Mittwoch, 19. Oktober 2011

mehrfach verdorben.



Rund 500.000 Kinder leiden an Hunger – in Deutschland! Wer jedoch gemeint hat, dass diese Information, die letzten Sonntag zum „Welternährungstag“ veröffentlicht wurde, eine aufgeregte Diskussion entfachen würde, lag damit falsch. Das, was dagegen vielmehr thematisiert wird, ist das Mindesthaltbarkeitsdatum auf Lebensmittelpackungen. Ein kleines Lehrstück der Kommunikationspolitik: Reden wir nicht über hungernde Kinder mitten in Deutschland, lasst uns über Stempel und Verordnungen diskutieren.

Die ursprüngliche Meldung geht auf Wolfram Hartmann zurück, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), der am „Welternährungstag“ darauf hinwies, dass „etwa 500.000 Kinder in Deutschland regelmäßig nicht ausreichend ernährt werden und immer wieder Hunger leiden“ – während jährlich bis zu 20 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll landen.
Statt sich dem erschreckenden Hungerleiden und der Unterernährung von Kindern mitten in Deutschland zu widmen und etwas (zumindest. irgend etwas) in Bewegung zu setzen (oder zumindest: anzustoßen), um diesen Zustand zu beheben, schwenkt die verantwortliche Politik dazu über, sich eine weitaus weniger pikante Nebensache herauszupicken:

So wäre Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner „für´s Erste schon zufrieden, wenn mehr Verbraucher das Mindesthaltbarkeitsdatum richtig verstehen würden“, denn das sei „lediglich eine Orientierungshilfe“, doch „trotzdem werden viele Lebensmittel, die eigentlich noch essbar wären, nach Überschreiten dieses Datums ohne zu prüfen in den Müll geworfen“. Leider dürfte es am Hungerleiden der betroffenen Kinder nicht besonders viel ändern, wenn die Familien, die genug zu essen haben, das Mindesthaltbarkeitsdatum richtig verstehen. Doch genau darum geht es hier natürlich: Ein thematisches Ablenkungsmanöver, und wie es scheint: gelungen. Bravo, Frau Aigner. So lange Sie das mit Ihrem Gewissen und Amtseid vereinbaren können.

Schuld sind also „die Verbraucher“, weil sie auf das Haltbarkeitsdatum achten und die Lebensmittel „ohne zu prüfen in den Müll werfen“. Was, bitte, sollen „die Verbraucher“ denn prüfen? In einer Zeit, in der Lebensmittel in Forschungslaboren getrimmt werden, praktiziert von einer Berufsgruppe, die „Lebensmittelchemiker“ genannt wird. Was soll „der Verbraucher“ denn wissen über „Stabilisatoren E452 und E340“, über „Trennmittel E341“, über „Emulgatoren E471 und E472e“ und was soll er bitteschön prüfen? Einmal kurz daran riechen? Oder soll er sich ein kleines Heimlabor einrichten?

Da trichtert man den Menschen unablässig ein, dass sie – grundsätzlich – als Laien keine Ahnung haben und das Denken besser den zahllosen Experten überlassen sollen, da werden Bundesämter und Aufsichtsbehörden installiert und Richtwerte, Höchstwerte, Prüf- und Gütesiegel eingeführt, et cetera, et cetera, warum überhaupt… damit „der Verbraucher“ vollauf beruhigt sein kann… und nun wird ihm gesagt, ausgerechnet auf das Mindesthaltbarkeitsdatum soll er bitte weniger achten und sich auf sein eigenes Urteilsvermögen verlassen(?). Aber natürlich.
Gerade in dem achso sensiblen Bereich der Gesundheit und des „Gesundheitsbewusstseins“, das man inzwischen erfolgreich etablieren konnte. Und gerade in einer Kultur, in der uns jede Bananen-Werbung zeigt, wie eine Banane aussehen muss, leuchtend gelb, makellos, ohne den geringsten bräunlichen Fleck.

Schon deshalb dürfte man sich ruhig einmal fragen, was das im Jahr 1981 eingeführte „Mindesthaltbarkeitsdatum“ eigentlich soll(?). Als „verbraucherpolitische Errungenschaft“ wurde es jetzt in dieser Diskussion bezeichnet (in der es übrigens ursprünglich, siehe oben, kurz mal um hungernde Kinder ging) und selbst Otto Normalbürger ist verbreitet der Ansicht, dass es eingeführt wurde, um „den Verbraucher zu schützen“ – wovor auch immer. Man darf allerdings ebenso in Erwägung ziehen, dass die Lebensmittelindustrie dafür gesorgt hat, die gewaltig davon profitiert, hübsch verpackt als „Verbraucherschutz“.

