Montag, 29. Juni 2015

zweifach gebildschirmt

Es gibt Begriffe, die werden höchst unauffällig in unseren Sprachgebrauch eingeschleust und verwendet, als wären sie schon immer da gewesen. Mit anderen Begriffen wird das zumindest versucht. Manche davon sollen irgend etwas wahnsinnig Neues bezeichnen, das meist nur ein mittelalter Hut ist. Der Begriff „Second Screening“ gehört neuerdings auch mit dazu. 

Die Elektropopgruppe „Kraftwerk“ hat seit den 1970er Jahren einen immensen Einfluss auf die moderne Musik weltweit. Im Gegensatz zu weniger bedeutsamen Musikern verfolgt „Kraftwerk“ ein ganz bestimmtes Leitmotiv: „Die Menschmaschine“. Die Abhängigkeit des Menschen von Maschinen aller Art, die er selbst erschaffen hat, die Roboterisierung und Computerisierung unseres Lebens.

Während ihres Konzertes in der Londoner Tate Modern im Jahr 2013 machten sich zahlreiche Besucher eher unbewusst zum Teil der Performance, indem sie mit ihren Smartphones am ausgestreckten Arm Fotos und Videos von den Künstlern machten. Den Blick also nicht auf die Bühne gerichtet, sondern auf den Bildschirm eines elektronischen Apparates. Das Erleben des Konzertes vorgefiltert durch eine digitale Linse. Man fragt sich, warum die Besucher eigentlich überhaupt persönlich anwesend sein wollten.

Mir kam das in Erinnerung, weil gerade die Queen für ein paar Tage in Deutschland war. Genauer gesagt: Es war die Berichterstattung über den Besuch von Königin Elisabeth II. in Frankfurt am Main, Hunderte von Schaulustigen säumten den Roten Teppich vor dem Römer und warteten in der Mittagshitze satte drei Stunden lang auf das Vorbeischreiten der Queen, um zu winken, zu rufen und zu jubeln. Doch ein Mann in dieser Menge drehte sich genau in diesem Moment um.

Nach drei Stunden Warterei kehrte er der Königin den Rücken zu, gerade als sie auf seiner Höhe war. Nur so war es ihm schließlich möglich, ein „Selfie“ zu machen: Das eigene Gesicht im Bild – und hinter ihm die Queen. Toll. Das sagt einiges darüber aus, was man heute so wichtig nimmt. Vor allem sich selbst und zwar im Vordergrund. Da muss sogar die englische Königin digital im Hintergrund bleiben.

Früher sagte man bei solchen Gelegenheiten: „Ich war dabei! Ich habe das mit eigenen Augen gesehen!“. Das kann man heute nicht mehr und ist auch nicht so wichtig. Man hat statt dessen ein „Selfie“ gemacht, auf einem Chip gespeichert und auf seine Facebook-Seite gesetzt. Es sieht dann immerhin so aus, als sei man wohl dabei gewesen. Und vielleicht erinnert man sich noch ganz genau, wie man sich im entscheidenden Moment umgedreht und nichts gesehen hat.

Da kursiert seit relativ Kurzem der Begriff „Second Screening“. Doch das meint noch nicht einmal eine solche Second-Hand-Wahrnehmung der persönlichen Umgebung über einen digitalen Bildschirm. Sondern man will das visuelle Multitasking bezeichnet haben, das gleichzeitig-abwechselnde Begucken von mindestens zwei, mitunter sogar mehreren Displays.

Die eigene sinnliche Wahrnehmung ist in diesem Begriff also gar nicht erst enthalten. Vielleicht ist das auch besser so. Vielleicht wäre sie gerade einmal der „Fourth“ oder „Fifth Screen“. In jedem Fall: mit nachgeordneter Priorität. Am wichtigsten ist, was gerade auf einem Bildschirm zu sehen ist. Das passt dann auch perfekt zum „Selfie“ mit der Queen: „Wenn ich hingesehen hätte, hätte ich sie sehen können, vielleicht wäre es sogar zum Augenkontakt und zu einem kleinen Smalltalk gekommen. Aber dann hätte ich ja jetzt kein Selfie“. Man muss eben Prioritäten setzen.

