu neigt, das Ganze mit einem kleinen Kopfschütteln zur Kenntnis zu nehmen und es dabei auch zu belassen, erbrachte RTL den wenig überraschenden Nachweis, dass sich daraus glatt ein rund zehnminütiger, teils dramatischer Bericht anfertigen lässt – einleitend mit den Worten: „Warum machen Menschen so etwas und wieso begeben sie sich dabei in Gefahr?“. Zwei interessante Fragen. Eine andere interessante Frage wäre: Warum halten das Redakteure, darunter womöglich sogar Journalisten, für so wissens- und berichtenswert, um daraus einen Bericht zu zimmern? Und das, wohlgemerkt, wo dieses Magazin laut RTL-Homepage unter der Rubrik „Information“ läuft, nicht etwa als „Unterhaltung“.

Dabei sollte man allerdings nicht den Fehler machen, diesen absurden Teil unseren Bildungszeitalters auf die fragwürdige Existenz von „Boulevard Magazinen“ zurückzuführen. Denn – apropos „Fehler“ – dazu sind auch seriöse, angesehene Nachrichtenmagazine in der Lage: So wurde aus dem Bereich „Wissenschaft“ ganz seriös über die „Psychologie des Fehlermachens“ und die neuesten Erkenntnisse eines Psychologenpärchens berichtet – in der Qualität durchaus vergleichbar mit „Planking“ und dazugehöriger Berichterstattung.

Demnach würden wir (wir alle) grundsätzlich zu der subjektiven Gewissheit neigen, das Richtige zu tun, obwohl es nach objektiver Faktenlage das Falsche ist. An erster Stelle wäre hier sicherlich zunächst die Frage angebracht, ob eventuell die beiden Psychologen mitsamt ihren Erkenntnissen davon mitbetroffen sein könnten.
Zweitens darf man das schon alleine deshalb in Erwägung ziehen, weil die beiden ihre als „Wissenschaft“ deklarierten Vermutungen u.a. auf „die Architektur des Gedächtnisses“ zurückführen, denn schließlich sind Psychologen keine Neuro- und Gehirnforscher.
Drittens ist das, was jeweils „richtig“ und „falsch“ und was überhaupt eine „Entscheidung“ ist, in erster Linie eine Frage, die in das Gebiet der Erkenntnistheorie fällt, und damit in einen Bereich, in dem Psychologen nicht ernstzunehmen sind, wenn sie darauf ihre Argumentation aufbauen.

Diese Fragwürdigkeiten jedoch scheinen ein seriöses Nachrichtenmagazin genau so wenig von einer Berichterstattung an die Öffentlichkeit abzuhalten, wie ein „Boulevard Magazin“ vom „Planking“. Und das mitten in unserem „Bildungszeitalter“, das jedoch vielleicht gerade deshalb so bezeichnet wird, weil es eine Herausforderung sein kann zu beurteilen, was nun tatsächlich „Bildung“ ist und was nicht.
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Dienstag, 10. Mai 2011

sorglos durchzogen.






Wenn man möchte (und ich neige durchaus dazu, das zu möchten), kann man die Art und Weise, wie heute mit der Sprache umgegangen, und die Sorglosigkeit, mit der irgendetwas mal eben dahingeschwafelt wird, analog auf andere Ebenen des gemeinsamen Miteinanders übertragen – und gewinnt so mitunter interessante Einblicke in den Zustand unserer Gesellschaft.

In letzter Zeit (siehe auch meine letzten Blog-Einträge) stoße ich permanent auf sprachliche Auffälligkeiten. Kenner einer bestimmten Materie wissen, dass das irgendwie mit „Resonanzen“ zu tun hat, und man sich deshalb nicht dagegen wehren kann. Ich weise nur vorsorglich darauf hin, damit der geneigte Leser nicht zu dem Schluss gelangt, ich würde mich zurzeit hartnäckig auf diese Thematik stürzen.

