Samstag, 8. August 2015

diskutabel gepunktet

Ich weiß ganz genau, dass die Bewertung von Fähigkeiten und Leistungen, zum Beispiel mittels irgendwelcher „Punkte“ oder Schulnoten, völliger Unsinn ist. Natürlich wird das in aller Selbstverständlichkeit praktiziert. Trotzdem ist es Unsinn. Doch ich habe keine andere Wahl, als mich von der Praxis eines Besseren belehren zu lassen. Zumindest in der Frage, wie die Praxis das Denken beeinflusst. Denn daran kommt man nicht vorbei.

Vor circa einem Jahr wurde unser Junge alterskonform in die F-Jugend seines Fußballvereins hochgestuft. Ab dieser Jugend wird dann auch eine kleine Liga mit fünf/sechs regionalen Mannschaften betrieben. Doch die Resultate sämtlicher Spiele werden grundsätzlich „o.E.“ bewertet: „ohne Ergebnis“. Es ist also nicht möglich, einen Tabellenstand auszurechen, weder nach den einzelnen Spieltagen, noch am Ende.

Angeblich ist das Absicht. Die Jungs sollen eben immer noch den Spaß am Spiel im Vordergrund sehen, nicht den Wettkampfgedanken von Sieg oder Niederlage. Erfahrungsgemäß jedoch ist das blankes Theoriegeschwafel und offenbart ein eklatantes pädagogisches Unwissen. Gewonnen oder verloren werden die Spiele nämlich trotzdem, mitsamt der dazugehörigen Siegesfreude oder Frustration. Und gerade auch den Umgang mit Niederlagen darf man als Teil der Bildung betrachten, als Teil der Persönlichkeitsentwicklung.

Erstaunlicherweise sehen die Kinder das von sich aus ähnlich. Erstens sind Kinder nicht dumm, können die Tore zählen und wissen schließlich den Endstand, und zweitens wollen sie das auch genau so haben. Was das betrifft ist es völlig belanglos, dass die Ergebnisse offiziell ständig „o.E.“ lauten. Diese Praxis bewirkt allenfalls das Gegenteil, wenn sich die Kinder nicht ernstgenommen fühlen, als wären ihre Spiele nur ein bisschen Herumgekicke und hätten keine wirkliche Relevanz.

Erschwerend hinzu kommt noch, dass in dieser Altersgruppe neuerdings – jedenfalls offiziell – ohne Schiedsrichter gespielt werden soll. Die Kinder sollen jede strittige Situation unter sich ausmachen, ob ein Foul ein Foul war, ob der Ball tatsächlich in vollem Umfang die Linie überquert hat, und so weiter. Da diskutieren die Eltern am Spielfeldrand heftiger untereinander als die Kinder. Auf dem Spielfeld nämlich entscheidet der Bursche, der einen Kopf größer ist und drei Kilo mehr auf den Rippen hat als die anderen, ganz ohne Diskussion, mit dem Recht des Stärkeren.

Das Ganze hat eine interessante Parallele zur Schule. Aus beruflichen Gründen weiß ich, dass die Bewertung und Beurteilung menschlicher Leistungen durch so etwas wie „Punkte“ oder auch Schulnoten groben Unfug darstellt, weil das schlicht und einfach unmöglich ist. Außer natürlich, man glaubt ganz fest daran und macht es möglich, indem man es erzwingt. Doch dieses Fachwissen hin oder her: In der alltäglichen Praxis verhält es sich ein wenig anders. Nämlich ungefähr so, wie beim Fußball.

Kinder, die man erst einmal mit der Notenvergabe in Berührung gebracht hat, finden das mehrheitlich ziemlich toll. Der Vergleich gegenüber anderen ist dabei zwar auch ganz nett, doch hauptsächlich geht es Kindern um deren eigene Noten. Sie wollen beurteilt haben, was sie können. Und das ist eben, was durch Schulnoten versprochen wird.

In der dritten Schulklasse jedoch wird jetzt (jedenfalls in Bayern) auf das sonst übliche Zwischenzeugnis im Januar verzichtet. Statt dessen soll es lediglich ein „Lernentwicklungsgespräch“ mit der Klassenlehrerin geben, das gleichzeitig den Elternsprechtag ersetzt. Man fragt sich fast, ob hinter dieser Idee derselbe Kopf steckt, der sich den Unsinn für die Fußballjugend ausgedacht hat.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen