Montag, 28. März 2011

ökologisch (un-)bedacht.

Vor ein paar Tagen schickte „Arte“ die Dokumentation „Biomimikry – Technologie nach dem Vorbild der Natur“ über den Sender. In wirklich beeindruckenden Beispielen wurde gezeigt, was der Mensch mit ein bisschen Forschungs- und Entwicklungsaufwand so alles von der Natur lernen und übernehmen kann. Bis auf eines: wie sich der gleichzeitige, erhebliche Einbruch der Wirtschaft und unseres Wohlstands verhindern lassen könnte.

Vorab bemerkenswert ist immer wieder die seltsam-übliche Trennung von „Mensch“ auf der einen, gegenüber „Natur“ auf der anderen Seite: das „Vorbild Natur“, von dem „der Mensch“ lernen könne, als hätte der Mensch mit der Natur im Grunde nicht besonders viel zu tun, geschweige denn, dass er ein Teil davon wäre.

So könne der Mensch unter anderem von pflanzlichen Lotusblüten lernen, wie sich jedwede Oberfläche vor Schmutz und Nässe schützen lässt: am Lotus nämlich perlt alles mögliche einfach ab, noch nicht einmal Klebstoff bleibt daran haften. Dieser „Lotusblüten-Effekt“ würde grandiose Möglichkeiten bieten, Kleidung, Töpfe, Pfannen und Geschirr, Automobile, Flugzeuge und ganze Gebäude dauerhaft blitzblank zu halten, hieß es.
Nicht mit erwähnt wurde dummerweise, wie die Wirtschaft den Wegfall von Umsätzen mit Waschmaschinen, Wäschetrocknern, Spülmaschinen, Waschmitteln, Spül- und Reinigungsmitteln, Waschstraßen und Gebäudereinigungen mitsamt den dann entsprechend arbeitslosen Beschäftigten verkraften sollte.

Dasselbe gilt für den „Haifischhaut“-Anstrich von Schiffsböden. Wie Forschungen zeigten, haben Haie keine Schuppen, sondern mikroskopisch kleine, dynamische Zähnchen über der Hautoberfläche verteilt, sodass an ihnen kein Getier hängen bleibt, wenn sie durch die Ozeane schwimmen. Ganz im Gegensatz zu Schiffsrümpfen, die regelmäßig immer wieder neu mit einem hochgiftigen „Antifouling“-Anstrich versehen werden müssen. Ein neuartiger „Haifischhaut“-Anstrich, ein einziges Mal aufgetragen, macht damit Schluss. 
Natürlich ist das grandios. Doch die Folgen für die Wirtschaft, für Hersteller von „Antifouling“-Produkten, für die Dienstleister, die mit „Antifouling“-Anstrichen bisher dauerhaft prima ausgelastet sind?

Noch ein Beispiel: Schmetterlinge und Käfer. Einige davon schillern in den schönsten Farben, ohne dass auch nur ein einziges Farbpigment (wie etwa bei der Sonnenbräune menschlicher Haut) dafür verantwortlich wäre. Man hat herausgefunden, dass – ganz einfach – feinste Strukturen von der Größe eines Staubkornes das Licht brechen. „Farben für die Ewigkeit“, die niemals verblassen. Ein archäologisch gefundener 50 Millionen Jahre alter Käfer leuchtet heute noch. Diese Technik auf Produkte aller Art anzuwenden würde Lackfarben komplett überflüssig machen, mitsamt ihrer hochgiftigen Herstellung und Entsorgung, inklusive ständiger Neuanstriche. 
Leider durfte man in dieser Dokumentation nicht erfahren, wie die wirtschaftlichen Folgen bewältigt werden sollten, wenn Lackfarbenproduzenten keine Lackfarben mehr herstellen müssen, Lackierbetriebe nichts mehr zu lackieren und Entsorgungsunternehmen nichts mehr zu entsorgen haben.

