Mittwoch, 27. Januar 2010

Schwein gehabt.

Wenn Wissenschaftler Schwein haben, dann muss das nicht unbedingt etwas mit Glück zu tun haben. Sondern eher im Gegenteil mit sehr viel Pech für die betroffenen Schweine, die im Dienste der Forschung und der Menschheit einen Märtyrertod sterben dürfen.
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Das jedenfalls war kürzlich im österreichischen Tirol geplant: In einem Experiment sollten 29 Schweine im Tiefschnee vergraben werden, um sie darin - immerhin: betäubt - ersticken oder erfrieren zu lassen. Das Ziel des Versuches am lebenden Objekt: die Wissenschaftler wollten mehr darüber erfahren, wie unter einer Lawine begrabene Menschen sterben, und beobachteten dazu das stundenlange Ersticken der Tiere. Einige wurden nur bis zum Kopf im Schnee vergraben, um sicherzustellen, dass sie nicht ersticken, sondern erfrieren.
Nachdem bereits 10 Schweine auf diese Weise ihr Leben lassen mussten und das Experiment bekannt wurde, hat es der Versuchsleiter nach Protesten von Tierschützern inzwischen abgebrochen, mit den Worten: "Unter solchen Umständen kann man nicht arbeiten". 
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Erstaunlicherweise wurde erst jetzt bekannt, dass britische Forscher bereits vor 8 Jahren ebenfalls Schweine zweckentfremdeten, indem sie sie wissenschaftlich in die Luft sprengten. Diese Zweckentfremdung diente dem Zweck, mit den Versuchsergebnissen zukünftigen Opfern von Terroranschlägen besser helfen zu können.
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Wer meint, dass es sich dabei um fragwürdige Ausnahmefälle handelt, kennt noch nicht die Zahl von rund 16.000 Schweinen, die laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2007 zu Forschungszwecken getötet wurden. Und wer darüber den Kopf schüttelt, muss sich sagen lassen, dass so etwas "immerhin" "im Namen der Wissenschaft" stattfindet. Im Gegensatz zu 50.000.000 (also: fünfzig Millionen) Schweinen, die jährlich(!) im Schlachthof ihr Leben lassen, um garniert mit Bratensoße auf deutschen Tellern zu landen. Oder im Hausmüll. Etwa, wenn das Kotelett einen Tag zu lange im Kühlschrank herumlag und das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist.
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Kurz gesagt: insgesamt bedenklich. Im wortwörtlichen Sinne.

Montag, 18. Januar 2010

aus sicherer Distanz.