Last but not least darf man auch zwei Ecken weiter denken. Etwa darüber, was eigentlich passiert, wenn die jährlich 20 Millionen Tonnen Lebensmittelmüll tatsächlich extrem reduziert werden würden, wenn Entsorgungsbetriebe weniger zu entsorgen haben, weniger Umsatz machen und Arbeitnehmer entlassen, wenn Müllverbrennungsanlagen nicht ausgelastet sind, dadurch Mehrkosten entstehen, die letztlich wieder „der Verbraucher“ zahlt.
Oder darüber, was passiert, wenn „die Verbraucher“ dann eben nicht mehr so schnell so viele Lebensmittel durch neue ersetzen müssen, wenn Supermärkte weniger verkaufen, wenn die Produzenten ihre Überproduktion nicht mehr loswerden, wenn nur noch halb so viele Lebensmittel von A nach B transportiert werden müssen, nur noch halb so viele Lkw-Fahrer gebraucht und nur noch halb so viele Container verladen werden, etc, etc.

Doch wer will sich diese Gedanken um größere Zusammenhänge schon freiwillig machen? Und schon gar nicht um das, worum es eigentlich anfangs einmal ging: um 500.000 hungernde Kinder. Mitten in Deutschland.
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Montag, 17. Oktober 2011

vorübergehend besetzt.



„Occupy Wall Street“. Aus ein paar Menschen, die in den USA mit den dort üblichen Pappschildern gegen „die Macht der Banken“ protestierten, sind ein paar Tausend weltweit geworden. Das soll erst der Anfang sein. Aber: wovon genau? Zunächst einmal ist es der Anfang davon, dass spontane, schlichte Unmutsäußerung zu einer organisierten Bewegung gemacht wird – was gleichzeitig der bedauerliche Anfang vom Ende sein könnte.

Eine – vergleichsweise – Handvoll Menschen demonstriert also relativ spontan einem Aufruf folgend, geboren aus einer gehörigen Frustration in Verbindung mit gefühlter und tatsächlicher Machtlosigkeit. Immer mehr Menschen schließen sich dem Protest an, malen kleine Schilder und große Transparente mit Sprüchen, die ihnen in den Sinn kommen, und rufen Protestsprüche, die aus dem Protestgefühl heraus entstehen. So weit. So gut. Vielleicht sogar potenziell erfolgreich.

Und dann passiert folgendes: Eine Großorganisation bietet den Spontandemonstranten ihre Unterstützung an, Einigkeit macht stark, doch noch stärker, wenn sie professionell organisiert wird, undsoweiter. Prompt wird dem bis dahin unorganisierten Protesthaufen ein „Sprecher“ als Kontaktperson zu den Medien an die Seite und vor die Nase gestellt, die zuvor spontanen Protestler werden zu „Aktivisten“ und in ihrer Gesamtheit zu einer „Bewegung“ erklärt, eine Werbeagentur bietet sich willig an, der Aktivistenbewegung ein professionelles Logo zu gestalten, einen professionellen Slogan zu creieren, beides zur Verwendung auf den nun professionell gestalteten Plakaten, die die zuvor unbedarft selbstgemalten Schilder ersetzen, dazu gibt es nun mit Logo und Slogan bedruckte Aufkleber, Kaffeebecher und Fähnchen zu kaufen, irgendwo dazwischen wird eine professionell gestaltete Website ins Internet gestellt, global-mehrsprachig, versteht sich, auf den zukünftigen Protestkundgebungen dürfen Getränke- und Würstchenverkäufer ihre Getränke und Würstchen nur noch gegen Lizenz verkaufen und dürfen nun „Dixi-Klo“-Vermieter ihre „Dixi-Klos“ gegen Lizenz auf dem Kundgebungsgelände aufstellen. Zum Beispiel. So ungefähr läuft das. Wenn es noch etwas weiter läuft.

Das, was dagegen bereits angelaufen ist, ist die heute unvermeidliche analytische Aufbereitung durch Experten aller Art, durch Psychologen, Politologen und Soziologen, die in der „Occupy“-Bewegung den „Widerstand einer gebildeten Mittelschicht“ sehen und den Aktivisten zugestehen, dass „Wut und Empörung wichtig“ seien, doch der „zornige Protest in ein bürgergesellschaftliches Engagement umgewandelt“ werden müsse. Erst dadurch und erst jetzt wird sich jeder Empörte und Wütende richtig verstanden fühlen.

