Donnerstag, 15. August 2002

Die Geister, die wir riefen

Als regelmäßiger Leser meines offenen Tagebuches werden Sie damit gerechnet haben: Ich kann mich eines Kommentares zur aktuellen Großwetterlage nicht erwehren. Wir haben es zurzeit mit Wasser zu tun. Viel Wasser. Mit bächen, die zu reißenden Flüssen werden. Hier bei mir in Bayern, in Sachsen, in Österreich, in Tschechien, in Italien. Zum Beispiel. Mitten im Sommer. Nicht nur die Naturgewalten sind beeindruckend. Die Verlautbarungen in Medien und Politik sind es ebenfalls. Wie üblich.
In jedem zweiten TV-Bericht zur Wetterlage der Nation fällt zumindest einmal die Bezeichnung "braune Brühe" als Ersatz für "Wasser". So also geht man mit seiner Muttersprache um ... "braune Brühe" ... Möge sich doch bitte in Kürze ein Experte erbarmen und den Sprechern und Moderatoren erklären, dass sie ohne diese "braune Brühe" im Höchstfall drei Tage überleben würden. Wasser ist - soweit mir bekannt ist - (u.a.) für den Menschen lebensnotwendig und soll der einzige Grund dafür sein, dass unser Planet überhaupt Lebensformen wie die unsere möglich macht.
Gut: In diesen Mengen und mit dieser Masse und Geschwindigkeit kann Wasser schaden anrichten. Das ist mir bekannt, das ist für mich nachvollziehbar, das erzeugt auch mein Mitgefühl für die direkt Betroffenen, die um ein vielfaches länger darunter leiden werden als es ein Thema in den Nachrichten sein wird. Jedoch: "Selbst schuld". Nicht die direkt Betroffenen - aber sehr sicher "der Mensch" als solcher. Bereits vor etlichen Jahren habe ich im Fach Erdkunde gelernt, dass das Betonieren von Ufern, diverse Fluss-Begradigungen und etliche andere Baumaßnahmen wunderbar geeignet sind, um aus Hochwasser "Höchstwasser" und aus einem Bach eine Wildwasserbahn zu machen. Umso amüsanter, dass Journalisten so wichtige Fragen einfallen wie "Sind in den letzten Jahren vielleicht zu wenig bauliche Maßnahmen geschaffen worden?". Eher zu viel, wenn mein Erdkunde-Lehrer damals Recht hatte.
Aber auch solche Katastrophen haben - wie immer und alles - auch ihre positiven Seiten. Unser Umweltminister Trittin als Mitglied der grünen Ökopartei hat im Angesicht von submarinen Innenstädten die "Klimakatastrophe" schlagartig zum willkommenen Wahlkampfthema gemacht. Auch die SPD hat ihren Nutzen, denn schließlich hat der Kanzlerschaftswillige Herr Stoiber so ziemlich alles in seinem "Kompetenzteam" vertreten - außer... einen Umweltexperten.
Auch hier wird wieder einmal überdeutlich wo es hinführt, wenn man sich nicht eine Sekunde mit (wirklichen) Ursachen auseinandersetzt. Nehmen wir Herrn Trittin noch einmal zur Seite und beschäftigen uns einen Augenblick mit der Klimakatastrophe - nichts anderes soll ja der Grund für die massenhaften Überschwemmungen sein: Es regnet zurzeit fast unaufhörlich, sodass Flüsse auf Grund der Wassermengen über die Ufer treten. Gut. Dass es zurzeit so viel regnet, beruht angeblich auf der globalen Erwärmung, die mehr Wasser als "früher" verdunsten lässt und die entsprechende Zahl an Regenwolken potenziert. Das Resultat: Sehr viel Regen, sehr viel Wasser. Das klingt logisch.