Nehmen wir die RTL-Show „Deutschland sucht den Superstar“, die vorletzte Ausgabe: Allein in den knapp zwanzig Minuten, die ich als Zuschauer erleben durfte, kamen mir drei sprachliche Unzulänglichkeiten zu Ohren.
Nummer Eins: „Es war zu sehen, da ist dir ein Stein von den Schultern gefallen“, ein bewusstloser (pardon: unbewusst geäußerter) Mix aus den beiden Redewendungen „Eine Last von den Schultern… “ und „Ein Stein vom Herzen gefallen“.
Nummer Zwei: „Bei dem Lied hast Deine Herzklappe ganz weit geöffnet“, was der angesprochenen Interpretin Gott sei Dank natürlich so nicht passiert ist.
Nummer Drei: „Wer die unaktivsten Fans hat, fliegt raus“, was im genau so verkorksten Gegenteil heißen würde „Wer die unpassivsten Fans hat, gewinnt“.

Sicherlich: man muss nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, niemand ist fehlerfrei und überhaupt geht es bei einer solchen Show nun einmal nicht um journalistischen Tiefgang, sondern um einfache Unterhaltung. In Ordnung.
Eine Frage, die man (sich) stellen kann, lautet allerdings: Wohin führt das, wenn rund 7 Millionen Zuschauer öffentlich vorgeführt bekommen, dass man „es nicht so genau nehmen“ muss(?). Erst recht, wenn die handelnden Personen einen Vorbildcharakter für so einige Zuschauer haben, und das auch noch gerade für Kinder und Jugendliche … in einer Leistungsgesellschaft der Leistungsträger… in der man „es nicht so genau nehmen“ muss(?).

Diese Art von Sorglosigkeit durchzieht unsere Gesellschaft. Fragen Sie einmal Mitarbeiter der Autobahnmeisterei, welche Unmengen von Restmüll sorglos aus fahrenden Autos geworfen wird. Dazu Fahrradfahrer, die sich keinen Deut um „rote“ Ampeln und Fußgängerzonen scheren, und Jugendliche, die es beim eigenen Spaß an ihren laut knatternden Mopeds nicht im Geringsten interessiert, ob sie damit ihren Mitmenschen auf die Nerven gehen. Und Sie? Vielleicht parken auch Sie zwischendurch Ihren Wagen an einer Stelle, wo das eigentlich – wahrscheinlich sogar aus guten Gründen – nicht erlaubt ist(?), ist schließlich „nur kurz“.

Dienstag, 26. April 2011

sprachlich verwittert.

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Irgendwann zwischendurch an den Osterfeiertagen war es wieder einmal so weit, dass sich mediale sprachliche Holperer zunächst in meinem Gehörgang und dann in den Hirnwindungen verfingen. Dabei muss natürlich nicht jeder, der sich über Massenmedien gegenüber der Öffentlichkeit äußern darf, auch besonderen Wert auf seinen sprachlichen Ausdruck legen. Doch es eignet sich prima für ein paar eigene Übungseinheiten in Sachen „Denksport“.
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Interessanterweise war es zweimal unabhängig voneinander der Wetterbericht, der mich zum Stutzen brachte, das eine Mal im Fernsehen, das andere Mal im Hörfunk. Wobei es aus sprachlicher Sicht schon mindestens ebenso interessant ist, wie sich die frühere, quasi hellseherische „Wettervorhersage“ zum eher bürokratischen „Wetterbericht“ wandelte, der wiederum zwischendurch immer mal wieder als „Wetterprognose“ den Glanz wissenschaftlicher Exactheit verliehen bekommt.
Man kann sich förmlich vorstellen, wie die jeweiligen Programmdirektoren der jeweiligen Sender mit den jeweiligen Wetterdatenlieferanten in hochwichtigen, stundenlangen Meetings darüber streiten, welcher dieser Begriffe jeweils verwendet wird, wahrscheinlich auch abhängig vom Preisunterschied zwischen einer Vorhersage und einer Prognose, nicht erst seit Kachelmann.
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Eine andere meteorologisch-sprachliche Fragwürdigkeit ist die „gefühlte Temperatur“, die vornehmlich in den Wintermonaten verkündet wird: Wobei sich jedoch allenfalls ein gewisser Eindruck von Wärme und Kälte fühlen lässt, aber wohl kaum eine rein physikalische Größe wie „Temperatur“. Ein Mensch mit eingeschränkter Sehkraft sieht schließlich auch keine „Dioptrie“, sondern unscharf. Doch das nur nebenbei und zurück zu den beiden sprachlichen Phänomenen der Osterfeiertage:
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Da meinte eine Diplom-Meteorologin im ZDF gleich zweimal, das Wetter würde in der kommenden Woche wechselhafter (ein Begriff, der im Rahmen eines Wetterberichts hochgradig amüsant ist, denn wenn das Wetter irgendetwas auszeichnet, dann ist es vor allem seine permanente Wechselhaftigkeit). Das Wetter wird demnach also nicht nur wechselhaft, sondern noch wechselhafter als wechselhaft. Man darf gespannt sein. Womöglich ist es auch nur die fachliche Formulierung für „Wir haben leider keine Ahnung und sind noch ahnungsloser als ahnungslos“.
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Das zweite sprachliche Phänomen, das über den Hörfunk ausgesendet wurde, war dabei etwas kniffliger: „In den nächsten Tagen bleibt es unbeständig“. Wenn irgend etwas „bleibt“, dann beschreibt das einen stabilen Zustand, der bis zur Ewigkeit reichen kann. Wenn dagegen etwas „unbeständig“ ist, handelt es sich um einen in Veränderung befindlichen Vorgang. Wie passt das zusammen?
Doch zugestanden: wenn ich mich auf der Autobahn A7 zwischen Füssen und Flensburg bewege, bin ich zwar sehr unbeständig sekündlich an einer anderen Stelle, doch es lässt sich immerhin sagen, ich bleibe dabei beständig auf der Autobahn. Irgendwo. Und so ungefähr wird auch das Wetter. Oder wie?
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Donnerstag, 14. April 2011

