Dienstag, 22. Dezember 2015

mühelos verkorkst

Wir leben in einer seltsamen Zeit. Doch das empfindet man so wahrscheinlich nur als Angehöriger einer älteren Generation. Die jüngere ist in diese komische Instant- und FastFood-Ära hineingeboren worden und kennt das nicht anders. Kein Grund, sich darüber aufzuregen. Aber ein bisschen wundern darf man sich durchaus.

Nach meinen Erkenntnissen scheint es die Jugend heute gewöhnt zu sein, dass alles auf Knopfdruck funktioniert. Nur die Jugend? Nein. Nicht nur die Jugend. Dieses Phänomen, dass alles mögliche bitte sofort und ohne große Mühe zu haben ist, und ständig und im Überfluss verfügbar zu sein hat, hat längst auch ältere Generationen infiziert.

Man hat keine Geduld mehr. Man hat keine Muße mehr. Man hat nicht einmal mehr die Bereitschaft dazu. Und noch nicht einmal mehr die Einsicht, die Bereitschaft dafür aufzubringen. Die mühelose Bequemlichkeit ist inzwischen zur selbstverständlichen Erwartungshaltung gewuchert.

In Botschaften mit gerade einmal 160 (SMS) oder gar nur 140 Zeichen („Twitter“) spart man sich prompt die Begrüßung, ein sparsames „VG“ oder „LG“ am Ende muss zwangsläufig ausreichen, doch selbst das kann man wohl problemlos komplett weglassen.

Auf diese Weise geht jeglicher Anspruch (z.B. an Höflichkeit) nicht nur verloren, man hat sogar noch Verständnis dafür. Schließlich ist man gezwungen sich kurz zu fassen und dabei zu stammeln. Genötigt durch marktbeherrschende Konzerne

Exact umgekehrt ist der Anspruch auf ein Maximum gestiegen, wenn es um Reaktionen geht: Man beansprucht sofortige Antwort auf seine Mitteilungen. Und exact umgekehrt hat man hier kaum Verständnis dafür, wenn das nicht passiert. Genötigt durch marktbeherrschende Konzerne.

Nahtlos passen in dieses Phänomen die TV-Nachrichtensender mit ihren Dauerlaufschriften: „Breaking News“ schlagartig auf dem Bildschirm, selbst aus dem hintersten Winkel der Welt, ansonsten sinn- und zwecklose Meldungen in extremer Kurzform, die jegliche Hirnbelastung unnötig machen.

Ich denke ernsthaft darüber nach, einen sog. „Mikroblogging“-Dienst ins Leben zu rufen. Vielleicht nenne ich ihn „Flöt“. Mitteilungen mit nur noch 20 Zeichen (wenn überhaupt), die komplett aus Abkürzungen bestehen. Dann wird nicht mehr nur gesimst und getwittert, dann wird extrem bequem geflötet. Pfeifen wir darauf.

Samstag, 12. Dezember 2015

klimatisch verhandelt

Gut zwei Wochen nach den Terroranschlägen in Paris versammelten sich genau dort – erstaunlicherweise völlig unbedroht – über 130 Staats- und Regierungschefs beim UNO-Klimagiipfel, um über die Rettung des Weltklimas zu verhandeln. Mit anderen Worten: Der Klimawandel ist reine Verhandlungssache. 

Auf der Website des „Spiegel“ prangte begleitend zum Klimagipfel die Topmeldung „Hier wird der Klimawandel sichtbar“, garniert mit einigen Fotos: „Wie weit die Erderwärmung bereits vorangeschritten ist, zeigt der Vergleich historischer Gletscherfotos mit aktuellen Aufnahmen“.

Diese historischen Bilder stammen aus den Jahren zwischen 1911 und 1932. Ach. wie dramatisch dieser direkte Vergleich. Man fragt sich glatt, warum man nicht einfach die heutige Landschaft mit der köchelnden Ursuppe der Erdentstehung vergleicht. Es wäre halt nicht so dramatisch. Im Gegenteil: Man wäre wohl ziemlich froh über das heutige Klima.

