Freitag, 24. März 2017

nützlich aufgehangen

Im Idealfall hat eine Diskussion oder ein Text einen thematischen Aufhänger; also irgendeinen Punkt, an dem das Ganze thematisch aufgehangen wird. Manchmal wird dabei auch leicht geschummelt, wenn der Aufhänger nur eine Lockfunktion hat. Und manchmal kann das erheblich zynisch werden.

Es ist hilfreich, wenn man weiß, wovon man redet. Beim Thema „Terrorismus“ ist das allerdings eher selten der Fall. Das ist einerseits eine Frage der Definition und Interpretation, andererseits ist es mitunter pure zynische Absicht. Mit gezielter Unklarheit lassen sich Menschen sehr gut verunsichern.

Exemplarisch begutachtet werden konnte das nun wieder bei dem Terroranschlag von London, der medial nicht durchgehend ein Terroranschlag war, sondern oder auch ein „Attentat“, ein „Anschlag“ (ohne „Terror“-) oder ein „Angriff“ oder „Terror-Akt“. Nur eines ist ebenso durchgehend völlig ausgeschlossen: ein Amoklauf.

Der Unterschied ist mindestens schon einmal, dass der proklamierte „Kampf gegen den Terror“ bei Amokläufen nicht zieht. Amokläufer laufen eben Amok, sie schnappen über und drehen durch – wofür es etliche psychische Gründe geben kann, nur keinen religiösen und keinen ideologischen.

Deshalb spricht weder medial noch politisch jemand von einem Amoklauf. Dieser Aufhänger wäre einfach ungeeignet. Medien brauchen das Terrorgetöse für Auflagen und Einschaltquoten. Die Politik braucht es, um den gesellschaftlichen Widerstand zu reduzieren, etwa wenn es um neue Überwachungsmaßnahmen geht.

Und dazu sprach der Bürgermeister von London, Sadiq Khan: Our response to this attack on our city, this attack on our way of life, this attack on our shared values, shows the world what it means to be a Londoner.” Also „ein Angriff auf unseren Lebensstil und unsere Werte” Das würde bei einem Amoklauf etwas seltsam klingen. Das klingt nur bei einem Terroranschlag richtig großartig.

Und so plappern es Menschen ziemlich gedankenlos nach. Unter dem Eindruck eines solchen Bedrohungsszenarios stellt niemand mehr die Frage, ob an unserem Lebensstil und unseren Werten vielleicht tatsächlich einiges haken könnte… ob das wirklich so toll ist, den Klimawandel mitzuverursachen, die Regenwälder abzuholzen, unser Konsumzeugs in „Billiglohnländern“ fertigen zu lassen, jedes Jahr Millionen von Schweinen und Rindern im Akkord am Fließband abzuschlachten, usw, usw.

Und dann sind da noch unsere Werte, die wir verteidigen wollen. Wie hieß es im „heute journal“ des ZDF: „Der IS schafft es, auf die Frustrationen der materiellen Welt mit Idealen und Träumen zu reagieren” Und was ist mit den Idealen und Träumen des Kapitalismus, die Familie mit zwei Kindern, Häuschen mit Garten und Hund?

Wie jeder Ökonom bestätigen wird, ist unsere Ideologie die Anhäufung materieller Werte, unsere Religion ist der Glaube an das Geld. Und wer meint, dass im Gegensatz zum radikalen Islamismus durch den Kapitalismus wenigstens keine Menschen getötet werden, der muss schon maximal verblendet (worden) sein.

Und: Nein! Das, was Islamisten wollen, ist eben nicht, unseren Lebensstil und unsere achso tollen Werte anzugreifen. Das ist nur der Slogan, mit dem man uns verkauft, was wir sonst nicht haben wollen würden.

Dienstag, 21. März 2017

edel aufgeklärt

Zum Glück gibt es im Fernsehen nicht nur puren Unsinn zu ertragen, sondern auch höchst wichtige Aufklärung, die uns alle angeht. Umso erfreulicher, wenn sich das ZDF einem Thema angenommen hat, das noch nie jemals ordentlich dokumentiert wurde: „No-Name oder Marke?“ über vermeintliche Luxusnahrung bei Discountern.

Wenn sich ein moderierender „Starkoch“ zu cleveren Marketingmaßnahmen von Handelskonzernen äußert, dann ist das ungefähr so, wie einen Bademeister zum Klimawandel zu befragen. Da ist es schon beruhigend zu wissen, dass dahinter eine knallhart recherchierende Redaktion steht, die die wirklich wichtigen Probleme dieser Welt wochenlang durchanalysiert.

In „ZDFzeit“ durfte der ahnungslose Zuschauer erfahren, dass Handelskonzerne in ihren Discountern eine völlig neue Idee praktizieren: „Edles No-Name zum kleinen Preis“ und „Feinkost für den kleinen Geldbeutel“, wie es heißt. Käse-Spezialitäten, Champagner, Sushi, Lachs, sogar Burgunderschnecken.

Das wurde schließlich auch Zeit, dass der edle Speis und Trank nicht mehr länger den oberen Zehntausend vorbehalten bleibt, sondern auch Otto Normalkonsument am echten Luxus teilhaben darf. Mit allen Mitteln des modernen Investigativ-Journalismus hat das ZDF jedoch aufgedeckt: Das stimmt gar nicht! Ist das zu fassen.

Jedenfalls in den meisten Fällen ist der Luxus doch glatt gelogen und nur reines Marketing. Und der moderierende Starkoch stellt unmissverständlich klar: „Also, dass Produkte mit blumigen Beschreibungen auf ‚edel‘ getrimmt werden, das ist zwar legal, aber ich muss sagen: Mich ärgert das“. Das musste endlich mal gesagt werden.

Zur Abrundung wird der zuschauende Konsument auch über „Fairness“ aufgeklärt, was vor 20 Jahren im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln noch sehr merkwürdig geklungen hätte. Die Reporter fragen: „Wie steht es da um das Tierwohl?“, denn „die Aufzuchtbedingungen sind meist problematisch“.

In diesem Moment im Bild zu sehen: Eine Packung Burgunderschnecken von Edeka. Leider darf der Zuschauer dennoch nicht erfahren, ob die Aufzucht dieser Schnecken tatsächlich artgerecht stattfindet. Um deren Tierwohl darf man dagegen sicher unbesorgt sein. Im Gegensatz zu Hirschen für’s Gulasch haben Schnecken schließlich ihr eigenes Haus.