Dienstag, 26. Oktober 2010

Pokern gegen den Hunger.

Was hat ein Kartenspiel mit dem Hunger in der Welt zu tun? Diese Frage kann womöglich nur ich beantworten, weil womöglich nur mir passiert ist, was mir gestern Abend passiert ist.
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Ich sitze nur vergleichsweise selten vor dem Fernseher, selbst wenn ich mehr Zeit hätte: es ist mir in der Regel einfach zu ärgerlich. Gestern am späten Abend schaltete ich aus Interesse an einer Dokumentation das Gerät ein. Doch das hätte ich besser lassen sollen. Oder auch nicht. Je nach dem.
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Irgendwann um kurz vor elf sollte gestern Abend die Dokumentation „Hunger“ im Ersten Fernsehprogramm beginnen, auf die mich jemand aufmerksam gemacht hatte und die ich mir ansehen wollte. Fahrlässigerweise jedoch schaltete ich den Apparat bereits etwas früher ein und zappte mich durch verschiedene Kanäle, um mir einen einblickhaften Überblick zu verschaffen.
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Auf einem Nebenkanal wurde in einer als „Promi“-Sendung deklarierten Ausstrahlung eine Frau vorgestellt, die überaus erfolgreich beruflich Karten spielt, und zwar nämlich Poker. Bei Preisgeldern um die 400.000 Dollar aufwärts hat sich diese Frau inzwischen ein prima Vermögen zusammengepokert, lebt in einer 2,5-Millionen-Dollar Villa, in der u.a. eine 15.000-Dollar-Couch im Wohnzimmer herumsteht, sowie ein 25.000-Dollar-Pokertisch, extra aus Italien in die USA verschifft. Ein Frau mit einem enorm außergewöhnlichen Hobby: sie sammelt Schuhe, insgesamt bereits um die 1.200 Paar, vorzugsweise Stöckelschuhe, zu Preisen zwischen 1.000 und 5.000 Dollar. Um modisch ganz sicher zu gehen, kauft diese Frau ihre Schuhe nur in Begleitung ihres persönlichen Stil-Beraters. Das alles, wie erwähnt, auf der Basis beruflichen Pokerspielens, dargestellt als der erstrebenswerte Lebensstil eines „Stars“ und „Promis“.
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Wieder einmal einigermaßen erschrocken darüber, mit welchem Unfug die Öffentlichkeit medial fehlgeleitet wird, war es höchste Zeit zum Umschalten: Dokumentation „Hunger“. Zu sehen sind ausgemergelte Menschen und Kleinkinder, die zu schwach sind, um einen Schluck Wasser zu trinken. Zu sehen sind Dorfgemeinschaften, die darüber diskutieren, ob aufgrund des akuten Wassermangels ein Brunnen gebaut werden soll, der allerdings das Grundwasser absenken und die paar übrig gebliebenen Felder unfruchtbar machen würde. Zu sehen ist, wie sich ausländische Investoren in Afrika eine mehrfach goldene Nase verdienen, auf Kosten der hungernden Bevölkerung.
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Welch ein Kontrast. Und wie nicht anders zu erwarten, wurde zwischendurch eher beiläufig erwähnt, dass gerade die hungernden Kinder für eine bessere Zukunft vor allem eines bräuchten: Bildung. Welche Bildung genau, das wurde nicht erwähnt. Vielleicht sollten es Poker-Regeln sein.
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Freitag, 15. Oktober 2010

massenweise Systemfehler.

Heute ist der „Welternährungstag“. Die Welthungerhilfe hat passend dazu darauf aufmerksam gemacht, dass u.a. in Deutschland jedes Jahr 20 Millionen Tonnen Lebensmittel im Hausmüll landen, während 1 Milliarde Menschen auf unserem Planeten Hunger leiden. Doch das ist natürlich nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht in knallig-bunten Farben zu lesen: „2 kaufen, nur 1 zahlen“.
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Es ist nicht zuletzt die Nahrungsmittelindustrie ( ein Begriff, den ich schon an sich für abscheulich halte ), die dafür sorgt und sorgen muss, dass die Leute kaufen, kaufen, kaufen, und zwar so viel wie möglich, selbst wenn von dem Gekauften die Hälfte im Müll landet. Den Herstellern geht es genau so wie dem Handel um Absatz und Umsatz, nicht um langweilige moralische Fragen. Das ist Betriebswirtschaft. Und: das ist Volkswirtschaft ( siehe auch meinen letzten Blog-Eintrag ), zum Wohle des Wirtschaftswachstums, zum Erhalt von Arbeitsplätzen, „für unser aller Wohlstand“.
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Eine glasklare Macke der Massenproduktion, die Nahrungsmittelindustrie davon natürlich nicht ausgenommen; warum sollte sie. Um das an einem trivialen Beispiel zu sagen: Alleine bei „Haribo“ werden täglich(!) 100 Millionen(!) Gummibärchen produziert. Eine horrende Menge, die nicht etwa produziert wird, weil sie der Nachfrage entspricht, sondern weil die Produktion es ermöglicht und es ineffizient wäre, weniger zu produzieren. Eine horrende Menge, die abgesetzt und verkauft werden muss; wie auch immer. Und es ist ein- und dasselbe bei sämtlichen Herstellern, die irgendetwas in Massen produzieren; was auch immer.
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Damit das funktioniert, wird – beispielsweise – Rotkohl in einer kleinen Dose mit sinnvoller Inhaltsmenge zum Preis von 1Euro19 verkauft, ein übergroßes Glas Rotkohl dagegen mit der dreifachen Inhaltsmenge dagegen für schlappe 49 Cent. Die sparsamen Konsumenten greifen zum preiswerten Rotkohl, auch wenn sie wissen, dass sie zwei Drittel davon in den Müll werfen werden: „Warum mehr bezahlen als nötig?“. Und genau so ist das auch gedacht: die Produzenten müssen schließlich ihre Unmengen an Rotkohl irgendwie loswerden.
In die gleiche Richtung gehen „Verkaufsförderungsaktionen“ wie „2 kaufen, nur 1 bezahlen“, was inzwischen bis zu einem „5 kaufen, nur 4 bezahlen“ ausgeufert ist, bei allem möglichen Produkten.
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Da greifen nicht nur „Sparfüchse“ zu, sondern erst recht Menschen in finanziellen Engpässen, Rentner, Arbeitslose, „HartzIV“-Empfänger, die schlicht und einfach dazu gezwungen sind, die billigeren Großmengen zu kaufen und eine ganze Menge davon in die Mülltonne zu werfen. Das Ganze hat System.
Doch diesen Menschen, denen gern vorgeworfen wird, sie würden „zu viel Geld vom Staat kassieren“, auch noch eine Mitschuld am Hunger in der Welt attestieren zu müssen, ist zynisch, wenn die Welthungerhilfe fordert „Lebensmittel wieder mehr wertzuschätzen“ und „bewusster damit umzugehen“.
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Angebracht wäre das dagegen sicherlich bei so genannten „XXL“-Speisen: von „XXL-Hamburgern“ mit einem Durchmesser von 30cm bis „XXL-Schnitzeln“ von mehr als 2 Kilo, genau so, wie bei einem Preis von gerade einmal 1 Euro für einen Standard-Fast-Food-Hamburger. Wenn eine „Ökosteuer“ angebracht ist, dann hier: als Aufschlag auf Produkte, für die Tiere glatt verramscht werden.
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Montag, 11. Oktober 2010