Dramatisierungseffekte dieser Art kennt jeder aus der Werbung, wenn Produkte mit vermeintlichen „Vorher-Nachher“-Vergleichen angepriesen werden. Wer warum zu solchen Methoden greift, wenn es um den Klimawandel geht, möge der geneigte Leser bitte selbst überdenken.

Eine andere Anregung liefert die nächtens in Regionalprogrammen ausgestrahlte „Tagesschau vor 25 Jahren“: Da verkündete der Wetterbericht für die erste Januar-Woche des Jahres 1991 Temperaturen zwischen 7 und 12 Grad, im Süden bei Föhn bis zu satten 16 Grad. Auch schon damals irgendwie kein „richtiger“ Winter.

Dafür hatten wir dieses Jahr einen enorm hitzigen Sommer, jedoch ganz ohne jeden Klimawandel. Jedenfalls nicht in den Medien. Erst jetzt, Anfang Dezember, wird das Thema parallel zum Weltklimagipfel plötzlich wieder interessant, weil man schließlich bitteschön weiße Weihnacht haben will. Doch statt dessen sind vereinzelt blühende Osterglocken zu bewundern und leiden Allergiker unter Pollenflug.

Mojib Latif, der erstaunlich bekannte Klimaforscher, der bei solchen Gelegenheiten üblicherweise interviewt wird, verwies allerdings auf irgendeinen Vier-Jahres-Rhythmus, wonach das Wetter aktuell noch ziemlich normal ist. Erheblich beruhigend, dass sich das Wetter noch immer nach unseren Normen richtet.

Montag, 16. November 2015

katastrophal betroffen

Wie man uns erklärt, sind wir im Moment, unter dem Eindruck einer Serie von Terroranschlägen, alle Franzosen, insbesondere Pariser. Menschen versammeln sich, um an öffentlichen Plätzen öffentlich solidarisch zu trauern, und das Brandenburger Tor wurde über Nacht solidarisch in blau-weiß-rotes Licht getaucht. Rein soziologisch betrachtet wirft das Ganze ein paar Fragen auf.

In der spanischen Umgangssprache gibt es den „11-M“ als Numeronym des 11. März 2004, als in Madrid zehn islamistische Terroristen mit einer Serie von Bombenexplosionen 191 Menschen töteten, 2051 wurden verletzt. In England spricht man vom „7/7“, dem 7. Juli 2005, als mitten im Londoner Berufsverkehr vier Selbstmordattentäter in drei U-Bahn-Zügen und einem Doppeldeckerbus 52 Menschen töteten, mehr als 700 wurden verletzt.

Nach diesen Attentaten waren wir weder alle Spanier noch Engländer, es gab keine solidarisch trauernden Menschengruppen an öffentlichen Plätzen und auch das Brandenburger Tor erstrahlte weder in den spanischen noch den englischen Nationalfarben. Das ist zehn Jahre her. In diesen letzten zehn Jahren hat sich offenbar etwas verändert.

Die ganz persönliche Erschütterung und Betroffenheit wird jetzt gemeinschaftlich und öffentlich ausschweifend zelebriert. Man könnte die Frage stellen, ob hier inzwischen die Möglichkeiten der „sozialen Netzwerke“, insbesondere per „Facebook“ und „Twitter“ dazu genutzt werden, weil es eben möglich ist – oder ob das Ganze überhaupt nur deshalb stattfindet.

In einer der etlichen Sondersendungen zitierte etwa eine so genannte „Netzreporterin“ folgende „Twitter“-Meldung: „Ich bin so traurig. Einfach ins Bett gehen, Decke über den Kopf ziehen und weinen“. Was verleitet jemanden, seine persönliche Gemütslage auf diese Weise öffentlich zu machen und warum? Und was soll es, dass diese Meldung über das alte Medium Fernsehen noch zusätzlich verbreitet wird? Warum soll der Fernsehzuschauer darüber informiert sein? Was genau ist gegenüber 2004 und 2005 heute anders? Und: soll das in irgendeiner Weise „besser“ sein?

