Dienstag, 23. Dezember 2014

unterhaltsam manipuliert

Wie war das: Ein von RTL beauftragter Reporter hat sich „undercover“ und in „verdeckter Recherche“ unter „PEgIdA“-Demonstranten gemischt, und ausländerfeindliche Sprüche in die Linse einer TV-Kamera des NDR geklopft. Prompt ist von journalistischer Manipulation die Rede, von künstlich provozierter Hetze zugunsten dramatisierter Berichterstattung. 

So etwas kann passieren. In einem Zeitalter des „Infotainment“, in dem angeblich auch knallharter, seriöser Journalismus unbedingt auf unterhaltsame Art und Weise dargestellt werden muss, um konkurrenzfähig zu bleiben. Das war jedenfalls das Hauptargument dafür, dass ARD und ZDF kürzlich für jeweils um die 20 bis 30 Millionen(!) Euro ihre Hauptnachrichten – rein optisch – aufgepeppt hatten.

Wenn man will, kann man hier schon die Frage stellen, ob das bereits eine Form von Manipulation ist. Wie subtil und unauffällig beginnt sie, und wie offen(-)sichtlich muss sie sein, um gerade deshalb nicht bemerkt zu werden?

Beispielhaft eine Szene aus irgendeiner „RealityDoku“ irgendeines Privatsenders, bei der es vordergründig darum geht, in Not geratenen Familien das komplette Haus zu renovieren und nagelneu einzurichten:

Zu sehen ist eine Hausfrau, die aufgrund des Klingelns an der Haustüre mit verwundertem Blick („Wer kann das nur sein?“) durch ihren Flur geht, scheinbar ahnungslos die Türe öffnet, und völlig verdutzt das Renovierungsteam des TV-Senders erblickt, jubelierende Szene gegenseitiger Begrüßung, hoffnungsgetränkte Hintergrundmusik, Klappe. Was kann an dieser Szene nicht ganz stimmen?

Nun… wie wurde die Hausfrau im Hausflur ihres Hauses eigentlich gefilmt? Wohl doch mit einem Kamerateam, das schließlich vorher schon zu Besuch gekommen sein und Position bezogen haben muss. Die gesamte Szenerie scheinbarer Ahnungslosigkeit, Verwunderung und Überraschung ist zu rein dramaturgischen Zwecken künstlich produziert und wer-weiß-wie-oft geprobt worden.

Eine Manipulation im ganz Kleinen, bereits mit der ersten Szene, so lapidar, dass sie nur bemerkt wird, würde der Zuschauer sich entsprechende Gedanken machen. Doch dazu werden solche „RealityDokus“ natürlich weder produziert noch eingeschaltet, sondern im Gegenteil zum innerlichen „Abschalten“, der blanken Unterhaltung wegen.

Nicht viel anders mit dem ganzen Rest, dem TV-Programm generell und insgesamt, das an nichts anderem ausgerichtet wird, was die Masse – vermeintlich – sehen will. Heraus kommt dabei, was wir sehen sollen. Und wenn man sich auf diese Weise lahm legen lässt, verpasst man, dass dazu auch das gehört, was unter dem Schlagwort „Wissen“ gesendet wird: „Infotainment“ zu Unterhaltungszwecken.


Dienstag, 16. Dezember 2014

radikal abendländisch

Heute in ungewohnter, aber gebotener Kürze zum Thema „PEgIdA“: „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. So, so. Da „demonstrieren“ ein paar Menschen unter irgendeinem Motto, man ist geneigt, das mit einem kurzen Kopfschütteln zu ignorieren, und bekommt es statt dessen von Funk und Fernsehen penetrant auf die Augen und in die Ohren gedrückt.

Da brüllt ein Radioreporter ins Mikrofon, als würde er sein eigenes Wort nicht verstehen, als befände er sich mitten in einem Katastrophengebiet, einem gerade vorbeigezogenen Tornado oder abebbenden Tsunami. Aber nein: „Hinter mir befinden sich circa 150 PEgIdA-Anhänger“. Achwas. Einhundertfünfzig gleich. Möge der Reporter einfach zwanzig Meter zur Seite gehen, müsste er nicht so schreien. Doch das ginge natürlich auf Kosten einer gewissen Dramatik.

Aus dem Autoradio tönt dann weiter: „Das Gefährliche an dieser PEgIdA-Bewegung ist der Mix aus berechtigten Tatsachen und Stammtischparolen“. Ja, enorm gefährlich. Mir wird Angst und Bange. Einen solchen Mix hört und sieht man alle Nase lang, sobald man den Fernseher einschaltet, in jeder Talkshow und jeder Wissenschaftsdokumentation.

Wie man weiter erfahren darf, würden die PEgIdA-Anhänger betonen, dass „viele in der Mittelschicht so denken“, was  jedoch „ihr Anliegen noch lange nicht demokratisch macht“. Das stimmt. Zwar bestimmen die Verkaufszahlen die MusikCharts und die Einschaltquoten das TV-Programm, aber Quantität und Qualität sind eben nicht immer identisch, geschweige denn, dass es irgendetwas „demokratisch machen“ würde.