informativ schiefgelegen (2)


Mitte 2009 legte sich das ZDF ein nagelneues, 700 Quadratmeter großes, „revolutionäres“ Nachrichtenstudio auf dem neuesten Stand der Technik zu, Kostenpunkt 30 Millionen Euro, finanziert vom Gebührenzahler, und kein Mensch regte sich über diese vorsätzliche Geldverpuffung auf. Wenn man tatsächlich der Ansicht ist, Nachrichten müssten heute mit einem Unterhaltungswert angereichert sein, dann war das „heute journal“ vorgestern Abend jedenfalls besonders gelungen.

Aus Gründen ausgleichender Gerechtigkeit, muss ich mich heute einmal mit dem ZDF befassen, wo ich doch kürzlich den ARD „Brennpunkt“ leicht kritisierte. Auch das ZDF hat ein Recht darauf, gebührend betrachtet zu werden.

Offenbar war es nur mit millionenschwerer, modernster Computertechnik möglich, den Moderator des „heute journal“ im „virtuellen Erklärraum“ in virtueller Umgebung zum x-ten Mal ganz real erklären zu lassen, was bei der Atomkatastrophe in Fukushima so alles schief gegangen ist und noch schiefer gehen könnte.
Das Ganze erinnerte (siehe Bilder) unvermeidlich an „Weihnachten bei Hoppenstedts“: „Noch den Neutronenbeschleuniger einsetzen, die Sicherheitskuppel oben drauf und wenn wir etwas falsch gemacht haben, dann soll es jetzt Puff machen“.

Bei einem solch umwerfenden optischen Knaller lässt man sich fast davon ablenken, was der Moderator eigentlich sagt, was allerdings auch genau so gedacht sein könnte, um sich sprachliche Feinarbeit zu sparen.
Zum Beispiel: „Das Reaktorunglück ist heute Abend keinen Deut gefährlicher als es gestern Abend schon war […]“ und „obwohl aus Tschernobyl am Ende zehn Mal mehr Radioaktivität austrat als bisher aus Fukushima“ sind als Behauptungen eher leichtfertig, wenn der Moderator nicht sagt, woher er das eigentlich weiß.
Oder auch: „Da wurde improvisiert: Meerwasser, Feuerwehrschläuche, alles, was kühlte, war recht“. Wobei ich arg bezweifeln möchte, dass Feuerwehrschläuche außer ihrem Zweck, Wasser und Löschmittel von A nach B zu transportieren, auch einen Kühleffekt haben.

