Freitag, 27. Januar 2017

physikalisch beunruhigt

In unserer Zeit sind offenbar Talkrunden im Fernsehen nötig, um die Weltlage schonungslos öffentlich zu klären. Dabei scheint zur Dramaturgie unverzichtbar dazu zu gehören, die Zuschauer in irgendein gedankliches Bedrohungsszenario zu versetzen und am Ende verunsichert darin sitzen zu lassen.

Diese Kurve muss man erst einmal kriegen: Im TV-Talk „Lanz“ im ZDF wurde über Donald Trump im Allgemeinen geplaudert; und mittendrin unversehens auf das sehr spezielle Thema „Big Data“ umgeschwenkt. Immerhin wurde einem dadurch klar, warum eigentlich auch Ranga Yogeshwar in der Runde saß.

Trumps Wahlkampf hätte sich schließlich durch eine enorme Sammlung und Auswertung von Daten aller Art, also „Big Data“, ausgezeichnet – als ob das bei anderen heutigen Wahlkämpfen und anderen Kandidaten wesentlich anders wäre. Doch das war jedenfalls die thematische Kurve, die eigens für Yogeshwar gebogen wurde, um ungebremst hinein zu brettern.

„Jeder von uns bewegt sich in Sozialen Netzwerken, jeder von uns hinterlässt so seine Spuren“, erklärte der TV-Wissenschaftler, etwa durch „Gefällt-mir“-Klicks, „und jedes Mal, wenn man das tut“, so Yogeshwar, „offenbart man ein Stück von sich selbst“ und „wenn man alle diese Daten miteinander verbindet“, entstehe „ein sehr interessantes Profil einer Person“.

„Interessant“. Natürlich. Mindestens so interessant wie der Gedanke, man könne anhand solcher Profile auch die Aliens ausfindig machen, die unerkannt mitten unter uns leben. Ungefähr aus solchen Sphären heraus erklärt Yogeshwar dann: „Man kommt, je mehr Daten man sammelt, zu einem immer genaueren Bild […] Im nächsten Schritt kann ich vorhersagen, was diese Person tut“.

Dummerweise wollte der Experte an dieser Stelle unbedingt eine Parallele zur Erfindung der „Schleyer-Fahndung“ in den 1970er Jahren ziehen. Im Erinnerungsverlust, dass die damalige Aktion vollständig in die Hose ging. Ebenso wie die Terroranschläge in Paris Ende 2015 nicht verhindert werden konnten, „trotz“ Unmengen zuvor gesammelter Daten. Und ganz frisch im Kopf müssten eigentlich noch die beiden Umfragedesaster vor dem „Brexit“ und der US-Wahl sein.

Der Punkt ist: In einer Unmenge von Zahlen und Daten geht man ruckzuck des Überblicks verlustig. Wissenschaftlich nennt man das „Unschärfe“. Und zumindest ein Wissenschaftler wie Ranga Yogeshwar sollte das wissen und die Unschärferelation kennen: „Mehr Information führt nicht zu mehr Klarheit, sondern im Gegenteil zu mehr Unklarheit“.

Alternativ darf man sich auch an Prof. Gerd Gigerenzer orientieren, der sich mit Risikokompetenz beschäftigt: „„Je komplexer die Situation ist, desto einfacher müssen die Vorhersagemethoden sein, weil man sonst irrelevante Informationen heranzieht“. In der Statistik nennt man diese Unschärfe „overfitting“.

Doch solche Relativierungen sind offenbar nicht erwünscht. Bei freier Wahl bevorzugt man doch lieber, den Menschen nur die Hälfte zu erzählen und Horrorszenarien zu creieren – mit tatkräftiger Hilfe eines Physikers, der inzwischen für nahezu sämtliche Themen für kompetent gehalten wird.