Dienstag, 27. Oktober 2015

medial gegrätscht

Im Folgenden geht es um Fußball und Wurst. Beides jedoch nur nebenbei und an der thematischen Oberfläche. Tatsächlich geht es um etwas anderes. Vor allem um das Phänomen, wie (unsere) Aufmerksamkeit sehr elegant medial gelenkt wird. Und das noch abgesehen davon, dass es selbst im Fußball kaum noch um Fußball geht – dafür aber für uns alle um die Wurst.

Da sitzen in irgendeiner Talkrunde des ZDF mehrere Gäste mit einer Verbindung zum Fußball, um darüber zu diskutieren, ob und wenn inwieweit Korruption im Weltfußballverband stattfindet oder früher einmal stattgefunden hat. Mit dabei unter anderem der Sportreporter Gerd Rubenbauer und der Investigativjournalist Thomas Kistner.

Zwischen letzteren beiden drohte kurz eine gegenseitige Stichelei außer Kontrolle zu geraten. Rubenbauer nämlich bestand darauf, bestimmte Worte durch andere zu ersetzen. Er wies etwa darauf hin, dass die aktuelle Schlagzeile, Franz Beckenbauer sei vom Weltfußballverband FIFA angeklagt worden, so nicht korrekt sei, innerhalb der FIFA gäbe es so etwas wie Anklagen überhaupt nicht, der Fall sei lediglich von einer Instanz der FIFA an eine andere weitergereicht worden, man müsse das doch bitte schon genau nehmen.

Der in seinem Ego sichtlich angekratzte Investivgativjournalist tat das als „Wortklauberei“ ab, was der Moderator der Talkrunde ebenso sah und offenbar beendet haben wollte. Eine Kommunikationsgrätsche mitten in die freie Meinungsbildung. Doch Wortklauberei hin oder her: sie ist zuweilen notwendig. Und zwar umso öfter, je vertwitterter unser Leben wird.

Die Schlagzeile „Korruptionsverdacht: Beckenbauer unter Anklage“ transportiert unweigerlich eine ganz bestimmte Botschaft, die in ihren dramatisierenden Stil natürlich auch genau so beabsichtigt ist. Und in einer Zeit, in der man per „Twitter“ mit Nachrichten von gerade einmal 120 Zeichen Länge auskommen muss, glaubt man im Zeitalter der totalen Kommunikation mit schnöden Schlagzeilen bestens informiert zu sein.

Ich erinnere mich noch sehr genau wie im Presseshop eines Flughafens mein Blick auf eine Jugendzeitschrift fiel. Der potenzielle jugendliche Käufer sollte mit der Schlagzeile geködert werden, dass irgendeine weibliche Prominente „krass gedisst“ wurde. Ich stand selten dermaßen dämlich ratlos vor einer Information. Andererseits bin ich absolut sicher, dass so ziemlich jeder Jugendliche sie verstanden und vielleicht sogar für wahnsinnig interessant gehalten hat. Doch das nur nebenbei.

Eine andere aktuelle Schlagzeile mit ähnlicher Treffsicherheit: „Wurst ist krebserregend“. Oder auch „Krebsrisiko: Wie gefährlich ist Wurst?“. Oder auch „WHO warnt: Wurst und Schinken können Krebs verursachen“. Die Masse der überinformierten Menschen, die sich mit diesen medialen Häppchen begnügt, ist jedoch mindestens dramatisch desinformiert.

In einer englischen Nachrichtensendung des BBC stellte ein Experte klar: Nein, es ist nicht bewiesen, dass der tägliche Verzehr von Wurst oder Schinken krebserregend ist. Sondern das, was man hat, sind „hinreichend Anzeichen” dafür, dass ein Zusammenhang mit der Entstehung von Krebs existiere. Was genau ist ein „Anzeichen“ und was genau ist mit „hinreichend“ gemeint?

Das ist einer der exemplarischen Fälle, in denen jede Wortklauberei ganz erheblich notwendig ist. Denn der Unterschied in der Botschaft ist natürlich immerns. Wer täglich Wurst oder Schinken isst, wird deshalb noch lange nicht an Krebs erkranken. Dafür gibt es nicht den geringsten Beweis. Man kann aus notierten Zahlen von Studien irgendeine Verbindung herauslesen, irgendeine, welche auch immer, man weiß es nicht. Das ist alles.

Man darf auch nicht erfahren, wie sich diese scharfe Trennlinie ziehen lässt, um eine Krebserkrankung zweifelsfrei einzig und allein mit dem Wurstkonsum zu verbinden – ohne jeden anderen Einfluss, etwa durch das Stickstoffdioxid in unser aller Atemluft oder durch Bisphenol A (BPA), Phthalate und Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die als Weichmacher bei der Plastikproduktion verwendet werden – außer übrigens bei der Herstellung von Babyflaschen.

