Mittwoch, 28. März 2018

zwanghaft erkrankt

Im Grunde ist es kaum zu fassen, wie die Bevölkerung grob fahrlässig desinformiert und fehlgebildet wird, und das sogar auch noch öffentlich-rechtlich. Natürlich ist das in der Regel keine Absicht, sondern gut gemeinter Journalismus. Was das Ganze jedoch kaum erträglicher macht.

In einem Nachrichtenmagazin des WDR-Fernsehens sah man offenbar die Notwendigkeit, die Öffentlichkeit über die so genannte „Prokrastination“ aufzuklären. Wer auch immer die verantwortlichen Journalisten auf diese Idee gebracht und auf dieses Thema gestoßen hat.

Prokrastination ist etwas, das im Volksmund „Aufschieberitis“ genannt wird. Also eine glatte Zuwiderhandlung gegen die Weisheit „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“ – und: es ist ein weiteres Paradebeispiel dafür, wie aus einem Allerweltsproblemchen eine bösartige Krankheit gebastelt wird.

Der Bericht beginnt mit den Worten: „Prokrastination, so heißt diese Krankheit […]“. Jedoch: Leider falsch. Wenn man das überhaupt mutwillig als „Krankheit“ betrachten will, dann heißt sie mitnichen so, sondern sie wurde nach ihrer Erfindung so genannt. Das sind mindestens zwei Paar Schuhe.

„Prokrastination“, heißt es weiter, „kommt aus dem Lateinischen […]“. Und auch das: leider falsch. Dieser Begriff „kommt“ nicht etwa aus dem Lateinischen, weil er im Lateinischen gar nicht existiert, sondern man hat ihn aus lateinischen Wörtern zusammengebastelt, weil das krankhafter und bedrohlicher klingt als „Aufschieberitis“.

Und tatsächlich wird einem sodann erzählt: „Aufschieben kann sogar krankhaft werden, jeder zehnte Deutsche soll betroffen sein“. Prompt wird die „Prokrastinationsambulanz“ in Münster vorgestellt und ein dortiger Psychologischer Psychotherapeut dazu befragt. Das ist mal ein Service.

Schätzungsweise werden Hunderte von Zuschauern gleich einen Tag nach diesem Bericht zum Arzt gelaufen oder gleich nach Münster gefahren sein, weil sie sich unversehens betroffen fühlen: „Herbert, du wolltest doch schon vorgestern das Bild an die Wand hängen! Vielleicht bist du ja krank.“

Wobei von diesem Psychologische Psychotherapeuten zu erfahren ist, dass eine Therapie in Gruppentrainings oder in Einzelberatungen stattfindet, bei zwischen 5 oder 7 Therapiesitzungen. Er hat in diesem öffentlich-rechtlichen Werbespot nur vergessen zu erwähnen, was das kostet. Doch das erfährt man schließlich, wenn man nachfragt.

Dienstag, 20. März 2018

beruflich gefährdet

Manchmal fragt man sich, ob man absichtlich über- und fehl- und desinformiert wird, und sich irgendwo irgendwer einen Heidenspaß daraus macht. Oder ob das lediglich der Zeitgeist ist, an den man sich erst noch gewöhnen muss. Wie auch immer: das Problem bleibt am Ende an Otto Normalmensch hängen.

Kürzlich wurde im regionalen Fernsehen des WDR berichtet und beklagt, dass wir in Deutschland inzwischen viel zu wenig Lastkraftwagenfahrer hätten. Der Deutsche Speditions- und Logistikverband DSLV spricht von zurzeit 45.000 fehlenden Brummifahrern und sieht die allgemeine Versorgungssicherheit gefährdet.

Diese Meldung lief unter dem Stichwort „Fachkräftemangel“. Sieh an. Da meinte man doch fast, der simple Besitz eines Lkw-Führerscheins würde als Qualifikation ausreichen, und das Be- und Entladen würde quasi zwangsläufig nebenher anfallen. Von wegen. Ein Lkw-Fahrer ist eine Fachkraft. Man lernt doch nie aus.