Zwischen den Zeilen liest sich das ungefähr so: Liebe Leute, keine Sorge, wir halten Euch nicht nur für aufmüpfige Querulanten, sondern wir halten Euch für gebildete Bürger, die zurecht aufgebracht und wütend sind. Wir nehmen Euch ernst und wir verstehen Euch. Und nun, wo wir das geklärt haben, geht wieder alle schön nach Hause, und guckt Euch am Fernseher auf Eurer Couch an, wie wir Experten das für Euch kompetent in die Hand nehmen.

Und weil das so nicht zum ersten Mal der Fall wäre, dass die „Bankenwut“ in Talkshows von Experten und Politikern zerredet wird, bis keiner mehr weiß, worum es eigentlich anfangs mal gegangen ist und bis es keiner mehr hören will, könnte der ehemalige Bundespräsidentenkandidat Joachim Gauck Recht behalten, wenn er diese Bewegung als „albern“ deklariert und meint „Das wird schnell verebben". Womöglich sagte er das gar nicht aus Arroganz, sondern aus politischer Erfahrung.
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Samstag, 15. Oktober 2011

weise verwachsen.



Die „Wirtschaftsweisen“ haben wieder einmal gesprochen – und ich kann es nicht mehr hören. Statt regelmäßig über konjunkturelle Entwicklungen zu spekulieren, könnten sich die Experten zwischendurch mit der Frage beschäftigen, was dieses Wirtschaftssystem eigentlich mit Weisheit zu tun hat. Allerdings ist es verständlich, wenn sie das lieber nicht tun: sie würden sie sich mit der Antwort darauf selbst überflüssig machen.

Regelmäßig dürfen wir (warum eigentlich?) erfahren, wie „die Wirtschaftsweisen“ die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland beurteilen und was sie davon erwarten. Genau so regelmäßig, wie wir über Arbeitslosenzahlen informiert werden, und über den jeweils aktuellen „Geschäftsklimaindex“ und über das alljährliche Weihnachtsgeschäft des Einzelhandels. Offenbar sollen wir also darüber informiert sein. Warum auch immer.

Ebenso regelmäßig liegen die „Wirtschaftsweisen“ mit ihrem geballten Experten-Knowhow knapp oder meilenweit daneben. Damit das in Zukunft etwas weniger oft oder zumindest weniger offensichtlich passiert, scheint man sich einen neuen Stil zugelegt zu haben, der sich vor allem im Konjunktiv bewegt: „Wenn die Euro-Politik der Regierung etwas klarer werden würde, könnte sich die wirtschaftliche Stimmung so verbessern, dass im kommenden Jahr ein stärkeres Wachstum möglich wäre“. Aha. Da haben wahre Experten gesprochen. Und sogar welche, die als „weise“ bezeichnet werden.

Damit ist nun immerhin Klarheit geschaffen. Auch für den Teil der Bevölkerung, mit dem sich eher andere Experten beschäftigen, die regelmäßige „Armutsberichte“ erstellen dürfen, und wonach aktuell rund 45% der Alleinerziehenden und rund 20% der Hauptschüler als „armutsgefährdet“ gelten – was so leider nichts über Alleinerziehende aussagt, deren Kinder Hauptschüler sind oder über Hauptschüler, die bei nur einem alleinerziehenden Elternteil aufwachsen, und ob sich diese Prozentzahlen dann wohl automatisch addieren.

Und auch Rentner sind demnach „armutsgefährdet“, die mitunter satte 40 Jahre lang schwer gearbeitet haben. Beispielhaft in Bayern, wo besonders viele Senioren in Gastronomie und Landwirtschaft tätig waren und deshalb heute einen Anspruch auf gerade einmal zwischen rund 950 (Männer) und 475 Euro (Frauen) monatliche Rente haben – zum Überleben angewiesen auf zusätzliche Sozialleistungen („HartzIV“).

Davon wiederum werden wir in Zukunft noch viel mehr haben, Stichwort: demographischer Wandel. Laut anderer Experten führt die zunehmende Altersarmut in zunehmende Alterskriminalität und zunehmende Selbstmordraten unter Senioren. Doch vielleicht helfen hier ja die Erfahrungen weiter, die man mit stetig zunehmender Jugendkriminalität und Selbstmordraten von chancen- und hoffnungslosen Jugendlichen gemacht hat.