Nach dem kürzlichen Tod von Helmut Schmidt sprach eine befragte 31-jährige Studentin, sie fände den „Hype“ um den Altkanzler und dass scheinbar nun jeder ein „Schmidt-Fan“ sei, „irgendwie befremdlich“. Gut möglich, dass diese junge Frau ihr „Facebook“-Profil momentan in solidarisches blau-weiß-rot gefärbt hat und das überhaupt nicht befremdlich findet, sondern „irgendwie wichtig“.

Auch ansonsten war die mediale Entwicklung hochinteressant mitzuverfolgen, obwohl man einfach nur die Live-Übertragung eines Fußballspiels sehen wollte. Die öffentlich-rechtlichen Sender reagierten prompt mit prompten Spezial- und Sondersendungen. Die ganz generell eher stümperhaften Nachrichtensender „n-tv“ und „N24“ zogen mit leichter Verspätung und gewohnt überfordertem Personal nach, die restlichen Privatsender zogen ihr Casting- und Comedy-Programm gnadenlos durch.

Das Ganze zeigte eindrucksvoll, was unser „Zeitalter der totalen Information“ im Kern ausmacht: Information um der bloßen Information Willen, je mehr desto besser, sei sie auch noch so sinnlos. Da fragt beispielsweise die Moderatorin der kurz zwischengeschalteten „Tagesschau“-Spezialausgabe die Korrespondentin in Paris allen Ernstes, ob es sich hier wohl um Terroranschläge handeln würde(?). Anschließend fragt dieselbe Moderatorin dieselbe Korrespondentin: „Gibt es denn schon Gerüchte… äh… Vermutungen über die Urheber?“. Freud lässt grüßen.

Auf „N24“ fragte man einen Reporter vor Ort, wie es denn zu bewerten sei, dass einer der Attentäter angeblich „Allahu akbar“ gebrüllt hätte, und ob das nicht auf einen islamistischen Hintergrund deuten würde(?), mit der Antwort des Reporters, dass das gar nichts hieße, so etwas könne schließlich jeder rufen. Andere Fragen an Korrespondenten auf verschiedenen Kanälen: „Wie können Sie sich gerade in Paris bewegen?“ und „Welche Veranstaltungen finden denn in dieser Konzerthalle normalerweise statt und welches Publikum geht da hin?“.

Tja. Und was nun? Es heißt, man lasse sich vom Terror nicht einschüchtern. Jetzt erst recht nicht. Deshalb wird auch das Fußballspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden am Dienstagabend stattfinden. Wenn man sich nicht einschüchtern lässt, müsste man allerdings konsequenterweise auf jegliche Sicherheitskontrollen rund um das Spiel verzichten. Doch im Gegenteil wird man sie auf ein Maximum verstärken …aber man lässt sich nicht einschüchtern.

Die französische Armee hat inzwischen in einer „Vergeltungsaktion“ Stellungen des Islamischen Staat in Syrien bombardiert. Doch was, wenn diese Islamisten nun in gleicher Weise reagieren: Man lässt sich durch Bomben nicht einschüchtern. Jetzt erst recht nicht. Oder was erwartet man nun?

Der französische Präsident Hollande hat einen dreimonatigen Ausnahmezustand erklärt, für Frankreich den Kriegsfall ausgerufen, die vergeltende Bombardierung in Syrien befohlen, und kann – angesichts offenbar lähmender Generalbetroffenheit – auf weitest reichendes Verständnis zählen. Das hatten wir schon einmal, im September 2001, als US-Präsident Bush Junior „uneingeschränkte Solidarität“  zugesprochen wurde, Afghanistan und den Irak bombardierte und Saddam Hussein hinrichtete. Den Terror hat das offenkundig nicht beseitigt.

Dienstag, 27. Oktober 2015

medial gegrätscht

Im Folgenden geht es um Fußball und Wurst. Beides jedoch nur nebenbei und an der thematischen Oberfläche. Tatsächlich geht es um etwas anderes. Vor allem um das Phänomen, wie (unsere) Aufmerksamkeit sehr elegant medial gelenkt wird. Und das noch abgesehen davon, dass es selbst im Fußball kaum noch um Fußball geht – dafür aber für uns alle um die Wurst.

