Montag, 5. Oktober 2015

perfektioniert daneben

Wo immer wieder gern, bei passenden Gelegenheiten, meist rund um die jährliche Veröffentlichung von „PISA“-Ergebnissen, über die hierzulande herrschende „Bildungsnot“ in „bildungsfernen Schichten“ geplaudert wird, ist es schon sehr beruhigend zu wissen, dass manche Kinder von den eigenen Eltern äußerst bildungsnah intellektuell perfektioniert werden; ob sie wollen oder nicht.

Kürzlich räumte der Autobauer Mercedes ein, dass die Ergebnisse von Abgasmessungen in deren eigenen Laboren durchaus von Messergebnissen im öffentlichen Stadtverkehr abweichen könnten. Und zwar, weil „dort (in der Stadt) nicht die exact gleichen Bedingungen wie im Labor hergestellt werden können“. Sieh an.

Das eigentliche Problem ist also die unpräzise Realität da draußen. Das wirkliche Leben ist viel zu ungenau. Kurz: Das, was in Laboren getrieben wird, ist um einiges realistischer. Das glauben Wissenschaftler tatsächlich! Fachübergreifend! Natürlich auch in der Pädagogik. Und deshalb suggeriert man das auch für die Erziehung allgemein und für die elterliche insbesondere.

So glauben manche Eltern, sie könnten, sollten oder dürften nicht darauf vertrauen, dass ihr Kind ganz von selbst irgendetwas Großartiges zustande bringt, sondern müssten – ungefragt und ungebeten – ein wenig nachhelfen. Natürlich halten dieselben Eltern ihr Kind für äußerst begabt und intelligent. Doch rein sicherheitshalber müssen sie natürlich darauf achten, dass ihm nicht versehentlich doch ein Fehler unterläuft.

Da sollen etwa in der dritten Klasse der Grundschule Referate gehalten werden, jeweils drei Kinder bilden ein Team, um über jeweils ein heimisches Wildtier zu referieren. Das dürfte so gedacht sein, dass die Kleinen das miteinander weitest möglich selbst erarbeiten, mit begleitender Unterstützung, kleinen gedanklichen Schubsern usw. Das Sammeln von Material aus Internet und Büchern, das Aussortieren und Sortieren, das Anfertigen von Plakaten mit Bildern und Beschriftung, das Einüben des mündlichen Teils… das muss alles nicht perfekt sein, sondern viel wichtiger ist, dass die Kinder das (eben: weitest möglich) selbst gemacht haben, selbst wenn sich ein/zwei Fehler einschleichen.

Es gibt jedoch Eltern, die diese immense Gefahr nicht eingehen wollen. Nicht obwohl, sondern gerade weil es das erste Referat im Leben des Kindes ist, wollen sie ihm erst einmal zeigen, wie das korrekt gemacht wird. Nicht nur in jedem Detail, sondern da wird die komplette Familie mit eingespannt: Das Schwesterchen googelt nach brauchbaren Informationen, Papa druckt Bilder aus, und der Sohn lernt mit Mama den mündlichen Vortragsteil auswendig, Wort für Wort, damit bloß nichts schiefgeht.

Und so lassen diese Eltern ihre Kinder – mit den besten Absichten – mitten ins Verderben laufen, die bei ihrem Referat hilflos auf das perfekt arrangierte Plakat deuten, das man ihnen familiär vorgefertigt in die Hand gedrückt hat, und ihren auswendig gelernten perfekten Text herunterbeten, als würden sie vor dem Weihnachtsbaum ein Gedicht aufsagen.

Abgesehen von der Benotung durch den Lehrer ist das Resultat einer solchen Perfektion eine themenverfehlte Zwangsbelehrung. Bei einer solchen Aktion geht es eben gar nicht um das Referieren über heimische Wildtiere oder wasauchimmer, es geht noch nicht einmal um das Referat an sich. In zweiter Linie geht es darum zu lernen, wie man Informationen sammelt, aussortiert, nach Prioritäten ordnet, und das Ganze für andere verständlich und interessant aufbereitet. Und in erster Linie geht es darum, dass Kinder lernen, das gemeinsam zu tun: Das Erlenen von Teamwork.

Auf die schnöde Perfektion ausgerichtete Eltern wissen überhaupt nicht, was sie da –mit den besten Absichten – anstellen. Sie stehlen ihrem Kind die gesamte Erfahrung(!), auf die es eigentlich ankommt. Selbst wenn es sich um die Erfahrung handelt, im Teamwork auch über etwas zu streiten, etwas Wichtiges vergessen zu haben und sich im freien mündlichen Vortrag zwischendurch zu verhaspeln.


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