Der Punkt ist: Ökologie ist eine für die Menschheit überlebensnotwendige Form von Intelligenz, doch wir stecken im dümmlichen Wahn einer Ökonomie fest, die mit Konsum und Verbrauch steht und fällt, in einer Ökonomie, in der sogar mit dem dazugehörigen (u.a.: Atom- / Gift-) Müll lohnende Geschäfte gemacht werden. Das ökologische Denken hat sich in den letzten Jahrzehnten zwar prima entwickelt, doch eine zeitgemäße Weiterentwicklung des Wirtschaftssystems ist ausgeblieben. 
Und so kann man nicht „mal eben“ bedenkenlos komplett ökologisch handeln, ohne die Wirtschaft, wie sie noch immer ist, zugrunde zu richten. Das gilt erst recht für die Menschen, die Ökologie weitestmöglich umgesetzt sehen wollen, doch gleichzeitig Politiker, deren Erfolg und „unseren Wohlstand“ an Arbeitslosenzahlen und Wirtschaftswachstum messen.

Freitag, 18. März 2011

informativ schiefgelegen.

Kommunikation hat ihre Tücken. Gerade dann, wenn es darum geht, „wichtige Informationen“ zu vermitteln, die man fein säuberlich von „unwichtigen“ trennen muss, weil man in wenig Zeit möglichst vieles Wichtige klären will. Dabei kann einiges schiefgehen. Selbst dort, wo man es eher weniger erwarten würde: im Ersten Deutschen Fernsehen, einem Sender mit deklariertem Bildungsauftrag.
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Vorgestern Abend, der neuerdings und vorläufig noch allabendliche „ARD-Brennpunkt“ gleich nach der „Tagesschau“ zum atomaren Desaster in Japan: In knapp 30 Minuten wird der Zuschauer über die neuesten Entwicklungen kompetent auf journalistisch recht hohem Niveau informiert. Sollte man im Ersten Programm meinen. Jedoch…

Gleich zu Beginn sollte ein dokumentarischer Einspieler den Status Quo erklären, u.a. mit folgenden Worten: „Für die Menschen hier eine Katastrophe, noch aber regional begrenzt. Gelingt es aber nicht, die Kernschmelze aufzuhalten, würde tödliche Strahlung frei, große Gebiete wären auf lange Zeit unbewohnbar, es käme zu einer Katastrophe, die niemand mehr steuern kann“.
Sieh an. Das hieße also, bisher war und ist die Erdbeben-, Tsunami- und Atomkatastrophe steuerbar. Das ist natürlich ziemlicher Unsinn und wird selbst bei der wohlwollenden Annahme nicht viel sinnvoller, dass eigentlich die Folgen gemeint gewesen sind.

Und weiter in diesem Einspieler: „Denn es kommt auch auf das Wetter an: Im Moment treibt der Wind eine radioaktive Wolke auf das Meer. Doch das muss nicht so bleiben, am Freitag könnte sich das Wetter ändern: dreht der Wind, dann wäre Tokio bedroht, 34 Millionen Menschen leben in der Region“.
Hier wird mittels einer (Wind-Wetter-) Information die Situation dramatisiert und versucht, die zynische Spannung aufrecht zu erhalten, ob am Freitag der Wind drehen wird oder nicht, „Fortsetzung folgt, schalten Sie wieder ein“ – während gleichzeitig die andere Information unterschlagen wird, dass Tokio auch ganz ohne freitägliche Windbeidrehung erheblich bedroht ist und bleiben wird: Wie man sich vorstellen kann, wird die Anlage in Fukushima noch eine ganze Weile lang, sehr weit über den Freitag hinaus, radioaktive Strahlung freisetzen – irgendwann sicherlich deutlich weniger als momentan, doch es dürfte ausreichen, um sehr langfristig sehr bedrohliche Folgen für die Menschen zu haben.

Nach dem Einspieler folgte ein Interview mit einem deklarierten „Atomexperten“, Wolfgang Renneberg, laut Einblendung der „Leiter des Büros für Atomsicherheit“, was so auf diese Weise sehr vertrauensvoll kompetent klingt. Für den Zuschauer nicht sofort beim Zuschauen überprüfbar ist jedoch, dass es sich hier um ein Ein-Mann-Büro handelt, das aus dessen „Leiter“ Wolfgang Renneberg allein besteht, und von einem zweiten Fachmann „unterstützt“ wird. Das soll keineswegs an der Kompetenz des Experten zweifeln lassen, provoziert jedoch u.a. die Frage, warum ausgerechnet dieser Experte befragt wurde und nicht irgendein anderer.

