Montag, 17. Oktober 2011

vorübergehend besetzt.



„Occupy Wall Street“. Aus ein paar Menschen, die in den USA mit den dort üblichen Pappschildern gegen „die Macht der Banken“ protestierten, sind ein paar Tausend weltweit geworden. Das soll erst der Anfang sein. Aber: wovon genau? Zunächst einmal ist es der Anfang davon, dass spontane, schlichte Unmutsäußerung zu einer organisierten Bewegung gemacht wird – was gleichzeitig der bedauerliche Anfang vom Ende sein könnte.

Eine – vergleichsweise – Handvoll Menschen demonstriert also relativ spontan einem Aufruf folgend, geboren aus einer gehörigen Frustration in Verbindung mit gefühlter und tatsächlicher Machtlosigkeit. Immer mehr Menschen schließen sich dem Protest an, malen kleine Schilder und große Transparente mit Sprüchen, die ihnen in den Sinn kommen, und rufen Protestsprüche, die aus dem Protestgefühl heraus entstehen. So weit. So gut. Vielleicht sogar potenziell erfolgreich.

Und dann passiert folgendes: Eine Großorganisation bietet den Spontandemonstranten ihre Unterstützung an, Einigkeit macht stark, doch noch stärker, wenn sie professionell organisiert wird, undsoweiter. Prompt wird dem bis dahin unorganisierten Protesthaufen ein „Sprecher“ als Kontaktperson zu den Medien an die Seite und vor die Nase gestellt, die zuvor spontanen Protestler werden zu „Aktivisten“ und in ihrer Gesamtheit zu einer „Bewegung“ erklärt, eine Werbeagentur bietet sich willig an, der Aktivistenbewegung ein professionelles Logo zu gestalten, einen professionellen Slogan zu creieren, beides zur Verwendung auf den nun professionell gestalteten Plakaten, die die zuvor unbedarft selbstgemalten Schilder ersetzen, dazu gibt es nun mit Logo und Slogan bedruckte Aufkleber, Kaffeebecher und Fähnchen zu kaufen, irgendwo dazwischen wird eine professionell gestaltete Website ins Internet gestellt, global-mehrsprachig, versteht sich, auf den zukünftigen Protestkundgebungen dürfen Getränke- und Würstchenverkäufer ihre Getränke und Würstchen nur noch gegen Lizenz verkaufen und dürfen nun „Dixi-Klo“-Vermieter ihre „Dixi-Klos“ gegen Lizenz auf dem Kundgebungsgelände aufstellen. Zum Beispiel. So ungefähr läuft das. Wenn es noch etwas weiter läuft.

Das, was dagegen bereits angelaufen ist, ist die heute unvermeidliche analytische Aufbereitung durch Experten aller Art, durch Psychologen, Politologen und Soziologen, die in der „Occupy“-Bewegung den „Widerstand einer gebildeten Mittelschicht“ sehen und den Aktivisten zugestehen, dass „Wut und Empörung wichtig“ seien, doch der „zornige Protest in ein bürgergesellschaftliches Engagement umgewandelt“ werden müsse. Erst dadurch und erst jetzt wird sich jeder Empörte und Wütende richtig verstanden fühlen.

Zwischen den Zeilen liest sich das ungefähr so: Liebe Leute, keine Sorge, wir halten Euch nicht nur für aufmüpfige Querulanten, sondern wir halten Euch für gebildete Bürger, die zurecht aufgebracht und wütend sind. Wir nehmen Euch ernst und wir verstehen Euch. Und nun, wo wir das geklärt haben, geht wieder alle schön nach Hause, und guckt Euch am Fernseher auf Eurer Couch an, wie wir Experten das für Euch kompetent in die Hand nehmen.

Und weil das so nicht zum ersten Mal der Fall wäre, dass die „Bankenwut“ in Talkshows von Experten und Politikern zerredet wird, bis keiner mehr weiß, worum es eigentlich anfangs mal gegangen ist und bis es keiner mehr hören will, könnte der ehemalige Bundespräsidentenkandidat Joachim Gauck Recht behalten, wenn er diese Bewegung als „albern“ deklariert und meint „Das wird schnell verebben". Womöglich sagte er das gar nicht aus Arroganz, sondern aus politischer Erfahrung.
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