Da sitzen in irgendeiner Talkrunde des ZDF mehrere Gäste mit einer Verbindung zum Fußball, um darüber zu diskutieren, ob und wenn inwieweit Korruption im Weltfußballverband stattfindet oder früher einmal stattgefunden hat. Mit dabei unter anderem der Sportreporter Gerd Rubenbauer und der Investigativjournalist Thomas Kistner.

Zwischen letzteren beiden drohte kurz eine gegenseitige Stichelei außer Kontrolle zu geraten. Rubenbauer nämlich bestand darauf, bestimmte Worte durch andere zu ersetzen. Er wies etwa darauf hin, dass die aktuelle Schlagzeile, Franz Beckenbauer sei vom Weltfußballverband FIFA angeklagt worden, so nicht korrekt sei, innerhalb der FIFA gäbe es so etwas wie Anklagen überhaupt nicht, der Fall sei lediglich von einer Instanz der FIFA an eine andere weitergereicht worden, man müsse das doch bitte schon genau nehmen.

Der in seinem Ego sichtlich angekratzte Investivgativjournalist tat das als „Wortklauberei“ ab, was der Moderator der Talkrunde ebenso sah und offenbar beendet haben wollte. Eine Kommunikationsgrätsche mitten in die freie Meinungsbildung. Doch Wortklauberei hin oder her: sie ist zuweilen notwendig. Und zwar umso öfter, je vertwitterter unser Leben wird.

Die Schlagzeile „Korruptionsverdacht: Beckenbauer unter Anklage“ transportiert unweigerlich eine ganz bestimmte Botschaft, die in ihren dramatisierenden Stil natürlich auch genau so beabsichtigt ist. Und in einer Zeit, in der man per „Twitter“ mit Nachrichten von gerade einmal 120 Zeichen Länge auskommen muss, glaubt man im Zeitalter der totalen Kommunikation mit schnöden Schlagzeilen bestens informiert zu sein.

Ich erinnere mich noch sehr genau wie im Presseshop eines Flughafens mein Blick auf eine Jugendzeitschrift fiel. Der potenzielle jugendliche Käufer sollte mit der Schlagzeile geködert werden, dass irgendeine weibliche Prominente „krass gedisst“ wurde. Ich stand selten dermaßen dämlich ratlos vor einer Information. Andererseits bin ich absolut sicher, dass so ziemlich jeder Jugendliche sie verstanden und vielleicht sogar für wahnsinnig interessant gehalten hat. Doch das nur nebenbei.

Eine andere aktuelle Schlagzeile mit ähnlicher Treffsicherheit: „Wurst ist krebserregend“. Oder auch „Krebsrisiko: Wie gefährlich ist Wurst?“. Oder auch „WHO warnt: Wurst und Schinken können Krebs verursachen“. Die Masse der überinformierten Menschen, die sich mit diesen medialen Häppchen begnügt, ist jedoch mindestens dramatisch desinformiert.

In einer englischen Nachrichtensendung des BBC stellte ein Experte klar: Nein, es ist nicht bewiesen, dass der tägliche Verzehr von Wurst oder Schinken krebserregend ist. Sondern das, was man hat, sind „hinreichend Anzeichen” dafür, dass ein Zusammenhang mit der Entstehung von Krebs existiere. Was genau ist ein „Anzeichen“ und was genau ist mit „hinreichend“ gemeint?

Das ist einer der exemplarischen Fälle, in denen jede Wortklauberei ganz erheblich notwendig ist. Denn der Unterschied in der Botschaft ist natürlich immerns. Wer täglich Wurst oder Schinken isst, wird deshalb noch lange nicht an Krebs erkranken. Dafür gibt es nicht den geringsten Beweis. Man kann aus notierten Zahlen von Studien irgendeine Verbindung herauslesen, irgendeine, welche auch immer, man weiß es nicht. Das ist alles.

