Montag, 25. November 2013

Wer wird denn gleich alles persönlich nehmen

Beschäftigen wir uns doch noch einmal kurz mit einem inzwischen wieder abgeebbten Thema: Das Internet, „Soziale Netzwerke“, Daten und die öffentlich diskutierte private Sphäre von Privatpersonen, die sich in aller Öffentlichkeit bewegen. Eine Diskussion, die stellenweise anmutet, als würden wir noch im Zeitalter der Postkutschen leben.

Wie war das noch, vor gerade zwei Monaten, als bekannt wurde, dass unsere Daten fast vollständig von der US-amerikanischen NSA abgesaugt und ausgespäht werden: Im TV-„Kanzler(kandidaten)-Duell“ warf der Herausforderer der Amtsinhaberin wochenlange Untätigkeit vor, die darauf antwortete, sie regiere nach dem Motto „Erst denken, dann handeln“, denn schließlich sei ja zu diesem Zeitpunkt nichts definitiv geklärt gewesen. Doch als kursierte, dass auch ihr eigenes Mobiltelefon abgehört worden sein soll, griff Angela noch am selben Tag zum Roten Telefon.

Beim Thema Datenschutz, gerade dem Schutz persönlicher Daten, reagiert man hierzulande empfindlich, umso empfindlicher, je persönlicher. Warum eigentlich? Vor allem: was sind eigentlich „persönliche Daten“? Gehört ein persönliches Geburtsdatum auch dazu, obwohl etliche Menschen am selben Tag geboren wurden? Oder eigentlich nicht, aber in Verbindung und zusammen mit anderen persönlichen Daten doch? Oder zusammen mit persönlich versendeten eMails und SMS, Einträgen bei „Facebook“, Suchanfragen bei „Google“, Buchkäufen bei „Amazon“, Ersteigerungen bei „eBay“, Flugbuchungen, und so weiter?

Na, eben. Es kommt gerade eben nicht auf die nackten Daten an, denn die sind allesamt nichtssagend. Es ist die Verbindung mit dem Datensammler, der Daten, die keine Bedeutung haben, eine Bedeutung gibt. Die Kunst, aus Nullen und Einsen etwas zu machen, was man „Information“ nennt. Wohlgemerkt: So etwas wie Information an sich gibt es nicht. Eine Information ist „ein Unterschied, der einen Unterschied macht“. Und Unterscheidungen werden von Menschen getroffen, und zwar willkürlich. Die NSA oder der BND, zum Beispiel, wollen „die Bösen“ aus „den Guten“ herausfiltern. Dass das zu einer kniffligen Aufgabe geworden ist, seit dem es keinen Ostblock mehr gibt, ist natürlich klar. Da muss man einfach Verständnis haben.

Und sonst? Wenn „Google“, „Facebook“, „Amazon“ & Co. Daten sammeln und verknüpfen, wenn dasselbe mit „Bonuskarten“ wie „Payback“ und „DeutschlandCard“, etc. getrieben wird, und jetzt sogar ein „LG“-Fernseher speichert und als Datenpaket versendet, wann man sich welches TV-Programm wie lange angesehen, und wann auf welchen Kanal umgeschaltet hat, dann nur ausschließlich, weil man uns „noch gezielter“ mit Werbung zumüllen möchte. Na, bitteschön. Auch dafür kann man konjukturelles Verständnis aufbringen und die „noch gezieltere“ Werbung unberührt weiterhin ignorieren.

Unter einer informationellen Freiheitsberaubung verstehe ich allerdings etwas anderes. Da müsste man den Datenschutz konsequenterweise auch auf Supermärkte und die Müllabfuhr ausweiten. An jeder Kasse sichtgeschützte Einzelabfertigung, denn anhand der Produkte, die jemand auf das Kassenförderband legt, lässt sich mindestens genau so viel ablesen, wie aus dem Verpackungsmüll: Was da alles durch die Gelben Säcke schimmert, die Menschen an ihrem Gartenzaun abstellen, und dadurch freiwillig veröffentlichen: welche Marken, welche Mengen, „Bio“-Produkte, Fertiggerichte, ob Kinder im Haushalt leben und/oder Haustiere, …ganze Familienverhältnisse inklusive Lebensstile. Am Briefkasten sind die Müllers identifizierbar, in der Einfahrt das Auto geparkt, auf dem prangt „Kevin fährt mit“, so wird dann auch der Nachwuchs vollnamentlich bekannt. Aber unsere persönlichen Daten gehen niemanden etwas an.