Es ist ohnehin müßig: In spätestens einer Woche redet niemand mehr davon. Es sei denn natürlich, die Redaktionen der Talkshows wärmen das wieder als Endlosthema auf. Doch was in den Köpfen davon übrig bleiben wird, klingt ungefähr so: „Ich habe mal gehört, dass Wurst krebserregend ist“. Willkommen im Bildungszeitalter.


Donnerstag, 8. Oktober 2015

unterhaltsam gebildet

Die Welt will unterhalten werden. Ich muss mich wohl langsam damit abfinden. Immerhin lebt eine ganze Industrie davon. Rund 10 Milliarden Euro jährlich werden in Deutschland zur persönlichen Unterhaltung und Vergnügung ausgegeben. Eine Summe, die ungefähr dem Bildungsetat der Bundesrepublik entspricht. Doch zugegeben: Was heißt das schon?

Angeblich leiden mindestens 40 Prozent der Deutschen unter Stress.und Druck bei der Arbeit. Schon unter Schülern sollen 30 Prozent unter Leistungsdruck leiden. Einige der Betroffenen erkranken daran nachhaltig psychisch, werden chronisch depressiv und/oder stürzen sich u.a. auf Nikotin, Alkohol und Medikamente.

Parallel dazu ist jede Menge Angst allgegenwärtig: Angst vor Naturkatastrophen sollen 53% der Deutschen haben, Angst vor Terroranschlägen (52%), vor schweren Krankheiten (47%), vor einer schlechten Wirtschaftslage (40%) und eigener Arbeitslosigkeit (32%). Runde 60% haben eine generelle Angst vor der Zukunft. ( Das hängt natürlich alles davon ab, wer welche Menschen zu welchem Zeitpunkt wonach befragt. Die Angst vor Terrorismus dürfte verstärkt präsent sein, wenn gerade irgendwo ein Terroranschlag stattgefunden hat. )

Bei all dem Stress und Druck und all den parallel wirkenden Ängsten ist es kein Wunder, wenn sich die Menschen davon gern ablenken lassen – und dieser offenbar enorme Bedarf eine ganze Industrie ermöglicht hat, die milliardenschwere Umsätze einfährt: Unterhaltung und Vergnügung als Massenware vom Fließband, für die Masse gestresster, deprimierter und verängstigter Menschen.

Dazu kommt die mittlerweile grob unterschätzte Zwangsunterhaltung über die Fernsehkanäle nach dem Leitmotiv „We love to entertain you“. Da schießen so genannte Comedians, die früher (treffender) „Spaßmacher“ genannt wurden, wie Pilze aus dem Boden – was womöglich an den inzwischen Dutzenden Comedy-Shows liegt, die schließlich Personal benötigen und so ziemlich alles auf die Bühne zerren, was halbwegs einen alten Kalauer nacherzählen kann.

ARD und ZDF wiederum veranlassten vor ein/zwei Jahren Neubauten der Sendestudios ihrer Hauptnachrichten in zweistelliger Millionenhöhe mit dem Argument, auch Nachrichten müssten heutzutage unterhaltsam präsentiert werden. Und eine TV-Größe wie Günther Jauch wies in einem Interview darauf hin, dass der Boom der Quiz-Sendungen keineswegs etwas mit Bildung zu tun hätte, sondern es in allen Fällen um nichts anderes als Unterhaltung ginge. So hat man inzwischen einen einzigen angedickten Brei amüsanter medialer Massenware.

Das soll natürlich nicht den Eindruck erwecken, Bildung und Unterhaltung würden sich zwangsläufig widersprechen und/oder müssten (deshalb) strikt voneinander getrennt bleiben. Warum sollte sich nicht auch beides miteinander verbinden lassen? Allenfalls weil wir das als Gegensätze erlernt haben und Schulkindern immer noch so beigebracht wird: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“. Und schließlich spricht der Volksmund nicht gerade amüsiert vom „Ernst des Lebens“.

Parallel zu diesen Beobachtungen mache ich jedoch die Feststellung, dass der Unfug, der uns allen ständig als „Wissen“ und „Bildung“ unter die Nase gerieben, auf die Augen und in die Ohren gedrückt wird, tatsächlich nur noch mit einer guten Portion Humor zu ertragen ist. Ich erwische mich selbst immer öfter bei einem amüsierten Lächeln als mich (wie früher) darüber aufzuregen.

Für Sie als geneigten Leser und ggf Freund meiner Denkimpulse und Ansätze hat das zur Folge: Auch außerhalb meiner Vorträge und Seminare schlage mich ab sofort auch öffentlich verstärkt auf die Seite des Humors. Mit inspirierendem Witz, ironischen Anmerkungen und satirischen Spitzen, ganz so, wie Sie mich ggf auch persönlich kennen. Ich wünsche viel Freude, wenn es um den „Ernst des Lebens“ geht.