Man darf auch nicht erfahren, wie sich diese scharfe Trennlinie ziehen lässt, um eine Krebserkrankung zweifelsfrei einzig und allein mit dem Wurstkonsum zu verbinden – ohne jeden anderen Einfluss, etwa durch das Stickstoffdioxid in unser aller Atemluft oder durch Bisphenol A (BPA), Phthalate und Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die als Weichmacher bei der Plastikproduktion verwendet werden – außer übrigens bei der Herstellung von Babyflaschen.

Es ist ohnehin müßig: In spätestens einer Woche redet niemand mehr davon. Es sei denn natürlich, die Redaktionen der Talkshows wärmen das wieder als Endlosthema auf. Doch was in den Köpfen davon übrig bleiben wird, klingt ungefähr so: „Ich habe mal gehört, dass Wurst krebserregend ist“. Willkommen im Bildungszeitalter.


Donnerstag, 8. Oktober 2015

unterhaltsam gebildet

Die Welt will unterhalten werden. Ich muss mich wohl langsam damit abfinden. Immerhin lebt eine ganze Industrie davon. Rund 10 Milliarden Euro jährlich werden in Deutschland zur persönlichen Unterhaltung und Vergnügung ausgegeben. Eine Summe, die ungefähr dem Bildungsetat der Bundesrepublik entspricht. Doch zugegeben: Was heißt das schon?

Angeblich leiden mindestens 40 Prozent der Deutschen unter Stress.und Druck bei der Arbeit. Schon unter Schülern sollen 30 Prozent unter Leistungsdruck leiden. Einige der Betroffenen erkranken daran nachhaltig psychisch, werden chronisch depressiv und/oder stürzen sich u.a. auf Nikotin, Alkohol und Medikamente.

Parallel dazu ist jede Menge Angst allgegenwärtig: Angst vor Naturkatastrophen sollen 53% der Deutschen haben, Angst vor Terroranschlägen (52%), vor schweren Krankheiten (47%), vor einer schlechten Wirtschaftslage (40%) und eigener Arbeitslosigkeit (32%). Runde 60% haben eine generelle Angst vor der Zukunft. ( Das hängt natürlich alles davon ab, wer welche Menschen zu welchem Zeitpunkt wonach befragt. Die Angst vor Terrorismus dürfte verstärkt präsent sein, wenn gerade irgendwo ein Terroranschlag stattgefunden hat. )

Bei all dem Stress und Druck und all den parallel wirkenden Ängsten ist es kein Wunder, wenn sich die Menschen davon gern ablenken lassen – und dieser offenbar enorme Bedarf eine ganze Industrie ermöglicht hat, die milliardenschwere Umsätze einfährt: Unterhaltung und Vergnügung als Massenware vom Fließband, für die Masse gestresster, deprimierter und verängstigter Menschen.

Dazu kommt die mittlerweile grob unterschätzte Zwangsunterhaltung über die Fernsehkanäle nach dem Leitmotiv „We love to entertain you“. Da schießen so genannte Comedians, die früher (treffender) „Spaßmacher“ genannt wurden, wie Pilze aus dem Boden – was womöglich an den inzwischen Dutzenden Comedy-Shows liegt, die schließlich Personal benötigen und so ziemlich alles auf die Bühne zerren, was halbwegs einen alten Kalauer nacherzählen kann.

ARD und ZDF wiederum veranlassten vor ein/zwei Jahren Neubauten der Sendestudios ihrer Hauptnachrichten in zweistelliger Millionenhöhe mit dem Argument, auch Nachrichten müssten heutzutage unterhaltsam präsentiert werden. Und eine TV-Größe wie Günther Jauch wies in einem Interview darauf hin, dass der Boom der Quiz-Sendungen keineswegs etwas mit Bildung zu tun hätte, sondern es in allen Fällen um nichts anderes als Unterhaltung ginge. So hat man inzwischen einen einzigen angedickten Brei amüsanter medialer Massenware.

Das soll natürlich nicht den Eindruck erwecken, Bildung und Unterhaltung würden sich zwangsläufig widersprechen und/oder müssten (deshalb) strikt voneinander getrennt bleiben. Warum sollte sich nicht auch beides miteinander verbinden lassen? Allenfalls weil wir das als Gegensätze erlernt haben und Schulkindern immer noch so beigebracht wird: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“. Und schließlich spricht der Volksmund nicht gerade amüsiert vom „Ernst des Lebens“.

