Dienstag, 29. Januar 2013

Alle frei und gleich in den Fortschritt


US-Präsident Obama hat vor einer Woche seine zweite Amtszeit angetreten, traditionsgemäß am 21. Januar, dem „Inauguration Day“. Ein begrifflich grober Lapsus der US-Amerikaner, die ansonsten verkäuferisch so enorm talentiert sind. Vielleicht ist auch nur die zeitgemäße und werblich cleverere Kurzform „iDay“ längst von „Apple“ patentiert. Am präsidialen Verkaufserfolg ändert das allerdings nichts.

Eines muss man den US-Amerikanern lassen: Wenn sie etwas nahezu perfekt beherrschen, dann ist es die Inszenierung. Erst recht natürlich, wenn es um die Stellenbesetzung des „Mächtigsten Mannes der Welt“ geht. Die Vorstellung, das würde hierzulande ähnlich inszeniert, geschweige denn medial in alle Welt live übertragen, ist dabei erstaunlich absurd.

Perfekte Inszenierung. Wie eine TV-Dokumentation anlässlich des „Inauguration Day“ verriet, sorgt ein Stab von zwei bis drei Dutzend PR-Beratern dafür, dass der US-Präsident imagemäßig optimal auftritt – oder dafür, dass es wenigstens so scheint als ob.
Nach diversen Fettnapftritten früherer Präsidenten sei es in unserer heutigen Medienlandschaft völlig undenkbar, dass Barack Obama öffentlich auch nur ein einziges Wort spontan äußern würde. Völlig undenkbar. Tatsächlich sei restlos alles, jedes Wort und jede Geste vorher detailliert besprochen und abgeprüft. Restlos alles.
Mit dieser Information möge man sich nun die Tränen in Erinnerung rufen, die sich der US-Präsident im Dezember während seiner Rede nach dem Amoklauf an einer Grundschule in Newtown aus dem Auge wischte.

Zurück zum „Inauguration Day“: Der alte und neue US-Präsident, laut Medien nicht nur amtlich, sondern auch persönlich. Aus dem „Messias“ sei quasi ein „Obama 2.0“ geworden. Kein wolkiges Pathos-Gerede mehr, sondern konkrete Ansagen würde er nun liefern. Hieß es.
Und wie konkret ist es, wenn ein US-Präsident „das amerikanische Versprechen von Freiheit und Gleichheit“ nicht nur einfach nebenbei anspricht, sondern gar „beschwört“?

„Freiheit“ heißt dann vielleicht konkret: „Du bist frei! Also ruf´nicht nach dem Staat. Wenn du dich bedroht fühlst, hast du die Freiheit, dir Waffen zu kaufen. Wenn du krank bist, hast du jede Freiheit, dich behandeln zu lassen. Wenn du keinen Job und kein Geld hast, hast du ein Problem. Es ist dein Problem. Kümmere dich selbst darum. Du bist schließlich frei!“.
„Gleichheit“ wiederum heißt vielleicht konkret, frei nach Henry Ford: „Sie können einen Ford in jeder Farbe haben, die Sie wollen – solange es schwarz ist“. Nur, wenn alle gleich sind, wenn alle das gleiche wollen, können wir auch alles an alle verkaufen, Coca-Cola, McDonald´s, Levis, Disney und Hollywood, das Tellerwäscher-Ideal, die Wegwerf-Mentalität und den „American Way Of Live“.

Insgesamt ist das jedenfalls ein echter Verkaufsschlager, in alle Welt exportiert, es lebe die Globalisierung. Hier und da hapert es an der Freiheit, woanders noch an der Gleichheit, manchmal fehlt es auch nur ein bisschen an der Inszenierung. Doch jeder kleine Fortschritt in diese Richtung wird als Fortschritt gefordert, gefördert und gefeiert.

Donnerstag, 24. Januar 2013

Dschungelcamp macht PISA-Studien überflüssig


Dieser Blogeintrag hat das Potenzial, den Unmut von rund 39% der werten Leser zu erregen – jedenfalls, sofern sie sich innerhalb der „werberelevanten Zielgruppe“ im Alter zwischen 14 und 49 aufhalten und kürzlich zu der Rekordeinschaltquote des RTL-„Dschungelcamp“ beigetragen haben.

Wenn eine Partei an einem Wahltag 39% der Stimmen holt, dann gilt das in der Regel als „klarer Wählerauftrag“ zur verantwortlichen Regierungsbildung. Bei dieser Analogie kann es einem die Nackenhaare sträuben, wenn das RTL-„Dschungelcamp“ ebenso viele Zuschauer hat. Und der Großteil davon ist tatsächlich wahlberechtigt.

Zugegeben: Dieser Gedankengang wird nicht für jeden auf Anhieb nachvollziehbar sein, vielleicht sogar nur für relativ wenige. Wenn man etwas für viele und für die Masse machen will, muss es schon simpler sein. So wird das Simple zum Maßstab für Erfolg. Das kennt man in Vollendung bereits aus der Werbung. Und die wurde schließlich längst zum Kulturgut erhoben.

Wer nach dem Maßstab des Simplen und der Masse so richtig erfolgreich sein will, der wird am besten Unterhalter. Ganz simpel eine Masse von Menschen zu unterhalten, damit kann man spielend Millionen verdienen. Von Mario Barth über Thomas Gottschalk und Verona Pooth bis zu Günter Jauch. Wen es nicht ganz so ins Rampenlicht zieht, der macht sich in der Unterhaltungsindustrie selbstständig, produziert Computerspiele oder entwickelt TV-„Formate“ wie etwa das „Dschungelcamp“. Simpel. Massenkompatibel. Erfolgreich.