Sehr unlogisch wird es, wenn man frecherweiser auch noch die nächsten Fragen stellt.Etwa, dass die Menschheit seit circa 200 Jahren Wetterdaten aufzeichnet. Und soweit mir bekannt ist, soll unser Planet bereits einige Jahrmillionen alt sein - sehr wahrscheinlich wird es ebensolang auch schon ein Wetter geben.Dass die heutigen Zustände also "unnormal" und auf die "Klimakatastrophe" zurückzuführen sein sollen, beruht auf 200 Jahre Wetterbeobachtung und -aufzeichnung. Das dann nebenbei und freihändig einfach einmal hochzurechnen auf ein paar Millionen Jahre halte ich für etwas fahrlässig. Wer weiß schon, ob "unser Wetter" der letzten 200 Jahre - erdgeschichtlich gesehen - womöglich "unnormal" waren?
Oder die Frage, wie die (auch von den Grünen befürwortete) EU-Ost-Erweiterung denn mit dem allseits befürchteten Treibhaus-Effekt zusammenpasst...? Was das miteinander zu tun hat? Na, ganz einfach:Auf der einen Seite wird uns ein Horror-Szenario in Aussicht gestellt, das da heißt "globale Erwärmung" oder eben "Treibhaus-Effekt". Der Planet erhitzt sich beständig, Wüsten breiten sich aus, Wasser wird einerseits sehr knapp werden, auf der anderen Seite wird Holland kurzerhand durch den steigenden Meeresspiegel (Abschmelzen des Polareises) angeblich überflutet. Schlimmste Aussichten also.
Ursache (angeblich): Auto- und Industrieabgase, Emissionen von Heizanlagen, kurz: Es wird einfach zu viel Kohlendioxid in die Luft gepustet.Auf der anderen Seite tut man (eben auch die "Grünen") alles dafür, damit Staaten wie Polen, Tschechien, Rumänien, Ungarn et cetera in die Europäische Union aufgenommen werden. Damit die dortigen Staatswirtschaften "endlich einmal auf die Füße kommen" und der Lebensstandard der Bevölkerungen erheblich steigt.
Eigentlich wunderbare, edle Absichten. Nur...Kann es sein, dass die im Osten dann expandierende Wirtschaft zusätzliche Industrieabgase für unsere Atmosphäre bedeuten werden? Kann es sein, dass der steigende Lebensstandard der Menschen zu erhöhten Autoabgasen und Heiz-Emissionen führen wird??? Oder noch anders: Wie erklärt Herr Trittin, dass - grundsätzlich (!) - in der hoch-wissenschaftlichen und allgemein(!) anerkannten Klimaforschung die Sonnenaktivität unberücksichtigt bleibt? (Genau diese zurzeit erhöhte Sonnenaktivät soll nämlich laut einer kleineren Gruppe andersdenkender Wissenschaftler der "wirkliche" Grund für den Treibhaus-Effekt sein).
Und noch anders: Die NASA hat kürzlich berichtet, dass sich die Oberfläche des Pluto in den letzten zehn Jahren um satte vierzig Grad abgekühlt hat. Mit anderen Worten: Eine radikale Klimaveränderung. Auf dem Pluto(!).Stellt sich die Frage, ob nun auf dem Pluto ebenfalls noch nicht entdeckte Lebensformen mit ihren Autos die dortige Atmosphäre belasten oder etwa unsere CO2-Emissionen auf derErde womöglich inzwischen sogar bis zum Pluto wirken(?).
Und letzlich: Wie erklärt Herr Trittin, dass bei einem "einfachen" Vulkanausbruch mehr Staub und CO2 in die Atmosphäre geschleudert wird, als die gesamte Menschheit in einem gesamten Jahr produziert?
Naja. Vielleicht sollte ich einfach aufhören, mich für solche Dinge zu interessieren. Ich sollte einfach damit aufhören, in bestimmten Dingen immer so hartnäckig zu hinterfragen.Vielleicht sollte ich einfach aufhören nachzudenken, den Grünen und den populären Medien einfach glauben, mich meiner umweltzerstörerischen Existenz bewusst werden und in Zukunft kritiklos die Ökosteuer hinnehmen. Womöglich verhindere ich damit zumindest einen drohenden Herzinfarkt.