Freitag, 15. November 2013

Die Zukunft spricht für sich selbst.

Der geneigte Leser muss an dieser Stelle vorab darüber informiert sein, dass ich Supermärkte nur sporadisch aufsuche und die Haupteinkäufe von meiner Frau erledigt werden. Das hat nichts mit einer altertümlichen Rollenverteilung in der Ehe zu tun, es hat organisatorische Gründe. Doch es sieht so aus, als müsste ich das aus beruflichen Gründen schleunigst überdenken.  

Aufgrund verschiedener Umstände und eher aus Versehen landete ich unterwegs kürzlich in einem „Aldi“-Supermarkt. Als ich ihn wieder verließ, empfand ich eine leichte geistige Verwirrung. Bis heute ist der genaue Grund dafür noch ungeklärt; ob ich den Kontakt zur Normalität verloren habe, oder ob die Normalität irgendetwas anderes ist, als ich eigentlich dachte.

Mangels einer sichtbaren Bäckerei, aber dringlichem Hungergefühls, beschloss ich, im nächstgelegenen Supermarkt einen Imbiss zu kaufen. Noch nichtsahnend ging ich strammen Schrittes in die gewohnte Backwarenabteilung, fand dort jedoch statt gewohntem Regalsortiment einen ungewohnten Backautomaten vor. Ein Automat, der auf Knopfdruck eine gewünschte Backware auswirft. Oder auch nicht. Sondern statt dessen vorher eine ruhig-säuselnde Frauenstimme aus einem Lautsprecher, man möge bitte einen Moment auf die frische Backware warten. Willkommen im Jahr 2013.

Auf dem Weg zur Kassenzone das Gleiche: Eine ebenso ruhig-säuselnde Frauenstimme spricht in die Weiten des Supermarktes: „Liebe Kunden, wir schließen Kasse zwei“. Wenige Sekunden später: „Liebe Kunden, wir öffnen Kasse drei für Sie“. Sodass ich fast in Erwartung war, gleich über den Zug informiert zu werden, der auf Gleis neun einfahren wird.

Trotz dieser ruhig-säuselnden Stimmen war ich leicht beunruhigt. Und zwar aus zwei Gründen, die der geneigte Leser keineswegs nachvollziehen können muss. Ich war nicht der einzige Kunde in diesem Laden, doch ganz offensichtlich der einzige, der sich über den Backautomaten und die geheimnisvollen Stimmen wunderte. Ein paar Mitmenschen in meiner Nähe schienen sich eher über meine Verwunderung zu wundern.

Zum anderen habe ich Vorurteile gegen Stimmen, die irgendetwas in aller Ruhe in die Ohren ihrer Mitmenschen säuseln. Vor meinem geistigen Auge taucht dabei schlagartig eine „Kuckucksnest“-ähnliche Szenerie in einer Nervenklinik auf: „Ja, natürlich. Sie sind Napoleon, haben die Dampfmaschine erfunden und den Eiffelturm gebaut. Das wissen wir doch. Aber jetzt nehmen sie bitte ihre Medizin und legen sich ein bisschen hin“.

Wenn so etwas dann auch noch aus technischen Apparaten kommt, denke ich wiederum spontan einerseits an einen Fahrstuhl, nämlich in „Per Anhalter durch die Galaxis“, der dem Fahrgast versucht zu erklären, welche Vorteile es hätte, nach unten zu fahren statt nach oben, und dass es ihm eine Freude sei, sich für den Fahrgast zu öffnen und zu schließen.

Zum anderen denke ich an die intelligente Bombe in dem Kultfilm „Dark Star“, die mit dem Raumschiffpiloten den Sinn des Lebens ausdiskutiert, nicht abgeworfen werden will, weil sie mit der Detonation schließlich ihr Leben aushaucht, andererseits aber doch, am besten jetzt gleich im Raumschiff, explodieren muss, weil das schließlich ihre Bestimmung sei, wovon der Pilot sie mit all seiner Überredungskunst abzuhalten versucht.

