Samstag, 15. Oktober 2011

weise verwachsen.



Die „Wirtschaftsweisen“ haben wieder einmal gesprochen – und ich kann es nicht mehr hören. Statt regelmäßig über konjunkturelle Entwicklungen zu spekulieren, könnten sich die Experten zwischendurch mit der Frage beschäftigen, was dieses Wirtschaftssystem eigentlich mit Weisheit zu tun hat. Allerdings ist es verständlich, wenn sie das lieber nicht tun: sie würden sie sich mit der Antwort darauf selbst überflüssig machen.

Regelmäßig dürfen wir (warum eigentlich?) erfahren, wie „die Wirtschaftsweisen“ die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland beurteilen und was sie davon erwarten. Genau so regelmäßig, wie wir über Arbeitslosenzahlen informiert werden, und über den jeweils aktuellen „Geschäftsklimaindex“ und über das alljährliche Weihnachtsgeschäft des Einzelhandels. Offenbar sollen wir also darüber informiert sein. Warum auch immer.

Ebenso regelmäßig liegen die „Wirtschaftsweisen“ mit ihrem geballten Experten-Knowhow knapp oder meilenweit daneben. Damit das in Zukunft etwas weniger oft oder zumindest weniger offensichtlich passiert, scheint man sich einen neuen Stil zugelegt zu haben, der sich vor allem im Konjunktiv bewegt: „Wenn die Euro-Politik der Regierung etwas klarer werden würde, könnte sich die wirtschaftliche Stimmung so verbessern, dass im kommenden Jahr ein stärkeres Wachstum möglich wäre“. Aha. Da haben wahre Experten gesprochen. Und sogar welche, die als „weise“ bezeichnet werden.

Damit ist nun immerhin Klarheit geschaffen. Auch für den Teil der Bevölkerung, mit dem sich eher andere Experten beschäftigen, die regelmäßige „Armutsberichte“ erstellen dürfen, und wonach aktuell rund 45% der Alleinerziehenden und rund 20% der Hauptschüler als „armutsgefährdet“ gelten – was so leider nichts über Alleinerziehende aussagt, deren Kinder Hauptschüler sind oder über Hauptschüler, die bei nur einem alleinerziehenden Elternteil aufwachsen, und ob sich diese Prozentzahlen dann wohl automatisch addieren.

Und auch Rentner sind demnach „armutsgefährdet“, die mitunter satte 40 Jahre lang schwer gearbeitet haben. Beispielhaft in Bayern, wo besonders viele Senioren in Gastronomie und Landwirtschaft tätig waren und deshalb heute einen Anspruch auf gerade einmal zwischen rund 950 (Männer) und 475 Euro (Frauen) monatliche Rente haben – zum Überleben angewiesen auf zusätzliche Sozialleistungen („HartzIV“).

Davon wiederum werden wir in Zukunft noch viel mehr haben, Stichwort: demographischer Wandel. Laut anderer Experten führt die zunehmende Altersarmut in zunehmende Alterskriminalität und zunehmende Selbstmordraten unter Senioren. Doch vielleicht helfen hier ja die Erfahrungen weiter, die man mit stetig zunehmender Jugendkriminalität und Selbstmordraten von chancen- und hoffnungslosen Jugendlichen gemacht hat.

Aus der Sicht von weisen Wirtschaftsexperten ist das sogar „gut so“, weil kriminelle Jugendliche und kriminelle Rentner zu mehr Strafverfolgungen führen und die jeweiligen Anwaltshonorare genauso in das Bruttoinlandsprodukt einfließen, wie Arzthonorare, Behandlungs- und Therapiekosten und Kosten für die dauerhafte Unterbringung in diversen Kliniken: je mehr Kranke und Kriminelle, desto besser für das Wirtschaftswachstum – ob Jugendliche oder Rentner ist dabei ökonomisch irrelevant und eine Frage, um die sich bitte Soziologen kümmern sollen.

Diese Beispiele sind keine unerfreulichen, bedauerlichen Nebeneffekte, sondern zwangsläufige Produkte eines grundsätzlich unmenschlichen Wirtschaftssystems. Es ist nicht besonders schlau darüber zu spekulieren, wie man das auch noch zum Wachstum bringt. Von Weisheit einmal ganz abgesehen.
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