Mittwoch, 8. Mai 2002

Den Blinden eine Brille

Gut. Ich habe ein paar Tage abgewartet. Allerdings habe ich mich dann nun doch entschlossen, mich diesem äußerst diffizilen Thema aus Thüringen zu nähern: "Erfurt und die Folgen". So jedenfalls hießen in den letzten Tagen die Titel in Zeitungen und Fernsehen. Womöglich wäre ein Titel wie "Erfurt und die Ursachen" sinnvoller gewesen. Aber das ist nur meine persönliche Meinung.

Manche meiner Mitmenschen denken da nämlich etwas anders: "Dadurch, dass wir uns die Folgen dieser Katastrophe vor Augen führen, können wir die Ursachen bekämpfen". Aha. Zum Beispiel in Form eines verschärften Waffengesetzes, wie sich sämtliche Parteien des Bundestages einig sind. Womöglich werden ähnliche Attentäter dann in Zukunft eben etwas tiefer in die Tasche greifen müssen, wenn sie am Frankfurter Hauptbahnhof ihre Uzi bestellen. Oder sie surfen eben etwas länger als üblich im Internet - so lange, bis sie die Bauanleitung für Rohrbomben gefunden haben.

"Den Blinden eine Brille". Ich bitte inständig darum. Oder anders gesagt: Ich kann nicht von mir behaupten, dass ich es permanent in meinem Leben einfach gehabt hätte. Weder auf der Schule noch im Anschluss. Ich habe nicht nur nette Mitmenschen getroffen, sondern auch weniger nette. Dennoch kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich auch nur ein einziges Mal auf den Gedanken gekommen wäre, mir eine Waffe zu besorgen und mir den Frust von der Seele zu feuern. Andere Menschen - eben diese Attentäter - kommen sehr wohl auf solche Gedanken. Auch bei einem verschärftem Waffengesetz. Vielleicht lohnt sich die Frage: "Warum?".

Eines dürfte so ziemlich jedem einleuchten: Gesetze hindern keinen am Denken. Und Gesetze ändern das Denken nicht. Wenn in manchen Köpfen Mordgedanken kreisen, dann hilft weder ein Waffengesetz noch die Abschaffung von Schießbuden auf der Kirmes.Gut. Beschäftigen wir uns mit den Ursachen. Unser kultureller Staatsminister Nieda-Rümelin meinte gerade heute, dass (laut einer Studie natürlich) weder durch Gewaltvideos noch durch Action-Games für Computer und PlayStation ein Mensch zum Attentäter wird. Andererseits jedoch wäre beides dazu geeignet, einen ohnehin gewalttätig veranlagten Menschen quasi den letzten Schubser zu geben, um seine Mordgelüste in die Tat umzusetzen.

Man lernt doch nie aus: Es gibt also "gewalttätig veranlagte Menschen". Das war mir neu. Also: Menschen, die von Geburt an zur Gewalttätigkeit neigen. Wenn man das so betrachtet, dann könnte man eigentlich gleich sagen: "Diese Menschen können also gar nichts dafür, sondern sind gleich als Massenmörder geboren worden".Ein prima Lösung aller Probleme. Mit dieser Erklärung brauchen wir dann auch nicht weiter darüber nachzudenken, ob es nicht womöglich in unserer Gesellschaft irgendwo hakt.
Andererseits stellt sich dann die Frage, wie man mit einem verschärften Waffengesetz die Geburt von Massenmördern einschränken will.Andere Experten sind anderer Meinung. Sie sind sehr wohl der Meinung, dass tatsächlich innerhalb der Gesellschaft irgend etwas aus der Bahn geraten ist. Nur: was? Es könne nicht angehen, dass sich unsere Jugend in ihrer Freizeit mit Gewaltvideos und -computerspielen beschäftigt. Also: verbieten. Genauso wie actionreiche Fernsehserien und Spiel- und Kino-Filme. Alles verbieten. Wie heißt es so schön... mit solch abartigem Input will die Jugend der Realität entfliehen.

Könnte nicht bereits diese Feststellung eigentlich schon etwas weiter bringen? Warum hat die Jugend (und übrigens: nicht nur die Jugend) immer häufiger und intensiver den Drang, der Realität entfliehen zu müssen?Die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein Heide Simonis meinte treffend: "Wir müssen der Jugend wieder mehr Selbstbewusstsein geben. Damit sie sich so einen Müll gar nicht erst ansieht". Womit eben Gewaltvideos und ähnliches gemeint war. Hier lohnt es sich durchaus, etwas genauer hinzuschauen: Was ist das wirkliche Problem?
Das eigentliche Problem sind ganz sicher nicht Videos, Fernsehserien und Computerspiele. Das wirkliche Problem ist die Botschaft, die (unter anderem) der Jugend darüber vermittelt wird.

