Montag, 14. März 2011

strahlend wachgerüttelt.

Ein Erdbeben, ein Tsunami, drei Atomkraftwerke kurz vor dem GAU und ein Vulkanausbruch noch dazu. Innerhalb von ein paar Stunden ist die weltweit drittgrößte Volkswirtschaft, die mit ihrer Hochtechnologie einst dem Westen das Fürchten lehrte, nun auf jede Hilfe angewiesen, die es bekommen kann – all die Toyotas, Sonys, Hitachis und Toshibas… belanglos. Eine bittere Lehrstunde für alle, die noch immer an die Allmacht der Technologie glauben. Eigentlich.
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Gerade, wenn man mit dem gewaltigen medialen Eindruck einer solchen Mehrfach-Katastrophe konfrontiert wird, kann es lohnend sein, sich ein wenig mit dessen Neben- und Randerscheinungen zu beschäftigen. Erstens, weil sie ansonsten durch den Eindruck verloren gehen, und weil sie zweitens später, wenn sich die Lage medial beruhigt hat, nicht mehr nachholbar sind.
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Gleich, nachdem von Japans Regierung zugestanden wurde, dass es „Probleme“ in einem Atomkraftwerk geben würde, wurde die Evakuierung des Umlandes in einem Radius von 3 Kilometern angeordnet, der ein paar Stunden später auf 10 Kilometer, und ein paar Stunden später auf 20 Kilometer ausgeweitet wurde.
Dazu möge man sich bewusst machen: Noch heute ist rund um Tschernobyl ein Gebiet von 7.000 (!) Quadratkilometern Sperrzone. Das ist zwar in Japan kaum zu realisieren, lässt jedoch die vergleichsweise Lächerlichkeit eines Evakuierungsradius von 20 Kilometern erahnen.
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Ein Nachrichtensender, der aufgrund seines Nachrichtenkonzeptes immer etwas haben muss, das eine „Nachricht“ ist, auch wenn es nichts Neues zu berichten gibt, versuchte eine Nachrichtenpause mit der naiven Frage zu überbrücken „ob sich solche Katastrophen nicht vorhersagen lassen“.
Man möchte meinen: Natürlich ist das möglich. Man tut es nur nicht. Vielleicht, damit sich aufwendige Katastrophenübungen und teuer angeschaffte Geräte auch einmal in der Praxis bewähren können. Oder wie?
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Am Samstag hieß es dann, dass die japanische Regierung Jodtabletten an die Bevölkerung verteilt. Wie es heißt, verhindert Jod, dass sich eingeatmete, radioaktiv verseuchte Luftpartikel in der Schilddrüse anreichern. Immerhin. So lässt sich später diagnostizieren: „Sie sind zwar radioaktiv verstrahlt, Sie sollten besser keine Kinder zeugen und sterben ein paar Jahre früher, aber Ihre Schilddrüse ist in Ordnung“.
Mich erinnerte das spontan an einen Dialog aus der satirischen Trilogie „Per Anhalter durch die Galaxis“, in dem es um den kurz bevorstehenden Weltuntergang geht: „Können wir denn gar nichts dagegen tun?“ – „Nein, nichts“ – „Ich dachte, wenn die Welt untergeht, müssen wir uns auf den Boden legen oder eine Papiertüte über den Kopf ziehen“ – „Wenn’s ihnen Spaß macht“ – „Und? Hilft das?“ – „Nein“.
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Überhaupt: Laut dem japanischen Regierungssprecher bestehe trotz möglicher Kernschmelzen „keine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit“. Nicht unmittelbar, da hat er sicherlich recht. Das ganze Dilemma wird sich erst mittelbar in den nächsten Generationen offenbaren, denn schließlich beschädigt radioaktive Strahlung vornehmlich Zellkerne und das Erbgut von Lebewesen. Für heute genügen ein paar Jodtabletten, um sich beruhigt zu fühlen. Achja: und bitte vorerst keinen Salat essen, das ist aus Zeiten der Tschernobyl-Katastrophe noch bestens bekannt.
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Den Kompetenzvogel abgeschossen hat jedoch am Wochenende unser Bundesumweltminister Röttgen, der tatsächlich verkündete „für Deutschland besteht keine Gefahr, dafür ist Japan einfach viel zu weit weg“. Ein Umweltminister, der von Ökologie so rein überhaupt keine Ahnung zu haben scheint, von globaler Staubverbreitung und Nahrungsketten, ist definitiv Fehl an seinem Platz.
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Und dann wären da noch „Die Folgen für die Weltwirtschaft“, wie es unvermeidlich thematisiert wurde: „Ein ökonomischer Absturz in Fernost würde auch Deutschlands Aufschwung gefährden“, hieß es. Das Zynische daran: Das stimmt sogar. In einer Welt, die sich von der Ökonomie komplett abhängig macht, von Börsenkursen, Wachstumsraten und Bruttoinlandsprodukten, geht ohne Geld gar nichts mehr – auch keine Behebung von Katastrophenschäden und kein Wiederaufbau.
Schließlich sollte man nicht glauben, dass die internationale Hilfe für Japan umsonst wäre. Wenn Deutschland Spezialhilfskräfte des THW nach Japan schickt und die USA mit u.a. Flugzeugträgern und Hubschraubern helfen… die Japaner werden dafür eine Rechnung bekommen; auch Hilfe kostet eben Geld.
In Deutschland zumindest regelt das sogar ein Gesetz, nämlich das „Gesetz zur Behebung einer Notlage“, insbesondere bei „konsularischer Hilfe“. Das können Deutsche bestätigen, die irgendwo im Ausland verschleppt, nach etlichen Wochen Geisel-Gefangenschaft frei gelassen, mit deutscher Konsulatshilfe wieder nach Hause geflogen wurden, und vom Auswärtigen Amt eine Rechnung in fünfstelliger Höhe bekamen, zahlbar an die Staatskasse, Ratenzahlung auf Antrag.
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Last but not least lautet der Aufmacher der neuen „SPIEGEL“-Ausgabe: „Fukushima 12. März 2011, 15.36 Uhr – Das Ende des Atomzeitalters“. Da konnte die „SPIEGEL“-Redaktion allerdings noch nicht wissen, dass der chinesische Regierungschef Wen Jiabao auf einer Pressekonferenz heute morgen verkünden würde, dass China bis zum Jahr 2020 ein paar Dutzend neue Atomkraftwerke bauen wird, zusätzlich zu den 20, die alleine dort bereits im Bau sind. Man kann sich schließlich präventiv schon einmal mit Jodtabletten eindecken, fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

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