Aus der Sicht von weisen Wirtschaftsexperten ist das sogar „gut so“, weil kriminelle Jugendliche und kriminelle Rentner zu mehr Strafverfolgungen führen und die jeweiligen Anwaltshonorare genauso in das Bruttoinlandsprodukt einfließen, wie Arzthonorare, Behandlungs- und Therapiekosten und Kosten für die dauerhafte Unterbringung in diversen Kliniken: je mehr Kranke und Kriminelle, desto besser für das Wirtschaftswachstum – ob Jugendliche oder Rentner ist dabei ökonomisch irrelevant und eine Frage, um die sich bitte Soziologen kümmern sollen.

Diese Beispiele sind keine unerfreulichen, bedauerlichen Nebeneffekte, sondern zwangsläufige Produkte eines grundsätzlich unmenschlichen Wirtschaftssystems. Es ist nicht besonders schlau darüber zu spekulieren, wie man das auch noch zum Wachstum bringt. Von Weisheit einmal ganz abgesehen.
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Mittwoch, 12. Oktober 2011

technisch vergöttert.




Vor einer Woche ist ein US-amerikanischer Unternehmer gestorben, der sehr viel mit Computern zu tun hatte, ein bisschen etwas auch mit Mobiltelefonen und elektronischen Musikabspielgeräten; erheblich mehr jedoch mit Vermarktung und Verkauf. So betrachtet ist es ein wenig irritierend, wenn sogar Regierungschefs ihre Anteilnahme als offizielle Pressemitteilung kundtun und dieser Unternehmer in Nachrufen gar als „Gott“ betitelt wird.

Natürlich. Es geht um Steve Jobs. Es ist vielleicht nur in Papua-Neuguinea möglich, über dessen Tod noch nicht informiert worden zu sein. Mich persönlich überraschte diese Meldung auf einem Hotelzimmer beim nächtlichen Zappen durch die TV-Kanäle: CNN berichtete über nichts anderes als diese „Breaking News“ mit den in solchen Fällen üblichen nichtssagenden, überflüssigen Live-Bildern, Hauptsache es sind irgendwelche Live-Bilder zu sehen.

Wobei mich die erste Irritation erhaschte, als Steve Jobs in seiner historischen Bedeutung auf das Niveau von Thomas Edison und Henry Ford gehoben wurde. Im späteren Verlauf nur noch getoppt von der Bezeichnung „iGod“, posthum nicht nur heilig gesprochen, sondern zu einem „Gott“ ernannt, mit vorangestelltem „i“ selbstverständlich in Anspielung auf Produkte wie „iMac“, „iPhone“, „iPod“ und „iPad“.
Diese Seltsamkeit ermöglicht immerhin eine prima Überleitung zu der Redewendung, vielleicht doch für einen Moment die Kirche im Dorf zu lassen. Beispielsweise, weil Jobs manches, das ihm gerüchteweise immer wieder als Erfindung zugesprochen wird, gar nicht erfunden hat, wie etwa die „Maus“ zur Computersteuerung. Oder wie Jobs zu Lebzeiten meinte: „Ein guter Künstler kopiert. Ein großer Künstler stiehlt“.

Vielleicht sollte man zwischendurch auch das relativieren, was Jobs tatsächlich erfunden oder zumindest angestoßen hat. Etwa die Farbgrafik auf Computermonitoren, ein tragbares Musikabspielgerät und ein Mobiltelefon mit Computerfunktionalität („Smartphone“). Erfindungen, wegen deren Jobs als „Visionär“ betitelt wird.
Sicherlich. Ungefähr so visionär, wie derjenige, der seinerzeit das Schwarz-Weiß-Fernsehen als verbesserungsfähig erkannte und daraufhin das Farbfernsehen erfand. Oder wie der Erfinder, der an Telefonen die Wählscheibe durch Tasten ersetzte. Oder auch wie der Erfinder des „Walkman“. Nur beispielsweise.
Kaum jemand weiß, wer diese Erfinder waren. Im Falle von „Apple“-Produkten dagegen weiß man es. Und allein schon daran lässt sich erkennen, dass Jobs vor allem eines war: Ein großartiger Verkäufer.