Äußerst bemerkenswert in jedem Fall der Inhalt des Interviews: Auf die Frage des Moderators „Wäre das nicht eine Stunde, wo man internationale Experten und Hilfe aus anderen Ländern dazuholen müsste […]?“ antwortete der Experte: „Die Verantwortung für die Anlage trägt natürlich der Betreiber und die dortige Atomaufsichtsbehörde und die Regierung. Das liegt jetzt in der Verantwortung dieser Leute. Man kann ihnen auch nicht von außen diese Verantwortung wegnehmen. Wenn sie meinen, sie können das alleine besser, dann müssen sie es tun. Ich kann es auch nicht richtig verstehen, aber die Verantwortung trägt die japanische Regierung“.

Mitten in diesem informationellen Wortwechsel der äußerst beliebte sprachliche Lapsus, der einem Journalisten trotz aller Beliebtheit tunlichst nicht passieren sollte: „Wie muss man sich das denn vorstellen? Es heißt immer wieder, die Arbeiter seien kurz evakuiert worden, wo gehen die denn hin?“. Wobei allerdings eine „Evakuierung“ auf Deutsch eine „Ausleerung“ ist, weshalb allenfalls Häuser, Städte und Gebiete evakuiert werden, jedoch hoffentlich keine Menschen.

Und zum Abschluss des Interviews dann das hier: „Was muss denn Ihrer Meinung nach als wichtigstes jetzt getan werden?“ – „Das, was dort getan wird, ist das Wichtigste […] Und die Japaner machen dort meiner Ansicht nach jetzt genau das Richtige“ …sprach der Experte, der (siehe oben) zwei Minuten vorher „nicht richtig verstehen“ konnte, dass die Japaner tatsächlich „meinen, sie können das alleine besser“.

Hauptsache, man fühlt sich bestens informiert.
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Montag, 14. März 2011

strahlend wachgerüttelt.

