Montag, 27. Dezember 2010

rasend verweihnachtet.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, doch ich fühle mich ziemlich verweihnachtet: irgendwie durch Weihnachten hindurch geschleudert und durch Weihnachten hindurch gequetscht. Ruhe und Besinnlichkeit, das war früher. Heute müsste man sich dafür Zeit nehmen, die man nicht zu haben scheint oder auch nicht haben will.
.
Der geneigte Leser wird zum Verständnis meines heutigen Blog-Eintrages eventuell berücksichtigen müssen, dass ich Jahrgang 1970 bin. Wie es oft heißt und sogar wissenschaftlich erklärbar ist, hat man mit zunehmendem Lebensalter den subjektiven Eindruck, dass die Zeit schneller vergeht. Und wie mir scheint: insbesondere die Weihnachts-Zeit. Ein paar Indizien sprechen allerdings dafür, dass (auch) andere Einflüsse diesen Eindruck verstärken.
.
Im Gegensatz zum letzten Jahr startete der Verkauf der typischen Weihnachtssüßwaren nicht am 30. August, sondern am 1. September. Nach geschlagenen 4 ½ Monaten, die man in jedem Supermarkt optisch damit erschlagen wird, tritt irgendwann das ein, was man fachlich „Sensorische Sättigung“ nennt: man kann es kaum noch sehen, was mitunter zu einer solchen Alltags-Beliebigkeit führt, dass Nikoläuse und Marzipanbrote so selbstverständlich dazugehören, wie Käse und Joghurt in der Abteilung Molkereiprodukte.
.
So fällt es dann auch nicht weiter ins Gewicht, wenn exact eine Woche, also sieben Tage vor Heiligabend das Angebot an Weihnachtsleckereien auf – maximal – einen knappen halben Meter reduziert wird, damit ausreichend Platz für die ersten Silvester-Utensilien, für Luftschlangen, Knallfrösche und Kartoffelchips vorhanden ist. Auch auf die Gefahr hin, dass man meinen könnte, Weihnachten glatt verpasst zu haben.
.
Verlässlich dagegen spricht dann jedoch das Radioprogramm, das uns mit den im stündlichen Abstand ausgesendeten, immergleichen Weihnachts-Popsongs die Gewissheit gibt, was wir noch immer zu feiern haben, bis es endlich überstanden ist – und dem entsprechend am Nachmittag des zweiten Feiertages der „Weihnachts-Endspurt“ angekündigt wird, um die unerträgliche Ruhe und träge Besinnlichkeit im Sprinttempo hinter uns zu lassen.
.
Getoppt werden konnte das Ganze wirklich nur noch durch ein persönliches Erlebnis am Morgen des zweiten Feiertages an einer Tankstelle: Eine Busladung voller junger Menschen, etwa um Mitte Zwanzig herum, ausnahmslos jede und jeder davon ein grün-glitzerndes Hütchen in hippem Tannenbaum-Look tragend, ausnahmslos jede und jeder davon irgendeine Flasche Alkohol kaufend. Wie aus der Menge herauszuhören war, deckte man sich mit letztem Proviant ein, um die Restfahrstrecke zur „Xmas-Party“ so fröhlich zu überleben, wie man es ohne Alkohol offenbar nicht könnte.
Heute scheint nichts mehr davor sicher zu sein, um nicht als Party im Gegröhlie zu enden, noch nicht einmal mehr das Weihnachtsfest, weshalb man es wohl auch „Xmas“ nennen muss. Nur auf diese Weise kann man schließlich bis Silvester durchfeiern und sich anschließend gleich auf Karneval freuen. Ruhe- und besinnungslos.
.


Dienstag, 7. Dezember 2010

mittig bemessen.

Na, endlich. Die neueste „PISA“-Studie ist da. Während man sich im Vorfeld der Veröffentlichung der Studienergebnisse schon freute, dass die deutschen Schüler diesmal besser als in den Vorjahren abschneiden würden, ist seit heute dagegen bekannt: es reicht immer noch nur zum „internationalen Mittelmaß“. Womöglich deshalb, weil keiner so genau weiß, worum es eigentlich geht.
.
Grundsätzlich geht es in den „PISA“-Studien jedenfalls um die vermeintliche Ermittlung der „alltags- und berufsrelevanten Kenntnisse und Fähigkeiten“ von 15-jährigen Schülern, und zwar durch einen Vergleichstest in den drei Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesekompetenz. So weit. So gut.
Nun ist es in den Abteilungen Mathematik und Naturwissenschaften noch relativ einfach, Testaufgaben zu basteln, abzuprüfen, zu bewerten und zu vergleichen: es gibt schließlich (Natur-)Gesetze, Regeln und Formeln, es gibt „richtig“ und „falsch“.
.
Bedeutend kniffliger wird das Ganze jedoch im Bereich der „Lesekompetenz“. Da wird dann die Prozedur des Vorlesens eines Textes ziemlich willkürlich als „gut vorgelesen“ oder als „nicht ganz so gut vorgelesen“ bewertet.
Wobei es jedoch nicht bleibt: zur Lesekompetenz gehört auch das Leseverständnis mit dazu, nämlich die Frage, ob und wie viel ein Schüler von dem gelesenen Text überhaupt verstanden hat. Und das meint man tatsächlich durch Befragung prüfen und bewerten und vergleichen zu können – als ob das nicht wesentlich von dem jeweils vorgesetzten Text abhängen würde.
Manch ein „PISA“-Prüfer dürfte leichte Probleme im Leseverständnis einer Bedienungsanleitung haben, selbst wenn sie bebildert ist, und würde im Testfall an einem Fahrscheinautomaten für Bahntickets genauso kläglich scheitern, wie an der Inhaltsangabe eines Joghurtbechers – was mitunter durchaus „alltags- und berufsrelevant“ sein kann.
.
So darf man sicherlich vermuten, dass deutschen Schülern kaum die selben Texte vorgelegt wurden, wie den Kindern in Korea und Finnland, die in „Lesekompetenz“ angeblich führend und u.a. deutschen Schülern damit weit voraus seien. Wer jedoch welche Texte anhand welcher Kriterien für diese Studien ausgesucht hat, bleibt ein Geheimnis, das uns nicht zu interessieren hat.
.
Dumm nur, dass in diesem Jahr der Schwerpunkt der „PISA“-Studie ausgerechnet auf diese „Lesekompetenz“ gelegt wurde und die geprüften deutschen 15-jährigen wahrscheinlich nur deshalb wieder einmal nur mittelmäßig abschnitten, weil sie schwerpunktmäßig auf Mathematik und Naturwissenschaften vorbereitet wurden.
.
Warum und von wem das so geschwerpunktet wurde, darf man übrigens genauso wenig erfahren, wie die Kriterien und Verfahrensweise der Beurteilung und Bewertung der gesamten Angelegenheit. Uns als Informationskonsumenten geht offenbar nur das auf geheimnisvolle Weise er- und berechnete Endergebnis etwas an. So dass sich vortrefflich darüber diskutieren lässt, ob bei einem Mittel-Maß das Glas nun halb voll oder halb leer ist.
.