Montag, 5. Oktober 2015

perfektioniert daneben

Wo immer wieder gern, bei passenden Gelegenheiten, meist rund um die jährliche Veröffentlichung von „PISA“-Ergebnissen, über die hierzulande herrschende „Bildungsnot“ in „bildungsfernen Schichten“ geplaudert wird, ist es schon sehr beruhigend zu wissen, dass manche Kinder von den eigenen Eltern äußerst bildungsnah intellektuell perfektioniert werden; ob sie wollen oder nicht.

Kürzlich räumte der Autobauer Mercedes ein, dass die Ergebnisse von Abgasmessungen in deren eigenen Laboren durchaus von Messergebnissen im öffentlichen Stadtverkehr abweichen könnten. Und zwar, weil „dort (in der Stadt) nicht die exact gleichen Bedingungen wie im Labor hergestellt werden können“. Sieh an.

Das eigentliche Problem ist also die unpräzise Realität da draußen. Das wirkliche Leben ist viel zu ungenau. Kurz: Das, was in Laboren getrieben wird, ist um einiges realistischer. Das glauben Wissenschaftler tatsächlich! Fachübergreifend! Natürlich auch in der Pädagogik. Und deshalb suggeriert man das auch für die Erziehung allgemein und für die elterliche insbesondere.

So glauben manche Eltern, sie könnten, sollten oder dürften nicht darauf vertrauen, dass ihr Kind ganz von selbst irgendetwas Großartiges zustande bringt, sondern müssten – ungefragt und ungebeten – ein wenig nachhelfen. Natürlich halten dieselben Eltern ihr Kind für äußerst begabt und intelligent. Doch rein sicherheitshalber müssen sie natürlich darauf achten, dass ihm nicht versehentlich doch ein Fehler unterläuft.

Da sollen etwa in der dritten Klasse der Grundschule Referate gehalten werden, jeweils drei Kinder bilden ein Team, um über jeweils ein heimisches Wildtier zu referieren. Das dürfte so gedacht sein, dass die Kleinen das miteinander weitest möglich selbst erarbeiten, mit begleitender Unterstützung, kleinen gedanklichen Schubsern usw. Das Sammeln von Material aus Internet und Büchern, das Aussortieren und Sortieren, das Anfertigen von Plakaten mit Bildern und Beschriftung, das Einüben des mündlichen Teils… das muss alles nicht perfekt sein, sondern viel wichtiger ist, dass die Kinder das (eben: weitest möglich) selbst gemacht haben, selbst wenn sich ein/zwei Fehler einschleichen.

Es gibt jedoch Eltern, die diese immense Gefahr nicht eingehen wollen. Nicht obwohl, sondern gerade weil es das erste Referat im Leben des Kindes ist, wollen sie ihm erst einmal zeigen, wie das korrekt gemacht wird. Nicht nur in jedem Detail, sondern da wird die komplette Familie mit eingespannt: Das Schwesterchen googelt nach brauchbaren Informationen, Papa druckt Bilder aus, und der Sohn lernt mit Mama den mündlichen Vortragsteil auswendig, Wort für Wort, damit bloß nichts schiefgeht.

Und so lassen diese Eltern ihre Kinder – mit den besten Absichten – mitten ins Verderben laufen, die bei ihrem Referat hilflos auf das perfekt arrangierte Plakat deuten, das man ihnen familiär vorgefertigt in die Hand gedrückt hat, und ihren auswendig gelernten perfekten Text herunterbeten, als würden sie vor dem Weihnachtsbaum ein Gedicht aufsagen.

Abgesehen von der Benotung durch den Lehrer ist das Resultat einer solchen Perfektion eine themenverfehlte Zwangsbelehrung. Bei einer solchen Aktion geht es eben gar nicht um das Referieren über heimische Wildtiere oder wasauchimmer, es geht noch nicht einmal um das Referat an sich. In zweiter Linie geht es darum zu lernen, wie man Informationen sammelt, aussortiert, nach Prioritäten ordnet, und das Ganze für andere verständlich und interessant aufbereitet. Und in erster Linie geht es darum, dass Kinder lernen, das gemeinsam zu tun: Das Erlenen von Teamwork.

Auf die schnöde Perfektion ausgerichtete Eltern wissen überhaupt nicht, was sie da –mit den besten Absichten – anstellen. Sie stehlen ihrem Kind die gesamte Erfahrung(!), auf die es eigentlich ankommt. Selbst wenn es sich um die Erfahrung handelt, im Teamwork auch über etwas zu streiten, etwas Wichtiges vergessen zu haben und sich im freien mündlichen Vortrag zwischendurch zu verhaspeln.