Freitag, 19. Juni 2015

sprachlich verstolpert

Wie meinte Wittgenstein: Die Sprache ist in der Lage, den Verstand zu verhexen. Doch so weit muss man gar nicht gehen. Manchmal weiß man wirklich nicht mehr, ob man über sprachliche Stolperer amüsiert schmunzeln oder sich über das Verdummungspotenzial aufregen soll. Und außer diesem Entweder-Oder gibt es da natürlich noch die fließenden Grenzen.

Ein einmaliger sprachlich verrutschter Ausrutscher gelang kürzlich dem ARD-Korrespondenten in Brüssel, Rolf-Dieter Krause, als er zur andauernden Griechenland-Problematik meinte: „Doch geschehen ist seit dem nichts. Im Gegenteil“. Das Gegenteil von Nichts. Das ist so grandios, so etwas kann nur aus dem Moment heraus passieren. Das könnte nicht einmal Dieter Bohlen absichtlich texten.

Apropos andauernd und Musik: Ein seltsamer Dauerbrenner im Radio ist das Lied „New York, Rio, Rosenheim“.von der Combo „Sportfreunde Stiller“, in dem es beispielhaft verkorkst heißt: „Die Welt ist groß genug - wir sind nicht allein“. Welch Glück, dass Lyrik nicht unbedingt erklärt werden muss. Doch für vertonten Tiefgang sind ohnehin andere zuständig.

Von grober Seltsamkeit ist auch der Refrain eines neuen Liedes von Sarah Connor aus Oldenburg in Oldenburg, von der ich früher dachte, sie würde die weibliche Hauptrolle in den „Terminator“-Streifen spielen: „In all Deinen Faaabn, mit all Deinen Naaabn“ trällert sie da. Das Weglassen des „r“ (Farben/Narben) ist mindestens fragwürdig. Nicht zuletzt, wenn das von einer Sängerin stammt, die auch die deutsche Nationalhymne in „Brüh im Glanze…“ umtextete.

Wie Sprache nach Wittgenstein den Verstand verhexen kann, veranschaulicht auch die Dokumentationsreihe eines Nachrichtenkanals auf dramatische Weise mit dem dramatischen Titel „Klima extrem – Wetter außer Kontrolle“. Dramatische Belege des globalen Klimawandels, der natürlich am Wetter zu erkennen ist. Für den Fastfood-TV-Konsum setzt man Klima und Wetter kurzerhand gleich. Und Letzteres ist demnach inzwischen sogar „außer Kontrolle“. Wohl im Gegensatz zu früheren Zeiten vor dem Klimawandel.

Bei dieser Thematik gehört unbedingt noch die Wetterfee des Ersten Deutschen Fernsehens, Claudia Kleinert, erwähnt: In einer kürzlichen Wetterprognose für Nordrhein-Westfalen kündigte sie „lokale Gewitter“ an, deren Entladungen sich jedoch örtlich nicht exact vorhersagen ließen: „Es hängt davon ab, wo Sie sind“. Das Wetter hängt davon ab, wo man ist. Wer hätte das gedacht.

Im Grunde könnte man jede Wettervorhersage auf diesen einen Satz beschränken. Tut man aber nicht. Im Gegenteil. Wenn man sich nachts „Die Tagesschau vor 25 Jahren“ ansieht, fragt man sich, wie man damals bloß mit dermaßen wenig Wetter ausgekommen ist. Oder: Warum man sich heute der Wetterlage dermaßen ausführlich widmet. Vielleicht, weil man aus dem Wetterbericht und der Wettervorhersage inzwischen sprachlich eine -Prognose gemacht hat. Unter anderem. Siehe auch hier: "Das Geschäft mit dem Wetter" (NDR)


Mittwoch, 3. Juni 2015

entlarvend geblattert

Na, endlich. Da hat der Blatter Sepp nun doch den Rücktritt vollzogen. Das ganze Trara um den Weltfußballverband („FIFA“) war gleich an zwei Abenden die Topmeldung der „Tagesschau“. Entweder regiert der Fußball tatsächlich heimlich die Welt, oder an diesen zwei Tagen ist weltweit ansonsten nichts wichtigeres passiert. Alles eine Frage der subjektiven Relativität.