Vom "Raumschiff Berlin" wird gern verbildlicht gesprochen, wenn Mitglieder des Bundestages zuweilen den Kontakt zur "Realität da draußen" verloren zu haben scheinen, zumindest zu den Menschen, die in dieser Realität leben. Manchmal jedoch zeigt sich, dass das offenbar nicht nur auf Bundestagsabgeordnete und auf Berlin beschränkt ist: das Raumschiff fliegt überall herum und scheint noch einige Plätze frei zu haben.
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Bevor es zu seinem aktuellen Rundflug startete, sprach die Vize-Parteivorsitzende der FDP, Cornelia Pieper, aus der Kommandokanzel heraus zum Volk, dass die nächste Kindergelderhöhung nicht mehr in Form von Geld, sondern in Form von "Bildungsgutscheinen" gezahlt werden solle, die - so Pieper - "direkt beim Kind ankommen", und zwar - so Pieper - mit dem Ziel einer "besseren, frühkindlichen Bildung".
Bei einem solchen "Vorstoß", wie das in den Medien genannt wurde, möchte man fast den Gegenvorschlag einbringen, dass auch die nächste Diätenerhöhung in Form solcher Gutscheine stattfindet, die Abgeordnete in der "Realität da draußen", vorzugsweise in Familien einlösen können, mit dem Ziel einer "besseren, spätpolitischen Bildung".
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Der Punkt ist: diese "Bildungsgutscheine", die - so Pieper - "in Musikunterricht und Sportvereine investiert" werden könnten, klärt natürlich nicht die Fragen, wie sinnvoll das a) bei Babys und Kleinkindern überhaupt sein kann, sowie b) ob unmusikalische und unsportliche Kinder dazu gezwungen werden sollten (Stichwort: "Kindeswohl"), sowie c) ob so etwas wie ein Zoobesuch demnach offenbar nicht unter "Bildung" fällt, sowie d) wie das mit Familien aussieht, die auf dem Land leben und zur nächsten Musikschule und Sportverein einige Kilometer zu fahren haben, und deshalb der "Bildungsgutschein" auch zur freien Fahrt mit Bus und Bahn berechtigt, sowie e) ob das Frau Piepers Interpretation von einem Kindergeld ist, das "direkt beim Kind ankommen" soll oder ob sie etwa f) das Ganze so insgesamt noch gar nicht durchdacht hat, sondern einfach nur 'mal irgendetwas posaunen wollte(?).
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Bei seinem weiteren Rundflug machte das "Raumschiff Berlin" einen Zwischenstopp in den Kölner Studios des WDR-Fernsehens, wo es Florian Gerster, den ehemaligen Chef der "Bundesagentur für Arbeit" kurz in Sandra Maischbergers ARD-Talkshow zum Thema "5 Jahre HartzIV" absetzte, um darin so zu tun, als könne er etwas Kompetentes dazu beitragen.
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Genau der Florian Gerster übrigens, der nach seiner Amtsentlassung eine Abfindung in Höhe von € 425.000,- erhalten hat, und seit dem aufgrund seines früheren Postens als Sozialminister in Rheinland-Pfalz jeden Monat € 8.000,- "Ruhegeld" überwiesen bekommt.
Genau dieser Florian Gerster erklärte einer ebenfalls anwesenden alleinstehenden Mutter von 4 Kindern, die mit "HartzIV" über die Runden kommen muss, warum sie ihre Probleme völlig falsch sieht (wörtlich: "Das stimmt doch so gar nicht"), und mit dem ihr zugestandenen Existenzminimum (wörtlich) doch "kein schlechtes Haushaltseinkommen" habe - und das insgesamt von Herrn Gerster begründet mit (wörtlich): "Schauen Sie sich die Statistiken an. Ich kann das alles mit Zahlen belegen". So sieht man im Raumschiff die Realität und lässt es sich von den Menschen, die in dieser Realität leben, auch nicht anders erklären.
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Der nach einem sehr kurzen ypsilantischen Intermezzo wieder-weiter-regierende Ministerpräsident von Hessen, Roland Koch, wiederum hat mit seinem jüngsten Interview, das er aus dem Raumschiff heraus der "Wirtschaftswoche" gab, in gewohnt unbeirrbarer Weise an seiner längst überfälligen Abwahl gezimmert: "Wir müssen jedem Hartz-IV-Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertiger Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung", so Koch, denn "Jedes Sozialsystem braucht ein Element der Abschreckung".
Aha: Also Arbeit als ein Element der Abschreckung. Wenn das nicht mal eine Botschaft ist. Da steht nur noch die deutsch-geschichtliche Vergangenheit im Weg und wir landen beim Begriff der "Zwangsarbeit" und erleben in Kürze, wie morgens um Sieben die "HartzIV"-Empfänger auf dem lokalen Marktplatz versammelt werden, um mit einer Schaufel in der Hand zur nächsten Baustelle zu marschieren, um Autobahnen auszubauen.
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Um Herrn Gerster folgend mit Zahlen auszudrücken, worüber Herr Koch eigentlich redet: Herr Koch redet von Sanktionsdrohungen gegen rund 200.000(!) Missbrauchsfälle, und zwar bei einer Gesamtzahl von zurzeit rund 5 Millionen(!) Menschen, die zum Überleben in diesem Land auf Sozialleistungen angewiesen sind.
Es möge Herrn Koch bitte irgendjemand dringendst nahelegen, sich weniger populistisch mit einer "Arbeitspflicht für Arbeitslose" zu beschäftigen, dafür umso mehr mit dem "Recht auf Arbeit", das im Artikel 23 der UN-Menschenrechtscharta als eines der Menschenrechte ausdrücklich festgeschrieben ist. Allerdings macht es natürlich deutlich mehr Arbeit, 5 Millionen Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen, als sich mit Hilfe der "Wirtschaftswoche" mal wieder ins Gespräch zu bringen.
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Pardon für den diesmal etwas längeren Blog-Eintrag. Wie es zwar heißt, liegt die Würze in der Kürze. Doch manchmal möchte man vielleicht auch gern etwas zum Knabbern haben.