Da erstaunt es fast, dass das weder Kindern noch Eltern über die Schulbildung nahe gebracht wird. Eifrige Eltern fördern ihre Sprösslinge, was das Zeug hält, und peitschen sie auf’s Gymnasium, aber doch in der Regel nicht gerade, damit der Bengel am Ende Lkws quer durch Deutschland fährt. Fachkraft hin oder her.

Und wenn Politiker penetrant ihr Mantra von „mehr Bildung“ herunterbeten und die Schulen zwanghaft volldigitalisieren wollen, dann ist das meines Wissens noch nie damit begründet worden, dass wir in unserer Bildungsrepublik doch schließlich mehr Lkw-Fahrer bräuchten. Unsere Versorgungssicherheit sieht man wohl an ganz anderen Stellen stattfinden.

Dem gegenüber hat soeben die Bertelsmann-Stiftung freihändig hochgerechnet, dass bis zum Jahr 2030 rund 500.000 Vollzeit-Pflegestellen unbesetzt bleiben sollen, und daher die Versorgung pflegebedürftiger Menschen auf dem Spiel stünde. Nur deshalb, weil die junge Generation einen solchen Job ebenso unattraktiv findet, wie etwa den ganzen Tag Lkw zu fahren.

Und auch hier: Posaunt denn etwa alles „Mehr Bildung!“ und werden Eltern wie Kinder etwa auf das Gymnasium, Abitur und Studium getrimmt, um dann als Pflegekraft zu arbeiten? Frau Doktor füttert gerade eine Seniorin, während Herr Doktor unten auf der Straße seinen Lkw belädt.

Und das, um beiden – circa bis spätestens 2030 – zu sagen: „Sie sind als Fachkraft leider inzwischen überflüssig. Lkw fahren jetzt ganz von selbst und autonom und für Senioren gibt es fachkräftige Roboter, die weder den Stress bejammern noch besser bezahlt werden wollen“.

Freitag, 16. März 2018

halbgar geleistet

Und schon wieder beglückt man uns ungefragt mit einer neuen Bildungsstudie. Diesmal ist es der Versuch eines „Leistungsvergleiches“ von privaten gegenüber öffentlichen Schulen. Infragestellen sollte man dabei vielleicht die Leistung des durchführenden Experten-Teams.

Wie immer, hängt das Ergebnis von Studien zum Großteil von der Fragestellung ab. Also davon, was man dadurch eigentlich geklärt haben möchte. In diesem Fall basiert die Forscherei auf der Annahme, dass Kinder auf Privatschulen „in den Genuss einer höherwertigen Bildung“ kämen. Aha.

Na, wenn das nicht mal ein triviales Klischée ist, dem die Experten da folgen. Womöglich deshalb, weil Privatschulen von den Eltern ganz privat bezahlt werden müssen, während die Bildung an öffentlichen Schulen grundsätzlich umsonst ist, zuweilen im doppelten Sinne.

Erschwerend hinzu kommt, dass einerseits – wie eigentlich immer – nicht geklärt wird, was unter „Bildung“ (geschweige denn einer „höherwertigen“) genau zu verstehen sein soll. Dagegen ist andererseits der Begriff „Leistung“ für den „Leistungsvergleich“ exact festgelegt worden…

Lesen, Zuhören und Rechtschreibung im Fach Deutsch, Lese- und Hörverstehen im Fach Englisch, sowie die obligatorische Mathematik. Das ist, was bei Kindern unter „Leistung“ verstanden, erwartet und verglichen wird. Doch überraschenderweise sind Schüler auf Privatschulen hierin gar nicht besser als auf öffentlichen.

Mag sein. Jede Wette jedoch, dass das etwas anders aussehen würde, würde man den Begriff „Leistung“ etwas anders definieren; wenn man etwa Werte wie Höflichkeit, Anstand oder Respekt mit einbeziehen würde. Hierauf nämlich wird auf Privatschulen tatsächlich noch wertgelegt.

Prompt kämen die Experten dann auch auf ein anderes Ergebnis. Dumm natürlich, wenn man Werte nicht wirklich als „Leistung“ betrachtet. Noch dümmer - für solche Studien - dass man das nicht bepunkten und bewerten kann. Dem entsprechend bleibt das außen vor und werden wir mal wieder mit halbgaren „Erkenntnissen“ beglückt.