Montag, 31. Januar 2011

Revolution in Graustufen.

Erst Tunesien. Jetzt Ägypten. Freiheit und Demokratie siegen über Alleinherrschaften und Polizeistaaten. Jetzt wird auch in Arabien alles gut werden. Oder? Zumindest so gut, wie im vorher schon befreiten und demokratisierten Irak und in Afghanistan? Oder was lernen wir daraus?
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Das erste, was wir lernen können, ist die Medialisierung solcher Krisen. Ging es früher einmal darum, feindliche Burgen zu stürmen, hatte nach dem Zweiten Weltkrieg das Besetzen von TV-Sendezentralen oberste Priorität: wer das Massenmedium kontrolliert, kontrolliert die öffentliche Meinung.
Heute dagegen wird nichts mehr gestürmt, es wird nichts mehr besetzt, es werden Knöpfchen gedrückt. Zunächst die Tasten und Knöpfchen von Computern und Mobiltelefonen, über die sich die Aufständischen per SMS, eMails, Blogs und Foren untereinander und die Weltöffentlichkeit informierten, dann anschließend als der ägyptische Staatspräsident kurzerhand per Knöpfchendruck das Mobilfunknetz und Internet lahmlegen ließ.
Die Internetseite eines Nachrichtenmagazins wiederum ließ seine Leser in einem minütlich aktualisierten „Live-Ticker“ am Aufstand in Ägypten teilhaben, also quasi ganz „wie live dabei“, mit einem „Service“, den man so bisher lediglich von größeren Sportereignissen oder von bedeutenden Wahlen kannte. Nicht unwahrscheinlich, dass darin auch die Zahl der Toten ständig aktuell präsentiert wurde, schließlich muss man informiert sein, und das hat mit Moral erst einmal nichts zu tun.
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In Tunesien haben es die Menschen bereits erreicht, in Ägypten sind sie kurz davor: „Weg mit dem Regime“ lautet die Parole, irgendwie in Richtung Freiheit und Demokratie. Die aktuellsten Beispiele ähnlicher Vorhaben im Irak und in Afghanistan scheinen nicht sonderlich abschreckend gewirkt zu haben: keine Wahl, die nicht unter Manipulationsverdacht steht, kein Wahltag, an dem nicht Hunderte von Bombenanschlägen stattfinden. Doch das immerhin… in Freiheit und Demokratie.
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Nicht ganz uninteressant ist, wenn beim US-amerikanischen Nachrichtensender „CNN“ über „Egypt In Crisis“ referiert wird, und ein Fachexperte die Frage in den Mittelpunkt der Bedeutsamkeit stellt, wer wohl eigentlich jetzt, heute oder morgen die Kontrolle über den Suezkanal hat? Schließlich passieren hier die etlichen Containerschiffe, die all die Waren aus Fernost nach Europa transportieren, und ansonsten den gefährlichen, zeitraubenden und kostenträchtigen Umweg um den gesamten afrikanischen Kontinent nehmen müssten.
Und so landet man – kaum, dass Menschen für ihre Freiheit auf die Straße gegangen sind – prompt bei den wirklich bedeutsamen Folgen eines Aufstandes, nämlich bei den ökonomischen. Während das gemeine Volk in Tunesien und Ägypten noch immer von Freiheit und Demokratie beseelt sein Leben riskiert, finden an anderen Stellen längst völlig andere Überlegungen statt, in denen diese Menschen gerade noch eine Nebenrolle spielen; wenn überhaupt.
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Und so überrascht es dann auch nur noch wenig, wenn in der „Zeit“ allen Ernstes das „Pro-Kopf-Einkommen“ in Tunesien als mitentscheidender Revolutionsfaktor genannt wird. So hätte Tunesien das höchste „Pro-Kopf-Einkommen“ in der „Arabischen Liga“, würde für Bildung weit mehr Geld ausgeben als deren andere Mitgliedsstaaten, und hätte sich mit einer Exportquote von 40% des Bruttoinlandsproduktes stärker als alle anderen Mitgliedsstaaten nach außen geöffnet. Das fast logische Ergebnis sei eine – für arabische Verhältnisse – starke, gebildete Mittelschicht als „klassischer Motor der Demokratisierung“. Bei einer solch bestechenden Logik muss man gleich einmal überlegen, wie viele Revolutionen eigentlich von Ökonomen angeführt wurden.
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Keine weiteren Fragen.
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