Ein Erdbeben, ein Tsunami, drei Atomkraftwerke kurz vor dem GAU und ein Vulkanausbruch noch dazu. Innerhalb von ein paar Stunden ist die weltweit drittgrößte Volkswirtschaft, die mit ihrer Hochtechnologie einst dem Westen das Fürchten lehrte, nun auf jede Hilfe angewiesen, die es bekommen kann – all die Toyotas, Sonys, Hitachis und Toshibas… belanglos. Eine bittere Lehrstunde für alle, die noch immer an die Allmacht der Technologie glauben. Eigentlich.
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Gerade, wenn man mit dem gewaltigen medialen Eindruck einer solchen Mehrfach-Katastrophe konfrontiert wird, kann es lohnend sein, sich ein wenig mit dessen Neben- und Randerscheinungen zu beschäftigen. Erstens, weil sie ansonsten durch den Eindruck verloren gehen, und weil sie zweitens später, wenn sich die Lage medial beruhigt hat, nicht mehr nachholbar sind.
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Gleich, nachdem von Japans Regierung zugestanden wurde, dass es „Probleme“ in einem Atomkraftwerk geben würde, wurde die Evakuierung des Umlandes in einem Radius von 3 Kilometern angeordnet, der ein paar Stunden später auf 10 Kilometer, und ein paar Stunden später auf 20 Kilometer ausgeweitet wurde.
Dazu möge man sich bewusst machen: Noch heute ist rund um Tschernobyl ein Gebiet von 7.000 (!) Quadratkilometern Sperrzone. Das ist zwar in Japan kaum zu realisieren, lässt jedoch die vergleichsweise Lächerlichkeit eines Evakuierungsradius von 20 Kilometern erahnen.
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Ein Nachrichtensender, der aufgrund seines Nachrichtenkonzeptes immer etwas haben muss, das eine „Nachricht“ ist, auch wenn es nichts Neues zu berichten gibt, versuchte eine Nachrichtenpause mit der naiven Frage zu überbrücken „ob sich solche Katastrophen nicht vorhersagen lassen“.
Man möchte meinen: Natürlich ist das möglich. Man tut es nur nicht. Vielleicht, damit sich aufwendige Katastrophenübungen und teuer angeschaffte Geräte auch einmal in der Praxis bewähren können. Oder wie?
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Am Samstag hieß es dann, dass die japanische Regierung Jodtabletten an die Bevölkerung verteilt. Wie es heißt, verhindert Jod, dass sich eingeatmete, radioaktiv verseuchte Luftpartikel in der Schilddrüse anreichern. Immerhin. So lässt sich später diagnostizieren: „Sie sind zwar radioaktiv verstrahlt, Sie sollten besser keine Kinder zeugen und sterben ein paar Jahre früher, aber Ihre Schilddrüse ist in Ordnung“.
Mich erinnerte das spontan an einen Dialog aus der satirischen Trilogie „Per Anhalter durch die Galaxis“, in dem es um den kurz bevorstehenden Weltuntergang geht: „Können wir denn gar nichts dagegen tun?“ – „Nein, nichts“ – „Ich dachte, wenn die Welt untergeht, müssen wir uns auf den Boden legen oder eine Papiertüte über den Kopf ziehen“ – „Wenn’s ihnen Spaß macht“ – „Und? Hilft das?“ – „Nein“.
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Überhaupt: Laut dem japanischen Regierungssprecher bestehe trotz möglicher Kernschmelzen „keine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit“. Nicht unmittelbar, da hat er sicherlich recht. Das ganze Dilemma wird sich erst mittelbar in den nächsten Generationen offenbaren, denn schließlich beschädigt radioaktive Strahlung vornehmlich Zellkerne und das Erbgut von Lebewesen. Für heute genügen ein paar Jodtabletten, um sich beruhigt zu fühlen. Achja: und bitte vorerst keinen Salat essen, das ist aus Zeiten der Tschernobyl-Katastrophe noch bestens bekannt.
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Den Kompetenzvogel abgeschossen hat jedoch am Wochenende unser Bundesumweltminister Röttgen, der tatsächlich verkündete „für Deutschland besteht keine Gefahr, dafür ist Japan einfach viel zu weit weg“. Ein Umweltminister, der von Ökologie so rein überhaupt keine Ahnung zu haben scheint, von globaler Staubverbreitung und Nahrungsketten, ist definitiv Fehl an seinem Platz.
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Und dann wären da noch „Die Folgen für die Weltwirtschaft“, wie es unvermeidlich thematisiert wurde: „Ein ökonomischer Absturz in Fernost würde auch Deutschlands Aufschwung gefährden“, hieß es. Das Zynische daran: Das stimmt sogar. In einer Welt, die sich von der Ökonomie komplett abhängig macht, von Börsenkursen, Wachstumsraten und Bruttoinlandsprodukten, geht ohne Geld gar nichts mehr – auch keine Behebung von Katastrophenschäden und kein Wiederaufbau.
Schließlich sollte man nicht glauben, dass die internationale Hilfe für Japan umsonst wäre. Wenn Deutschland Spezialhilfskräfte des THW nach Japan schickt und die USA mit u.a. Flugzeugträgern und Hubschraubern helfen… die Japaner werden dafür eine Rechnung bekommen; auch Hilfe kostet eben Geld.
In Deutschland zumindest regelt das sogar ein Gesetz, nämlich das „Gesetz zur Behebung einer Notlage“, insbesondere bei „konsularischer Hilfe“. Das können Deutsche bestätigen, die irgendwo im Ausland verschleppt, nach etlichen Wochen Geisel-Gefangenschaft frei gelassen, mit deutscher Konsulatshilfe wieder nach Hause geflogen wurden, und vom Auswärtigen Amt eine Rechnung in fünfstelliger Höhe bekamen, zahlbar an die Staatskasse, Ratenzahlung auf Antrag.
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Last but not least lautet der Aufmacher der neuen „SPIEGEL“-Ausgabe: „Fukushima 12. März 2011, 15.36 Uhr – Das Ende des Atomzeitalters“. Da konnte die „SPIEGEL“-Redaktion allerdings noch nicht wissen, dass der chinesische Regierungschef Wen Jiabao auf einer Pressekonferenz heute morgen verkünden würde, dass China bis zum Jahr 2020 ein paar Dutzend neue Atomkraftwerke bauen wird, zusätzlich zu den 20, die alleine dort bereits im Bau sind. Man kann sich schließlich präventiv schon einmal mit Jodtabletten eindecken, fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

Donnerstag, 10. März 2011

berauschend vorbildlich.