kranker Wohlstand.

Es geschehen doch noch Zeichen und kleine Wunder: Vergangene Woche fand in Berlin - von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt - ein Kongress erlesener Ökonomen und höchstwichtiger Wirtschaftsvertreter statt, um auszudiskutieren, wie sich „die Wirtschaft“ vielleicht doch ein wenig menschlicher gestalten lassen könnte ( was etwas platt formuliert ist, denn offiziell stand das so genannte „BIP“, das „Bruttoinlandsprodukt“ auf der Agenda ).
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Tatsächlich haben nämlich auch Ökonomen und Wirtschaftspraktiker inzwischen erkannt, dass das Wirtschaftssystem einige Macken hat. Zum Beispiel, dass der Begriff „Lebensstandard“ einzig und allein am materiellen Konsum einer Gesellschaft festgemacht wird – ob sich die Menschen dabei wohlfühlen, ob sie glücklich und zufrieden sind, oder sich aus Verzweiflung reihenweise vor einen Zug werfen, spielt keinerlei Rolle, wenn es darum geht, den „Wohlstand“ einer Nation zu beurteilen.
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Solche Begriffe wie „Wirtschaftswachstum“, „Wohlstand“ und „Reichtum“ werden also u.a. anhand des „Bruttoinlandsproduktes“ beurteilt. Also: an der Menge der Geldbewegungen. Also beispielsweise: Zahlungen im Rahmen von Rechtstreits (Anwalts- und Gerichtskosten, Bußgelder, etc) genauso, wie Zahlungen im Rahmen ärztlicher und klinischer Behandlungen. Das heißt: je mehr Zank und Streit und Gewalt unter den Menschen, und je kranker die Menschen sind, desto größer das Bruttoinlandsprodukt und das Wirtschaftswachstum und desto höher unser „Lebensstandard“.
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Diesen „ganz normalen“ blanken Unsinn wollten Experten auf ihrem Kongress in Berlin nun ausdiskutieren. Herausgekommen ist – wie zu erwarten war – nicht besonders viel. Man sieht sich mit dem scheinbar unlösbaren Problem konfrontiert, dass Begriffe wie „Lebensqualität“, „Zufriedenheit“, „Glück“, etc eben rein subjektive Ansichten sind, die sich nicht in „objektive, messbare“ Zahlen fassen lassen. Für diese Einsicht, die nichts weiter als eine Portion gesunden Menschenverstand erfordert, haben Experten nun eine Woche lang debattiert. Womöglich kam es dabei auch eher darauf an, dass jeder Fachmann seinen eminent wichtigen Vortrag halten konnte.
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Vorerst und zumindest bis zum nächsten Kongress dieser Art wird es also dabei bleiben, dass (u.a.) jede Depression, jeder Arztbesuch, jede Operation, jedes verkaufte Arzneimittel das Bruttoinlandsprodukt steigert, das Wirtschaftswachstum fördert und unserem allgemeinen Wohlstand dient: je kranker wir alle, desto besser.
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Übrigens: auf dem „Kongress der Zukunftswirtschaft“ im April in Berlin sprach Kanzlerin Angela Merkel davon, beim aktuellen wirtschaftlichen Aufschwung verstärkt auf die Gesundheitsbranche zu setzen. Gesundheitsminister Philip Rösler meinte auf der selben Veranstaltung, im Gesundheitssektor seien bereits rund 4,6 Millionen Menschen tätig und mit über 260 Milliarden Euro Umsatz sei die Gesundheitswirtschaft einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren: „Die Gesundheitswirtschaft wird weiter wachsen und als Jobmotor noch wichtiger“, sagte Rösler wortwörtlich, öffentlich und ungestraft.
Siehe oben: je kranker wir alle, desto besser. Und unsere Regierung möchte, dass das nicht nur so bleibt, sondern dass wir möglichst noch etwas kränker werden, dem Wachstum und dem „Jobmotor“ zuliebe.

Keine weiteren Fragen.
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