In zweiter Linie war Jobs ein äußerst gewiefter Marketingspezialist, der eines nahezu perfekt erdachte und umsetzte: die „Planned Obsolescence“, nämlich die vorweg geplante Lebensdauer, also das quasi eingebaute Verfallsdatum – im Falle von „Apple“-Produkten weniger in technischer Weise, dafür umso mehr psychologisch: Jede neue Produktversion lässt die vorherige veraltet erscheinen. Der Kunde hat das bedrückende Gefühl, nicht mehr „up-to-date“ zu sein und der Entwicklung hinterher zu hinken. Jobs machte zweckmäßige Technik so zum Mode- und Trendobjekt, wie es ansonsten wohl nur in der Automobilbranche üblich ist.

In dritter Linie verstand es Jobs offenbar, den Kauf eines technischen Apparates zu einer Glaubensfrage zu stilisieren, als geistiger Visionär, als derjenige, der für uns die Zukunft erdenkt und entwickelt, Technik als Religion, Steve Jobs als der „iGod“, siehe oben.
Nicht zuletzt konnte Jobs auch die Medien für sich gewinnen, wie sich gerade auch in den Tagen nach seinem Tod zeigte. Permanent wurde man medial mit der naiven Feststellung konfrontiert, dass Steve Jobs auch „unsere Kommunikation veränderte“. Und der geneigte Leser möge sich fragen, ob sich seit der Ära Jobs tatsächlich verändert hat, wie sich Menschen gegenseitig beschimpfen, was sich Liebespaare in die Ohren flüstern und wie Politiker ihre Worthülsen formulieren.

Das hier ist nicht der Versuch, eine Lebensleistung in Frage zu stellen. Sondern es ist eine Anregung, eine Bedeutsamkeit zu relativieren. Nicht unbedingt die Bedeutsamkeit eines verstorbenen Unternehmers. Eher die Bedeutsamkeit dessen, wofür er als Person stand und worum es eigentlich geht. Beziehungsweise: wäre das Gleiche auch möglich mit einem Hersteller von Kaffeemaschinen und Leergutautomaten? Oder noch anders mit einem arabischen Sprichwort: „Ihr habt Uhren. Wir haben Zeit“.
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Freitag, 7. Oktober 2011

informativ bankrott.

Wir können aufatmen: Der deutsche Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Rettung Europas ist nach einigem politischen Tammtamm gesichert, der europäische „Rettungsschirm“ kann endlich aufgespannt werden. Doch ein kleiner Blick darauf, was hier eigentlich gerettet werden soll (und vor allem: was nicht), macht das Ganze noch deutlich fragwürdiger als es ohnehin schon ist.

Der Euro-Rettungsfonds „EFSF“, „European Financial Stability Facility“, der „Rettungsschirm“ nämlich ist – in erster Linie – der Versuch, ein Wirtschaftssystem zu retten, das die Grenzen des Sarkasmus längst überschritten hat.
Etwa, wenn ein Schweizer Pharmakonzern griechische Krankenhäuser, die in akuter Geldnot sind, prompt nicht mehr mit Medikamenten beliefert, oder wenn das strikte Rauchverbot in griechischen Gaststätten gekippt wird, indem sich ein Wirt nun mit 200 Euro pro Quadratmeter davon freikaufen kann. Rauchen kann laut der EG-Gesundheitsminister angeblich tödlich sein. Doch wenn es hilft, den Staatshaushalt zu sanieren, ist es diese Opfer scheinbar wert.

Zum anderen ist da eine recht ironische Nähe zwischen den Kürzeln des Rettungsfonds „EFSF“ und dem „EFTS“ („Electronic Fund Transfer System“, u.a.: „Electronic Banking“), das sehr viel mehr zum eigentlichen Kernproblem gehört, an dem jedoch die Idee des Rettungsschirms haarscharf vorbeirauscht. Beträchtlicher Teil des eigentlichen Kernproblems nämlich ist nicht die Kreditwürdigkeit eines Staates, nicht „der Euro“ und nicht das Geld, sondern die Information über Geld.

Spätestens seit dem das „Electronic Banking“ möglich und inzwischen zur Normalität wurde, finden Geldtransfers weitgehend vollautomatisiert statt, ohne Zeitverzug durch menschliche Bearbeitung, sofort, auf der Stelle und „in Echtzeit“. Wenn früher die 864 Kunden einer kleinstädtischen Bank gleichzeitig Geld überweisen wollten, mussten sie dafür Schlange stehen, zahlreiche Bankangestellte hatten alle Hände voll zu tun, um die Formulare nacheinander abzuarbeiten. Heute können erheblich mehr als 864 Menschen ihre Überweisungen am Computer selbst vornehmen – allesamt gleichzeitig.

