Dienstag, 19. Mai 2015

vertoppt gemodelt

Das Körpergewicht des Bundesbürgers scheint zurzeit wieder thematisch in Mode zu sein. Im doppelten Sinne. Denn jetzt ist die Modeindustrie an der Reihe, mit ihrem Ableger der Textilgestaltung im Allgemeinen, und deren Präsentation durch so genannte Models im Speziellen. Und dieser Zusammenhang ist gar nicht so plausibel, wie es vielleicht erst einmal scheint.

Ausgerechnet jetzt, wo Medienberichten zufolge wieder die jährliche Sendereihe „Germany’s Next Topmodel“ ausgestrahlt wird, und kurz vor der Kürung der Siegerin, wird doch tatsächlich eine Studie veröffentlicht, wonach (natürlich: unter anderem) dieses Sendekonzept mitverantwortlich für das Krankheitsbild der Magersucht unter jungen Frauen sei, sogar bereits im Teenageralter.

Und das, wie gesagt, ausgerechnet jetzt. Kurz vor dem großen Finale, das wie üblich als großes TV-Event angesetzt war, wird plötzlich wieder an allen Ecken und Enden über Magersucht diskutiert, über die Folgen und die Ursachen, und wird reflexartig über diese Castingshow hergefallen, die körperliches Untergewicht als Erfolgseigenschaft suggeriert. Ohne jede Rücksicht auf die Arbeitsplätze, die von dem Gesamtproblem abhängen, in der Heidi-Klum’schen Produktionsfirma, in der Sendeanstalt, in all den Arztpraxen und Psychiatrien.

Damit nicht genug. Ausgerechnet das große Finale, musste nach nicht einmal einer Stunde abgebrochen und im TV-Kanal durch einen Spielfilm ersetzt werden. Eine Bombendrohung soll die Evakuierung der Festhalle erzwungen haben. Ein Schelm, der auf den Gedanken kommt, hier würde es sich lediglich um eine clevere PR-Intervention handeln, um die negative Begleitdiskussion über Magersucht durch spektakuläre Schlagzeilen zu ersetzen. Man könnte auch munkeln, dass der TV-Sender nach einer guten halben Stunde zum ersten Mal die desaströse Einschaltquote abgefragt und Plan B aus der Schublade geholt hat.

Das alles jedoch geht haarscharf am Kern der Angelegenheit vorbei. Und dieser Kern verbirgt sich irgendwo in der Frage, was eigentlich ein „Topmodel“ ist, und warum man das weiß, warum man darüber informiert ist, was das ist. Obwohl ich ein Mann bin, waren mir zwar verschiedene Topmodels immer bekannt, die meisten allerdings lediglich namentlich. Aber: warum? Und warum kennt man zwar weibliche Topmodels, doch von männlichen weiß man gerade einmal, dass es sie geben soll, allerdings ohne „top“ zu sein.

Natürlich: Ein Mode-Model ist ein Beruf. Soweit ich weiß, kein Beruf, für den man eine konventionelle Ausbildung oder ein Studium benötigen würde. Man bzw. Frau muss lediglich irgendein unbestimmbares „Etwas“ haben, das angeblich nicht einmal nur an bloßer Schönheit festzumachen sein soll. Und solche, die das noch besonderere „Etwas“ haben, und den Ikonen der Modeindustrie ganz besonders gefallen, sind „top“. Doch woher weiß man das als Otto Normalbürger? Warum ist man darüber informiert?

Man kennt noch nicht einmal den „Mitarbeiter des Monats“ im Elektrogeschäft um die Ecke, geschweige denn, ob dort überhaupt ein solcher gekürt wird. Und weil man ihn nicht kennt, weiß man auch nichts über sein Körpergewicht und es interessiert einen auch nicht. In der Regel wird man auch den Sumo-Weltmeister nicht kennen und (deshalb) auch sein berufsspezifisches Übergewicht nicht thematisieren. Aber man kennt eine ansonsten wildfremde Frau, die hin und wieder, alle paar Wochen, irgendwo auf dieser Welt über einen Laufsteg wandert. Warum eigentlich?

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