Montag, 27. September 2010

Wachstumslogik für Einsteiger.

Die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute rechnen in diesem Jahr 2010 mit einem Wirtschaftswachstum von rund 3,5 Prozent: das stärkste Wachstum seit 20 Jahren und damit quasi ein wahrer Konjunkturboom.
Dennoch wird man in Politik und Wirtschaft einfach nicht müde uns darauf hinzuweisen, dass „die Krise noch längst nicht überwunden“ sei – weshalb die Angestellten laut Arbeitgeberverbände bitteschön auf zwei Wochen ihres Jahresurlaubes verzichten sollten, damit „das Wachstum nicht gefährdet wird“, Konjunkturboom hin oder her.

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Das heißt: die Angestellten, die mit ihrer Arbeit und trotz der horrenden Unmenge an Urlaubstagen für das stärkste Wirtschaftswachstum seit 20 Jahren gesorgt haben, stellen eine Gefahr für dieses Wachstum dar, wenn sie so weiterarbeiten. Das ist ökonomische Wachstumslogik. Eine Logik, die wahrscheinlich auf der Annahme basiert, dass nicht Arbeiter und Angestellte für den Konjunkturboom verantwortlich sind, sondern die Manager in den Chefetagen. Und so ist es dann ebenso völlig logisch, wenn Arbeitnehmer sich bitte bescheiden und einschränken sollen, während sich Manager fürstlich entlohnen lassen, mit Bonuszahlungen in Millionenhöhe.
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Und diese Logik führt sogar noch weiter. Demnach ist es auch überhaupt nicht notwendig, die Arbeitnehmer am aktuellen Wirtschaftswachstum sonderlich teilhaben zu lassen, denn die „Reallöhne“ sind im letzten Quartal ohnehin „kräftig gestiegen“, wie es heißt. In zahlreichen Betrieben nämlich ist nun die Kurzarbeit ausgelaufen, weshalb dadurch, rechnerisch umgelegt auf sämtliche Arbeitnehmer, die „Reallöhne“ um 3,4 Prozent gestiegen sind, während die Verbraucherpreise lediglich um 1,1 Prozent anstiegen. Das macht dann unter dem Statistikstrich einen „kräftigen Reallohn-Anstieg“ von 2,3 Prozent – selbst wenn kein einziger Angestellter auch nur einen Cent mehr verdient als bisher.
Und noch viel logischer: Dieser errechnete „kräftige Reallohn-Anstieg“ bezieht sich auf den Vergleich der „Reallöhne“ von 2009 gegenüber denen von 2010. Dabei wird sehr elegant unterschlagen, dass die „Reallöhne“ seit 1990 über zwanzig Jahre hinweg um bis zu 50 Prozent gesunken sind.
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In diese ganze Wirtschaftswachstumslogik passt es dann auch wunderbar, dass die Bürger weiterhin nicht damit rechnen können, von der Politik finanziell-steuerlich entlastet zu werden, sonder eher im Gegenteil, und Angestellte weiterhin nicht damit rechnen können, am Konjunkturboom teilzuhaben, weil schließlich „die Krise noch längst nicht überwunden ist“, …während die Zahl der Vermögensmillionäre auf wundersame Weise in diesem Jahr auf eine neue Rekordzahl gestiegen ist – womöglich nicht trotz dieser scheinbar enorm hartnäckigen Krise, sondern gerade dadurch.
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berechnete Existenzsicherung.

Wieder einmal ist „HartzIV“ gerade wieder vorübergehend mediales Thema. Der Grund: Arbeitsministerin von der Leyen hat übers Wochenende am Regelsatz herumgerechnet, wie Anfang des Jahres vom Bundesverfassungsgericht verlangt. Herausgekommen dabei ist nun: Der Regelsatz wird um 5 Euro erhöht. Manchmal fragt man sich, ob unsere Volksvertreter nun „das Volk“ vertreten oder nur bestimmte Teile davon.
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Laut einer Umfrage ist die Hälfte „der Deutschen“ angeblich ohnehin dagegen, dass Bedürftige auch nur einen einzigen Euro mehr Geld bekommen sollten. Diese scheinbar rigorose Missgunst ist weniger verwunderlich, wenn man berücksichtigt, dass zwei/drei Tage lang ausgiebig medial Stimmung damit gemacht wurde, dass der bisherige Regelsatz u.a. auch kalkulatorische 7Euro52 monatlich für Alkohol- und 11Euro58 für Tabak-Konsum beinhaltete.
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Also: 19Euro10 für das hemmungslose Paffen und Saufen auf Staatskosten? So einfach lässt sich Stimmung machen. Mit derselben Fragwürdigkeit könnte man allerdings auch nun sämtliche „HartzIV“-Empfänger an den Pranger stellen, die weder rauchen noch Alkohol trinken, und trotzdem bisher den vollen Regelsatz kassiert haben, inklusive der 19Euro10, von denen sie eigentlich Bier und Zigaretten hätten kaufen sollten, und dieses Geld Monat für Monat für etwas ganz anderes verprasst haben. Ist das nicht glatter Sozialbetrug?
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Man hätte statt dieser Thematisierung natürlich auch diskutieren können, dass der bisherige Regelsatz auch 0,61 Euro, also 61 Cent(!), als monatlichen „Ansparbetrag“ für ein Kinderfahrrad beinhaltete. Mitsamt der Frage, was ein Kinderfahrrad eigentlich (selbst gebraucht bei „eBay“) denn so kostet, wie lange man dafür 61 Cent pro Monat „ansparen“ muss, nämlich ungefähr so lange, bis ein Kind inzwischen zum Jugendlichen geworden ist, und könnte dann nochmals eine Umfrage unter „den Deutschen“ starten.
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Andererseits: es geht ja schließlich um die bloße „Existenzsicherung“, wie gern hingewiesen wurde und wird. Und zur Sicherung der nackten Existenz sind wohl weder Alkohol und Tabak zwingend notwendig, erst recht kein Kinderfahrrad.
Dafür wird in Zukunft ein Internetanschluss anteilig vom Staat mitbezahlt ( auch für Bedürftige, die keinen Computer besitzen ) und kommt auf diese Weise dann doch eine kleine Erhöhung des Regelsatzes zustande.
Achja: und der Konsum von nicht-alkoholischen Getränken ist in dieser 5-Euro-Erhöhung auch noch berücksichtigt. Wie Ursula von der Leyen heute meinte: „HartzIV“-Empfänger können ja mehr Mineralwasser trinken statt teurem Orangensaft. Das stimmt. Und Toilettenpapier lässt sich schießlich auch mehrfach und beidseitig verwenden.
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