Auf diese Weise werden mit dem selben Geld in der selben Zeit heute rund zehnmal mehr Transaktionen durchgeführt als vor dem Zeitalter des „Electronic Banking“. In globalisierten und datenvernetzten Zeiten beeinflusst so die bloße Information über z.B. eine zu erwartende Missernte bei Kaffeebohnen innerhalb von Sekunden den Kaffeepreis – weit bevor die Missernte tatsächlich eintritt. Und die bloße Spekulation (also: kursierende Information) über die angeblich drohende Pleite eines Staates manövriert das betroffene Land tatsächlich in akute Finanzprobleme, die es vorher gar nicht hatte.



Das Dumme ist nun: Die Wirtschaftstheorie ist grundsätzlich seit dem 17. Jahrhundert völlig unverändert. Deshalb spielt u.v.a. auch der Faktor Information darin nicht die geringste Rolle, also auch nicht die Information über Geld, geschweige denn deren extreme Beschleunigung bis hin zur „Echtzeit“ durch Datenverarbeitung und Internet, geschweige denn die daraus entstandene „Globalisierung“.

Mindestens ebenso dumm: Der Faktor Information unterliegt nicht den sonst üblichen Bedingungen des Handels. Wenn sich eine Information verbreitet, dann verfügen in Windeseile sämtliche Eingeweihten, mitunter Millionen Menschen, darüber. Und das löst eine wesentliche Voraussetzung der steinalten Wirtschaftstheorie – nämlich: Knappheit – in Luft auf.

Das alles sind – nur wenige beispielhafte – Gründe, warum nicht nur der „Retttungsschirm“ und „Rettungsfonds“ die Anführungsstriche zwingend erforderlich macht, sondern dass viel mehr eine ganz andere Rettung erforderlich wäre: unser aller Rettung vor diesem maroden, zukunftsfeindlichen Wirtschaftssystem.
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Dienstag, 4. Oktober 2011

einheitlich verjährt.

Gestern war wieder einmal Feiertag in Deutschland: Der „Tag der Deutschen Einheit“, irgendwann willkürlich mitten aus dem Juni auf den dritten Oktober verlegt, inzwischen jedoch vornehmlich beschränkt auf vollbeflaggte öffentliche Gebäude und politische Festakte – während das gemeine Volk mittlerweile darin nicht mehr zu sehen scheint als einen arbeitsfreien Feiertag wie jeden anderen.

So stellte etwa die Kanzlerin fest, dass die Deutsche Einheit „auf einem guten Weg, aber noch nicht vollendet“ sei, vergaß allerdings dabei zu erwähnen, wann genau diese Vollendung eigentlich der Fall wäre.
Dass eine politische Vollendung gemeint sein soll, erscheint eher unwahrscheinlich. Deutschland als Staatsgebilde ist jedenfalls vereinheitlicht, das Grundgesetz gilt auf der gesamten Landesfläche. Kulturell? Besteht vielleicht etwa noch die Notwendigkeit, „die Westdeutschen“ gegenüber „den Ostdeutschen“ kulturell zu vereinheitlichen? So, wie Norddeutsche und Bayern, Flamen und Wallonen in Belgien, Spanier und Basken oder Wien-Städter und der ganze Rest Österreichs?

Nein, nein. Natürlich ist in erster Linie die Wirtschaftsentwicklung gemeint, westliche und östliche Lohn- und Gehaltsunterschiede und Arbeitslosenzahlen, die immer noch zu vereinheitlichen sind. Wohl so ungefähr, wie schließlich auch die Einführung des Euro und die EU-weite Personen-, Arbeitnehmer- und Niederlassungsfreizügigkeit ganz sicher zur vollendeten Einheit Europas führen werden. Politisch verordnet, sozusagen. Aus wirtschaftlichen Gründen. Zu unser aller Bestem. Ob wir wollen oder nicht.

Und wieder einmal mache ich mir – nicht nur anlässlich dieses Feiertages – Gedanken, warum uns heute noch immer, nach über zwanzig Jahren Deutsche Einheit, allmonatlich die Arbeitslosenzahlen fein säuberlich aufgeteilt in „Arbeitslose West“ und „Arbeitslose Ost“ präsentiert werden(?). Wenn das einen tieferen Sinn hat, wäre die Frage, warum nicht auch jede Staatsausgabe und jeder Haushaltsposten zusätzlich noch in D-Mark angegeben wird?
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