Freitag, 7. Oktober 2011

informativ bankrott.

Wir können aufatmen: Der deutsche Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Rettung Europas ist nach einigem politischen Tammtamm gesichert, der europäische „Rettungsschirm“ kann endlich aufgespannt werden. Doch ein kleiner Blick darauf, was hier eigentlich gerettet werden soll (und vor allem: was nicht), macht das Ganze noch deutlich fragwürdiger als es ohnehin schon ist.

Der Euro-Rettungsfonds „EFSF“, „European Financial Stability Facility“, der „Rettungsschirm“ nämlich ist – in erster Linie – der Versuch, ein Wirtschaftssystem zu retten, das die Grenzen des Sarkasmus längst überschritten hat.
Etwa, wenn ein Schweizer Pharmakonzern griechische Krankenhäuser, die in akuter Geldnot sind, prompt nicht mehr mit Medikamenten beliefert, oder wenn das strikte Rauchverbot in griechischen Gaststätten gekippt wird, indem sich ein Wirt nun mit 200 Euro pro Quadratmeter davon freikaufen kann. Rauchen kann laut der EG-Gesundheitsminister angeblich tödlich sein. Doch wenn es hilft, den Staatshaushalt zu sanieren, ist es diese Opfer scheinbar wert.

Zum anderen ist da eine recht ironische Nähe zwischen den Kürzeln des Rettungsfonds „EFSF“ und dem „EFTS“ („Electronic Fund Transfer System“, u.a.: „Electronic Banking“), das sehr viel mehr zum eigentlichen Kernproblem gehört, an dem jedoch die Idee des Rettungsschirms haarscharf vorbeirauscht. Beträchtlicher Teil des eigentlichen Kernproblems nämlich ist nicht die Kreditwürdigkeit eines Staates, nicht „der Euro“ und nicht das Geld, sondern die Information über Geld.

Spätestens seit dem das „Electronic Banking“ möglich und inzwischen zur Normalität wurde, finden Geldtransfers weitgehend vollautomatisiert statt, ohne Zeitverzug durch menschliche Bearbeitung, sofort, auf der Stelle und „in Echtzeit“. Wenn früher die 864 Kunden einer kleinstädtischen Bank gleichzeitig Geld überweisen wollten, mussten sie dafür Schlange stehen, zahlreiche Bankangestellte hatten alle Hände voll zu tun, um die Formulare nacheinander abzuarbeiten. Heute können erheblich mehr als 864 Menschen ihre Überweisungen am Computer selbst vornehmen – allesamt gleichzeitig.

Auf diese Weise werden mit dem selben Geld in der selben Zeit heute rund zehnmal mehr Transaktionen durchgeführt als vor dem Zeitalter des „Electronic Banking“. In globalisierten und datenvernetzten Zeiten beeinflusst so die bloße Information über z.B. eine zu erwartende Missernte bei Kaffeebohnen innerhalb von Sekunden den Kaffeepreis – weit bevor die Missernte tatsächlich eintritt. Und die bloße Spekulation (also: kursierende Information) über die angeblich drohende Pleite eines Staates manövriert das betroffene Land tatsächlich in akute Finanzprobleme, die es vorher gar nicht hatte.



Das Dumme ist nun: Die Wirtschaftstheorie ist grundsätzlich seit dem 17. Jahrhundert völlig unverändert. Deshalb spielt u.v.a. auch der Faktor Information darin nicht die geringste Rolle, also auch nicht die Information über Geld, geschweige denn deren extreme Beschleunigung bis hin zur „Echtzeit“ durch Datenverarbeitung und Internet, geschweige denn die daraus entstandene „Globalisierung“.

Mindestens ebenso dumm: Der Faktor Information unterliegt nicht den sonst üblichen Bedingungen des Handels. Wenn sich eine Information verbreitet, dann verfügen in Windeseile sämtliche Eingeweihten, mitunter Millionen Menschen, darüber. Und das löst eine wesentliche Voraussetzung der steinalten Wirtschaftstheorie – nämlich: Knappheit – in Luft auf.

Das alles sind – nur wenige beispielhafte – Gründe, warum nicht nur der „Retttungsschirm“ und „Rettungsfonds“ die Anführungsstriche zwingend erforderlich macht, sondern dass viel mehr eine ganz andere Rettung erforderlich wäre: unser aller Rettung vor diesem maroden, zukunftsfeindlichen Wirtschaftssystem.
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