Es wird unweigerlich so kommen. Da sind sprechende Backautomaten erst der Anfang. Kürzlich wurde in der Sendung „Scobel“ (3Sat) über „Das Internet der Dinge“ diskutiert. Über „intelligente“ Kühlschränke etwa, die im Bedarfsfall „selbstständig“ den Vanillepudding nachbestellen, was eine ganz tolle Sache wäre, außer natürlich, man möchte lieber einmal Schokopudding essen. Nein. Es wird schlimmer werden. Der Kühlschrank wird das ausdiskutieren wollen. Es ist unaufhaltsam.

Montag, 4. November 2013

(Nicht nur) eine Frage der Gerechtigkeit

Und wieder einmal muss es eine Studie sein, die angeblich etwas „enthüllt“, was wir alle bisher nur ahnen konnten, wenn überhaupt. In diesem Fall eine Studie der Kinderhilfsorganisation „World Vision“, durch die nun entlarvt worden sein soll, wie und was Kinder über das Thema Gerechtigkeit denken.

„Kinder“, so heißt es vorweg mit Berufung auf diese Studie, „haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn“. Schon an dieser Stelle ist es berechtigt, sich ein paar Fragen zu stellen. „Gerechtigkeitssinn“. Aha. Ist Gerechtigkeit also eine Frage der sinnlichen Wahrnehmung? Also so, wie Hunger, Durst, Temperatur, Körperhaltung, und so weiter? Oder ist da nur irgendetwas flott hingeschrieben worden und irgendwie anders gemeint? Und wenn, was sagt das über den Rest der versprochenen Enthüllungen aus?

Die Experten wollten erst einmal von den 2500 befragten unschuldigen Kindern wissen, was denn Gerechtigkeit überhaupt ist. Das ist ungemein interessant, weil selbst erwachsene Menschen erheblich unterschiedliche Vorstellungen mit diesem Begriff verbinden. Noch nicht einmal unter Experten und Politikern ist man sich einig, was „sozial gerecht“ ist und was nicht. Ob es etwa gerecht ist, dass auch Millionären Kindergeld zusteht, während es Bedürftigen, die mit jedem Cent rechnen müssen, auf den mickrigen „Hartz IV“-Regelsatz angerechnet wird. Doch das nur nebenbei.

Ein 10-Jähriger soll jedenfalls gesagt haben: Gerechtigkeit ist, wenn „jeder gleich behandelt wird und die gleichen Möglichkeiten hat“. Na, wenn das nicht mal ein intelligentes Kind ist. Aber… woher weiß der Junge das eigentlich?

Da landen wir bei einem kniffligen Punkt: Eine solche Allerweltsdefinition wird einem Kind vornehmlich von den Eltern erklärt: „Mama, was ist eigentlich Gerechtigkeit?“ und bekommt eine entsprechende Antwort, abhängig davon, was Mama darüber denkt. Und unterschiedliche Mamas geben unterschiedliche Antworten. Papas übrigens auch.

Prompt landet man in der nahezu pathologischen Schichten-Diskussion: Bedürftige Eltern in der „Unterschicht“ tendieren wohl zwangsläufig dazu, das Thema Gerechtigkeit öfter und anders zu thematisieren als gutsituierte Eltern in der „Oberschicht“ – und das wird selbstredend so auch erst einmal von deren Kindern übernommen.

Ehe man sich versieht, wird der „Gerechtigkeitssinn“ nicht mehr dem Kind zugeschrieben, sondern seiner „sozialen Herkunft“, und somit schließlich dem Einkommen der Eltern. Und wenn man gerade so schön dabei ist, kann man gleich noch ein paar andere charakterliche Eigenschaften und Fähigkeiten eines Kindes anhand der familiären Finanzlage bemessen. Schließlich sortiert man in Personalabteilungen auch die Bewerbungen von Jugendlichen aus, deren Absenderadresse einen „sozialen Brennpunkt“ verraten.

Wie gerecht das den Kindern und letztlich auch den Eltern gegenüber ist, sollte vielleicht mit einer neuen Studie enthüllt werden. Dazu sollte allerdings vorher die soziale Herkunft der Experten überprüft werden. Es geht aber auch einfacher. Was gerecht ist, hat Bazon Brock in einem Satz gesagt: „Wer zwei Hemden hat, gebe dem eins ab, der nur eines hat, damit er auch zwei habe“.