Nachdem man anfänglich nahezu jede Möglichkeit ausreizte, mit der nagelneuen Computertechnik alles Erdenkliche, jedes Bild, jede Grafik, jede Schrifteinblendung, als drehende, schwebende, kreiselnde Animation darzustellen, werden diese Effekte erfreulicherweise inzwischen sparsamer eingesetzt, sodass dem Zuschauer etwas weniger schwindelig wird, wenn er die Nachrichten verfolgen möchte.
Ein weiterhin ungeklärtes Rätsel bleibt dagegen, warum sich im virtuellen Hintergrund gleich vier (selbstverständlich: animierte) Weltkugeln befinden, wo wir doch nachweislich auf nur einem Planeten leben, oder ob auch das lediglich dem Unterhaltungswert dienen soll.

Hauptsache, man fühlt sich bestens informiert.

Montag, 11. April 2011

menschlich inkonsequent.


Wie war das noch, als Kanzlerin Angela Merkel angesichts der Folgen der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima auch die Atomkraft hierzulande in Frage stellte: man kritisierte das als „Schlingerkurs“. Genau so gut hätte man natürlich wohlwollend erfreut sein können, dass hier jemand eventuell dazugelernt und seine Sichtweise, Meinung und Überzeugung geändert haben könnte.

Was ist also nun konsequent: An einer einmal getroffenen Entscheidung festzuhalten, komme, was da wolle, koste es, was es wolle – oder sie bei Notwendigkeit, bei einer neuen Situation, bei veränderter (Er-)Kenntnislage einsichtig zu revidieren?

Und Guido Westerwelle? Nein, wirklich spontan hat er den FDP-Parteivorsitz und die Vizekanzlerschaft nicht aufgegeben. Wer will ihm das verdenken? Dabei wäre es nach den jüngsten Wahlschlappen nur konsequent gewesen, das Handtuch zu werfen. Oder wäre es nicht eher konsequent gewesen, das Ruder auch bei Sturm in der Hand zu behalten statt als Kapitän das im Sinken begriffene Schiff zu verlassen? Auch hier wieder die Frage: Was ist nun konsequent?

Und „Otto Normalbürger“ und der zurzeit diskutierte „Atomausstieg“? Eine ganze Menge Menschen sind dafür, Atomkraftwerke durch „alternative Energiequellen“ zu ersetzen, und das möglichst schnell, ohne Hin und Her und ganz konsequent. Weit weniger konsequent ist man jedoch, wenn es darum geht, wo der entsprechende Atommüll entgelagert und wo Windkraftanlagen und neue Stromtrassen hingesetzt werden sollen: irgendwo hin, nur bitte nicht in der unmittelbaren eigenen Nähe. Wie konsequent ist das?

Und die Einführung des gleichfalls zurzeit diskutierten „E 10“-Kraftstoffes? In der Sorge um den eigenen Wagen wird dieses Gemisch vom deutschen Autofahrer konsequent verweigert, der jedoch keine Veranlassung sieht, sich genau so um seinen eigenen Körper zu sorgen, indem er FastFood und industrielle Lebensmittel in ebensolcher Konsequenz ablehnen würde. Wie konsequent ist das?

Es hat sich in den Köpfen festgesetzt, dass Konsequenz irgend so etwas ist wie Beharrlichkeit, Unbeirrbarkeit, Geradlinigkeit, und damit etwas Gutes. Tatsächlich jedoch ist Konsequenz dem Duden nach „folgerichtiges Handeln“, also reine Logik, pure Rationalität, auf dem qualitativen Niveau eines Rechenschiebers, ein Handeln mit Kalkül, berechnend und von anderen berechenbar – was nur vergleichsweise wenige Menschen tatsächlich als etwas Positives betrachten werden.

Inkonsequenz ist entsprechend ein „Mangel an Folgerichtigkeit“, als ob es sich dabei um ein Defizit handeln würde, als sei ein Denken und Handeln jenseits von Logik, Rationalität und berechnendem Kalkül eine problematische Schwäche, weil einem damit jeder moderne Toaster überlegen wäre, der ganz konsequent das tut, was er bitteschön tun soll.

Und mit dieser Kenntnis können wir nun noch einmal hinterfragen, wie konsequent u.a. Politiker, Manager und Otto Normalbürger denken und handeln und was man da eigentlich tatsächlich üblicherweise erwartet.