Und die Botschaft lautet: "Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung". Verachtenswert. Niederträchtig. Unmenschlich. Auf jeder Mattscheibe auf jedem Kanal wird andauernd diese Botschaft verkündet. Schluss damit: verbieten. Gewalt darf nicht länger als geeignetes Mittel präsentiert werden, um Probleme zu lösen.
Ich hoffe stark, dass Heide Simonis und ihre werten Kollegen ein entsprechendes Fax ins Weiße Haus schicken. Sowie auch all denen, die dem dort sitzenden Texaner ihre uneingeschränkte Solidarität zugesichert haben.Ich kann das auch deutlicher sagen: Wenn die ranghöchsten Personen in demokratischen Zivilisationen verkünden "Wir schlagen selbstverständlich mit gleicher Härte zurück" und Gewalt und Bomben und Krieg als "gerechtes Mittel zur Rache" legitimieren... wer darf sich da noch wundern, wenn sich der kleine Mann daran ein Beispiel nimmt? Nach dem elften September dröhnten über jeden Kanal in jedes Wohnzimmer die immergleichen Parolen in Sachen Vergeltung. Kaum einer, der einen Gegenschlag der Amis öffentlich ernsthaft in Frage stellte. Die selben Parolen, die über diverse Videos und Action-Games in die selben Wohnzimmer gelangen.

Eine andere "Ursache für Erfurt" soll darin gelegen haben, dass sich der Attentäter minderwertig gefühlt haben soll und "wenigstens ein einziges mal berühmt sein" wollte.Mit anderen Worten: Der Junge hatte Komplexe. Minderwertigkeits-Komplexe. Einfach nicht genug Selbstbewusstsein. Siehe Forderung von Heide Simonis.
Ist das ein Wunder? In einer Welt, in der einem vom Aussehen über den Beruf bis zum Lebensstil permanent klar vorgeführt wird, wie man bitte idealerweise zu sein hat oder ansonsten leider "out" ist.In einer Welt, in der Kinder mit dem Schlimmsten rechnen müssen, wenn sie sich mit der falschen Modemarke in die Schule trauen. In einer Welt, in der Erfolg einzig und allein an Bankkonto und Automarke festgemacht wird und alles so wahnsinnig jung und dynamisch ist, dass ein gefeuerter 50-jähriger keine Chance mehr auf einen neuen Job hat. Soweit mir bekannt ist wird in keiner Schule gelehrt, was im Leben wirklich wichtig ist. In keiner Schule wird gelehrt, wie man sich seines Selbst bewusst wird und wie man mit seinen Mitmenschen umgehen sollte.

Das, was in der Wirtschaft unter "Emotionaler Intelligenz" verstanden und überall dringendst gesucht wird, ist in der Schule kein Thema. Das, was das Zusammenleben von Menschen essenziell ausmacht, was Gerechtigkeit und Toleranz bedeuten, wird an keiner Schule gelehrt.Studierte Pädagogen argumentieren an dieser Stelle, dass die Schule kein Eltern-Ersatz sein kann und es nicht ihre Aufgabe sei, häuslich vernachlässigte Schüler aufzufangen.
Kurz gesagt: Emotionale und menschliche Kenntnis- und Werte-Vermittlung sei Sache der Eltern. Prima. Fragt sich nur: Woher bekommen eigentlich die Eltern die entsprechenden Kenntnisse, die sie ihren Kindern vermitteln sollen?
Die Pädagogen sehen also ihre Aufgabe zwar durchaus darin, den Schülern zu vermitteln, was mathematisch und physikalisch und sprachlich richtig und falsch ist. Was im Leben und im menschlichen Miteinander sinnvoll ist, gehöre jedoch nicht dazu. Frage: Warum eigentlich nicht? Sicher ist es an der Zeit für eine Veränderung. Heute mehr denn je. Allerdings gilt auch hier das Leitmotiv: Andere Ergebnisse erzielt man nur durch anderes Handeln. Und anders handeln wird man erst dann, wenn man begonnen hat, anders zu denken. Es beginnt beim Denken. Ganz weit vorn.