Im Grunde könnte man sich damit jede weitere PISA-Studie sparen (oder zumindest das Etikett auf dieser Mogelpackung, es ginge dabei um „Bildung“). Ein intellektuelles Gegenstück zum „Dschungelcamp“ wären wohl paar Denker, die befristet in ein Studio gesperrt werden, um über tiefsinnige Fragen unserer Zeit zu plaudern, etwa das „Nachtstudio“ im ZDF, das kürzlich aus dem Programm gestrichen wurde. Womöglich, um mit dem eingesparten Geld das Honorar für Cindy aus Marzahn als neue Assistentin bei „Wetten, dass…?“ zahlen zu können.

Jedenfalls ist schon der offizielle Titel „Ich bin ein Star. Holt mich hier raus!“ geeignet, um sich Fragen zu stellen. Als oberflächlicher Betrachter erschließt sich einem der Sinn nicht ganz, wo es doch für die Teilnehmer im Gegenteil wohl darum geht, möglichst lange in diesem „Camp“ zu verweilen. Dankbar wiederum ist man für den Hinweis, dass es sich hierbei um Stars handeln soll. Vielleicht sind das solche, die ansonsten incognito bleiben wollen und sich gut getarnt zwischen der C- und D-Reihe der „Promis“ verstecken.

Doch bei allem Lästern: Der kurzschlüssige Rückschluss, bei den Zuschauern des „Dschungelcamp“ würde es sich nur um bildungsferne Dumpfbacken handeln, ist ein Trugschluss. Tatsächlich sind hochintelligente Menschen darunter, die auch ein solches „Trash-TV“ schlicht und einfach als unterhaltsam empfinden.
Und das, wohlwissend darum, dass es sich bei solchen Aussendungen um Produkte handelt, die nicht für Menschen produziert werden, die unterhalten werden wollen, sondern auch gerade für die, die das nicht wollen, und eigentlich Besseres zu tun hätten; die nur deshalb überhaupt einschalten, weil es... gezeigt wird. Darüber machen sich TV-Produktionsfirmen und Medienforscher ganz sicher erheblich mehr Gedanken als die Zuschauer. Müsste noch geklärt werden, wer davon strategisch im Vorteil ist.

Freitag, 4. Januar 2013

richtig weniger kann falscher mehr sein


…und umgekehrt. Wenn Sie bis hierhin nur „Bahnhof“ verstehen, liegt das daran, dass das gesamte Thema ohnehin ziemlich paradox sein kann: „weniger ist mehr“, also lieber etwas weniger mehr, dafür eben mehr weniger. Kein Wunder, wenn kaum noch jemand weiß, was richtig und falsch ist, was er tun oder lassen soll.

Ein beispielsweise angesagtes Thema ist seit ein paar Jahren „ethischer Konsum“. Wobei „Ethik“ grundsätzlich gern mit Verzicht gleichgesetzt wird: weniger Stromverbrauch, weniger Auto fahren und weniger CO2-Ausstoß, weniger Müll, weniger Fett im Essen, etc, etc. Dumm nur, dass dieses penetrant penetrierte „Weniger“ im groben Gegensatz zum „Mehr“ steht, das angeblich unseren Wohlstand ausmacht: mehr Konsum, mehr Wirtschaftswachstum, mehr Steuereinnahmen. Also… was nun?

Wie oft wird das Sparen an sich proklamiert: sparen, sparen, sparen. Wir sollen Strom sparen, weniger Wasser verbrauchen, weniger Müll produzieren. Gleichzeitig müssen aber Strom- und Wasserkraftwerke und Müllverbrennungsanlagen ausgelastet sein, damit sie effizient und rentabel laufen, ansonsten wird das alles teurer, weil… gespart wird.

Ähnlich auf kommunaler Ebene: Laut dem Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) haben viele Kommunen im Sparzwang weniger investiert, z.B. weniger renovierte Schulen, weniger Straßenbau. Die Bürger dagegen erwarten heute immer mehr: bessere Straßen, mehr Lehrer, mehr Polizisten, etc. Jetzt wollen 81% der Städte und Gemeinden ihre Gebühren und Abgaben erhöhen, um wieder mehr investieren zu können. Mit der Gefahr, dass deshalb Firmen und Bürger abwandern und doch wieder weniger in die Gemeindekasse fließt.

Gern wird auch „der Konsum“ als solcher zeitgeistig kritisiert. Wir sollten uns mäßigen, wir sollen „bewusst“ oder auch „strategisch“ konsumieren, in jedem Fall bitte: weniger. Doch wehe, wenn der monatlich ermittelte „Konsumklimaindex“ angeblich zeigt, dass den Konsumenten die „Kauflaune“ abhanden gekommen ist. Prompt droht der Kollaps der Konjunktur, Pleite- und Entlassungswellen und der Einbruch der Steuereinnahmen.

Doch zumindest im Falle des Geldes an sich herrscht völlige Klarheit: Im Zweifel ist mehr Geld immer besser als weniger oder gar keins. Mehr Geld bedeutet mehr gefühlte Sicherheit. Oder wie Pablo Picasso meinte: „Ich möchte leben wie ein armer Mann – mit einem Haufen Geld“.