Bei Helmut Kohl waren es seinerzeit sechzehn Jahre, bis man ihn nicht mehr sehen konnte. Jedenfalls nicht als Bundeskanzler. „Sechzehn Jahre sind genug“ war damals der erfolgreiche Slogan der Opposition. Joseph Blatter saß ein Jahr länger im Chefsessel der FIFA. Man konnte und wollte ihn einfach nicht mehr sehen. Doch weil das als Argument selten ausreicht, hat man sich welche gesucht: Intrigen, Korruption, Skandale. Der Fußball als sprichwörtliche Nebensache.

Sogar das öffentlich-rechtliche ZDF ließ sich dazu hinreißen, die USA in dem ganzen Theater als selbsternannte Weltpolizei darzustellen. Schließlich forderte sogar die US-Jusitzministerin Loretta Lynch den Rücktritt von Blatter. Doch erst als das FBI die mediale Bühne betrat, mitsamt Hausdurchsuchungen, sogar in der FIFA-Zentrale, da war es dann soweit.

Und der Laie wundert sich: Was haben eigentlich die USA und das FBI mit der Schweizer FIFA und deren Vereinsvorsitzenden zu tun? Wie zu erfahren war, reicht es allein schon, dass vermutete Korruptionsgelder vermutlich in US-Dollar gezahlt wurden, damit sich die USA als legitimiert betrachten, um global aktiv zu werden, wo auch immer, gegen wen auch immer. Doch das ist nicht einmal der Knackpunkt an der Sache.

Der Knackpunkt liegt irgendwo rund um die Frage: Was macht eigentich Edward Snowden? Wenn das US-amerikanische FBI beispielsweise E-Mail-Korrespondenz und Kontoauszüge als Beweismittel anführt… hat auch da wieder die NSA herumspioniert oder hat das FBI einen Spitzel in die FIFA eingeschleust, getarnt als Platzwart, oder – kurz gefragt – warum fragt hier eigentlich keiner nach dem Datenschutz?

Das scheint gerade schnurz zu sein, wenn der Blatter Sepp einfach nicht anders aus seinem Sessel zu vertreiben war. Aber wenn es um uns selbst geht, verstehen wir keinen Spaß mit dem Datenschutz. Auf Schritt und Tritt verfolgt, nicht nur von „Google“, „Facebook“ & Co., auch durch Kredit- und Payback-Karten, über das Smartphone und das Kfz-Navigationssystem, und so weiter.

Und jetzt diskutiert man schon wieder über die Vorratsdatenspeicherung, mit der jedes Telefonat jedes Bürgers gespeichert wird, mit welcher Rufnummer telefoniert, wie lange, von welchem Aufenthaltsort aus, nicht nur auf Verdacht, sondern ganz ohne und grundsätzlich, auf Vorrat eben, nur rein sicherheitshalber. Der eine oder andere Handtaschenräuber konnte dadurch schon gefasst werden, heißt es.

Doch auch diese Sorgen und Ängste haben mindestens zwei Seiten. Kein Mensch hat auch nur das geringste Problem damit, seinen überflüssigen Verpackungsmüll in einem „Gelben Sack“ vor der eigenen Haustüre abzustellen – obwohl dieser Beutel so durchsichtig ist, dass der Inhalt mindestens die Anzahl und das Alter der Familienmitglieder mitsamt deren Ernährungs- und Lebensgewohnheiten verrät, öffentlich am Straßenrand einsehbar. Womöglich ist man so auch Sepp Blatter auf die Schliche gekommen.