Zwei Momentaufnahmen der gestrigen 20-Uhr-„Tagesschau“. Was fällt uns allen spontan an den beiden Hintergrundbildern auf(?) – außer natürlich, dass es sich beide Male um Meldungen zum „Politischen Aschermittwoch“ handelt. Sechs führende, so genannte „Spitzenpolitiker“ prosten mindestens 9 Millionen Zuschauern mit Alkohol entgegen.
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So, wie sich Politikerinnen und Politiker mit Sekt- und Biergläsern und -krügen in der Hand der Öffentlichkeit präsentieren, liegt die Vermutung nahe, sie wollten dadurch den Alkoholgehalt zwischen 4,5 und 6 Prozent irgendwie auf die Umfragewerte aufschlagen.
Doch ganz anders: man will sich einem Volk der Biertrinker dadurch „volksnah“ zeigen. Dasselbe wäre mit Zigaretten mittlerweile undenkbar, die sehr erfolgreich als Krankmacher verteufelt wurden, als wäre Alkohol das weniger oder gar nicht: In der Öffentlichkeit zu rauchen ist für Politiker ein inzwischen nahezu undenkbares Tabu, der Öffentlichkeit medial zuzuprosten ist „volksnah“ und ein „Muss“ und kein Mensch regt sich darüber sonderlich auf.
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Laut der Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamtes jedoch sind psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen aufgrund von Alkoholkonsum der zweithäufigste(!) Grund für einen stationären Aufenthalt, darunter jährlich um die 20.000 Minderjährige, Stichwort „Komasaufen“.
Man möge kurz überschlagen, welche Belastung nicht nur einem Krankenhauspersonal, Ärzten und Krankenschwestern und -pflegern erspart bleiben könnte, die notorisch Überstunden machen müssen. Und man möge zusätzlich überschlagen, welche enormen Kosten den Krankenkassen, der „Solidargemeinschaft“, letztlich uns allen erspart bleiben könnten, wäre Alkohol nicht als „Gesellschaftsdroge“ legitimiert und würden deren Folgen nicht heruntergespielt – in unserem „Bildungs- und Wissenszeitalter“.
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Und das, wo die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Mechthild Dyckmans noch am 01.03. publizierte „Jugendschutz gilt immer – auch im Karneval“ (siehe: >> www.bmg.bund.de/ministerium/leitung/drogenbeauftragte ), scheint das ihre Kabinettskollegen in den „Spitzenämtern“ nicht sonderlich zu interessieren; der „Volksnähe“ zuliebe.
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Obwohl natürlich zugestanden sein muss, dass mit dem Aschermittwoch der Karneval gelaufen ist, muss die Frage gestellt werden dürfen, wie es um die Verantwortung nicht nur unserer „Spitzenpolitiker“ bestellt ist, die sich der Öffentlichkeit so präsentieren, sondern auch um die der „Tagesschau“, die diese (und eben: keine anderen) Bilder präsentiert.
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Dienstag, 8. März 2011

technisch bevormundet.

Die Entmachtung des Menschlichen durch die moderne Hochtechnologie ist definitiv nicht aufzuhalten. Den neuesten Beweis für den persönlichen Alltag liefert zweifellos die „Adaptive Cruise Control“ für den „Active Break Assist“, beziehungsweise für deutsche Straßen: das Notbremssystem mit elektronischer Fußgänger-Erkennung in Kraftfahrzeugen, gleich neben dem „Attention Assist“ gegen Übermüdungsunfälle.
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Ganz frisch in der medialen Massenwerbung befindet sich gerade eine Apparatur in Volvos, die Fußgänger „erkennt“, die sich in Fahrtrichtung vor dem Wagen aufhalten, und daraufhin eine automatische Notbremsung vollführt. Da das Ganze von einem Autohersteller beworben wird, ist nicht ganz klar, ob diese Innovation nun dazu dienen soll, Fußgänger zu schützen, oder vor unschönen Beulen am eigenen Volvo. Ich vermute eher Letzteres, weil man ansonsten wohl auch Airbags einbauen würde, die sich im Fall der Fälle vorn außen am Wagen aufpusten.
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Mir sind dabei spontan zwei Szenarien in den Kopf gekommen. Das eine ist die Notvollbremsung bei der mein Wagen zwar knapp vor dem Fußgänger zum Stehen kommt, dabei jedoch der hinter mir fahrende 40-Tonner nicht nur mein Auto vom Heck beginnend zusammenfaltet, sondern auch den Fußgänger, der gerade noch erleichtert über seine Lebensrettung war.
Das andere Szenario ist der verzweifelte Versuch, sich vom Supermarkt-Parkplatz fortzubewegen, weil der Wagen eine Notbremsung nach der anderen veranstaltet. Eine ganz besondere Erfahrung sicher auch für Lieferanten, die ihre Ware durch eine Fußgängerzone zu einem Laden transportieren müssen.
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Mercedes-Benz kontert werblich dagegen mit dem „Attention Assist“: eine Technik, die die Augen des Fahrers „beobachtet“, die Intervalle der Lidschläge „misst“, daraufhin „entscheidet“, ob der Fahrzeugführer übermüdet ist, und schleudert ggf. einen Warnton aus den Lautsprechern. Das ist alles. Auf eine Notbremsung wird hierbei verzichtet. Allerdings wird laut Gerüchten daran gearbeitet, dem übermüdeten Fahrer einen starken Kaffee zu kochen, der ihm aus einer Klappe im Lenkrad heraus serviert wird.
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Was lehrt uns das wieder einmal? Gebraucht wird nicht etwa eine Besserung menschlicher Qualitäten, nicht etwa, dass Menschen ein wenig besser auf sich selbst achtgeben, nicht etwa, dass Menschen (zum Beispiel) etwas vorsichtiger, umsichtiger, aufmerksamer und rücksichtsvoller sind und miteinander umgehen, sondern wirklich Verlass ist nur auf die Technik.
Deshalb ist dieses Schreiben maschinell erstellt worden und auch ohne meine Unterschrift gültig.
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Montag, 7. März 2011