Was mich persönlich dagegen etwas stutzig macht, ist die Bewegungsrichtung der Aktionisten „gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Kann ich mich zu so jemandem ins Auto setzen, fährt er mich bitte dorthin und zeigt es mir, das bedrohte Abendland, und an welchen Stellen genau es „islamisiert“ wird? Oder käme er dann darauf, dass das gelobte Abendland nur im Kopf existiert – und dass das der Ort ist, wo auf bedrohliche Weise etwas nicht ganz stimmt?

Samstag, 6. Dezember 2014

fraglich benommen

Regelmäßig wird seit Jahren immer wieder festgestellt: „Gutes Benehmen ist wieder in“, gerade auch bei jungen Menschen: Höflichkeit, „gute Manieren“, „gepflegte Umgangsformen“, und so weiter. Sogar Unternehmer und Manager strömen in „Benimm“-Seminare. Gleichzeitig spart man sich die enorme Mühe, Mitteilungen „Mit freundlichen Grüßen“ zu beenden, und begnügt sich mit „MfG“.

Seit dem ich in Bayern auf dem Land lebe, irgendwo am äußersten süd-östlichen Ende Deutschlands, habe ich mich über die Jahre hinweg daran gewöhnt, dass hier jeder jedem ein „Grüß Gott“ entgegen murmelt, auch völlig unbekannten Menschen. Eine Floskel – oder sagen wir: Geste – reiner Höflichkeit.

Schon in der Grundschule lernen die Kinder hier, dass man auch für unsympathische Menschen ein freundliches „Grüß Gott“ zu erübrigen hat. Da, wo ich herkomme, aus dem bodenständigen Ruhrgebiet, würde man das für unehrlich halten. Höflichkeit kann also offenbar über Ehrlichkeit rangieren. Doch das kennt ohnehin jeder Mann, der von seiner Frau gefragt wird, ob ihm ihre neue Handtasche gefällt.

Wo doch immer wieder gerne von „Werten“ gesprochen und ein „Werteverfall“ beklagt wird: Welchen Wert hat bloße Höflichkeit, wenn sie unehrlich ist? Welchen Wert haben Floskeln wie „VG“ („Viele Grüße“) oder „MfG“ („Mit freundlichen Grüßen“), wenn man weiß, dass sich dabei jemand sogar dieses bisschen „Mühe“ sparen will. Doch schon dafür muss man heute fast noch dankbar sein.

Ohnehin handelt es sich meist um Relikte längst vergangener Zeiten. Männer, die auf der Straße höflich ihren Hut gezogen haben, gab es allenfalls noch in den 1950er Jahren. Kopfbedeckungen sind heute dagegen meist Jugendlichen vorbehalten, die ihre Schlabbermützen und Baseballkappen allerdings nur zum Duschen und Schlafen abnehmen, wenn überhaupt.

Wenn man bei diesen Diskussionen über einen „Werteverfall“ nicht aufpasst, bleibt irgendwann nur wenig übrig, was noch verfallen kann.

Da ist zum Beispiel diese Diskrepanz zwischen „altmodisch“ und „zeitgemäß“. Soll Mann – in Zeiten der Emanzipation – Frauen tatsächlich noch die Türe aufhalten, den Vortritt lassen, in der U-Bahn den eigenen Sitzplatz anbieten oder helfen, die Einkaufstüten zum Auto zu tragen?

Vor ein/zwei Jahren begann man im Privatfernsehen damit, dass das anwesende Publikum nicht nur klatscht und kreischt, sondern sich bitte für jeden dahergelaufenen Möchtegern-Star von den Sitzen erheben soll. Eine Geste höchsten Respekts, die früher extrem selten praktiziert wurde, gegenüber Menschen mit wirklich hervor(-)ragenden Lebensleistungen. Eine Geste, die ihre Bedeutung so komplett verliert. Ein Wert, der nicht nur verfällt, sondern mutwillig zum Verfallen gebracht wird.

Laut neuestem „Benimm“ sagt man nicht einmal mehr „Gesundheit“ zu jemandem, der gerade niesen musste. Der Wunsch, er möge trotz Nieser gesund sein oder werden, war früher höflich, jetzt ist er verzichtbar. Vielmehr im Gegenteil: Der Kränkelnde sollte sich für seinen Nieser gefälligst entschuldigen und der Angenieste wortlos darüber hinwegsehen. Und „Guten Appetit“ hat man sich auch nicht mehr zu wünschen, denn schließlich sitzt man nicht nur wegen seines Appetits gemeinsam am Esstisch. Hoffentlich darf man noch „Frohe Weihnachten“ aussprechen..

Dabei ist „gutes Benehmen“ trotz aller Relativität relativ einfach. Man richte sich nach der Definition des Begriffes „Gentleman“ (von dem die weibliche Form bezeichnenderweise nicht gebräuchlich ist): „Ein Gentleman ist jemand, der alles dafür tut, damit sich die Menschen in seiner Umgebung wohl fühlen“.