ungebremst steigerungswütig.

Wir leben in einer Zeit, in der alles immer noch größer, noch sensationeller und noch katastrophaler sein muss, selbst wenn das gar nicht möglich ist: den Schlagzeilen, Auflagen und Einschaltquoten zuliebe wird jede Sensation noch sensationeller und jede Katastrophe noch katastrophaler gemacht. Das Mittel zum Zweck: sprachliche Steigerung. Und es wird gesteigert, was das Zeug hält.
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Das bekannteste Beispiel ist sicherlich der „Super-GAU“ von irgendetwas, meist in gedanklicher Verbindung mit Atomkraftwerken. Dabei ist „GAU“ das Kürzel für „Größter anzunehmender Unfall“, der Wortbestandteil „super“ wiederum bedeutet „über... (etwas hinaus)“. Demnach ist ein „Super-GAU“ ein Unfall, der über den größten überhaupt denkbaren Unfall noch hinausgeht, also noch größer als der Größte. Immerhin: es klingt schön bedrohlich. Beziehungsweise: noch bedrohlicher als bedrohlich, soweit das mögich ist.
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Von ähnlicher Qualität war eine Verkehrsmeldung vor ein paar Wochen, als es noch sehr winterlich-kalt war: „Die Temperaturen fallen. Also Vorsicht! Auf den Straßen kann es noch glatter werden“. Aha. Noch glatter als glatt. Eine andere kürzliche Tagesmeldung lautete: „Deutsche Arbeitnehmer immer stressgeplagter“. Was wohl bedeuten sollte: Man kann offenbar durch Stress nicht nur geplagt sein, sondern noch geplagter als geplagt. Irgendwann wird es womöglich eine Castingshow geben, in der der Stressgeplagteste aller Stressgeplagten gesucht wird. Ausschließen kann man heutzutage ohnehin nichts mehr.
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Einer Sportmeldung vom letzten Wochenende zufolge wiederum wird Michael Ballack bei seinem Klub Bayer Leverkusen „immer entbehrlicher“. Dabei ist es sicher schlimm genug für einen Star, wenn er entbehrlich geworden ist, und man locker auf ihn verzichten kann, doch noch entbehrlicher zu sein, quasi noch verzichtbarer als verzichtbar, das muss an einem nagen; vielleicht nagender als nur nagen.
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Selbst die gestrige Tagesschau beteiligte sich an der modernen sprachlichen Steigerungswut: „In Libyen wird die Lage immer unübersichtlicher“, hieß es. So, so. Eine Lage, die vorgestern nicht mehr zu überschauen war, ist inzwischen noch mehr als nicht zu überschauen, quasi „überunübersichtlich“. Wie gut wir es doch hierzulande haben: auf uns wird nur mit Worten geschossen.
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