Parallel zu diesen Beobachtungen mache ich jedoch die Feststellung, dass der Unfug, der uns allen ständig als „Wissen“ und „Bildung“ unter die Nase gerieben, auf die Augen und in die Ohren gedrückt wird, tatsächlich nur noch mit einer guten Portion Humor zu ertragen ist. Ich erwische mich selbst immer öfter bei einem amüsierten Lächeln als mich (wie früher) darüber aufzuregen.

Für Sie als geneigten Leser und ggf Freund meiner Denkimpulse und Ansätze hat das zur Folge: Auch außerhalb meiner Vorträge und Seminare schlage mich ab sofort auch öffentlich verstärkt auf die Seite des Humors. Mit inspirierendem Witz, ironischen Anmerkungen und satirischen Spitzen, ganz so, wie Sie mich ggf auch persönlich kennen. Ich wünsche viel Freude, wenn es um den „Ernst des Lebens“ geht.


Montag, 5. Oktober 2015

perfektioniert daneben

Wo immer wieder gern, bei passenden Gelegenheiten, meist rund um die jährliche Veröffentlichung von „PISA“-Ergebnissen, über die hierzulande herrschende „Bildungsnot“ in „bildungsfernen Schichten“ geplaudert wird, ist es schon sehr beruhigend zu wissen, dass manche Kinder von den eigenen Eltern äußerst bildungsnah intellektuell perfektioniert werden; ob sie wollen oder nicht.

Kürzlich räumte der Autobauer Mercedes ein, dass die Ergebnisse von Abgasmessungen in deren eigenen Laboren durchaus von Messergebnissen im öffentlichen Stadtverkehr abweichen könnten. Und zwar, weil „dort (in der Stadt) nicht die exact gleichen Bedingungen wie im Labor hergestellt werden können“. Sieh an.

Das eigentliche Problem ist also die unpräzise Realität da draußen. Das wirkliche Leben ist viel zu ungenau. Kurz: Das, was in Laboren getrieben wird, ist um einiges realistischer. Das glauben Wissenschaftler tatsächlich! Fachübergreifend! Natürlich auch in der Pädagogik. Und deshalb suggeriert man das auch für die Erziehung allgemein und für die elterliche insbesondere.

So glauben manche Eltern, sie könnten, sollten oder dürften nicht darauf vertrauen, dass ihr Kind ganz von selbst irgendetwas Großartiges zustande bringt, sondern müssten – ungefragt und ungebeten – ein wenig nachhelfen. Natürlich halten dieselben Eltern ihr Kind für äußerst begabt und intelligent. Doch rein sicherheitshalber müssen sie natürlich darauf achten, dass ihm nicht versehentlich doch ein Fehler unterläuft.

Da sollen etwa in der dritten Klasse der Grundschule Referate gehalten werden, jeweils drei Kinder bilden ein Team, um über jeweils ein heimisches Wildtier zu referieren. Das dürfte so gedacht sein, dass die Kleinen das miteinander weitest möglich selbst erarbeiten, mit begleitender Unterstützung, kleinen gedanklichen Schubsern usw. Das Sammeln von Material aus Internet und Büchern, das Aussortieren und Sortieren, das Anfertigen von Plakaten mit Bildern und Beschriftung, das Einüben des mündlichen Teils… das muss alles nicht perfekt sein, sondern viel wichtiger ist, dass die Kinder das (eben: weitest möglich) selbst gemacht haben, selbst wenn sich ein/zwei Fehler einschleichen.

Es gibt jedoch Eltern, die diese immense Gefahr nicht eingehen wollen. Nicht obwohl, sondern gerade weil es das erste Referat im Leben des Kindes ist, wollen sie ihm erst einmal zeigen, wie das korrekt gemacht wird. Nicht nur in jedem Detail, sondern da wird die komplette Familie mit eingespannt: Das Schwesterchen googelt nach brauchbaren Informationen, Papa druckt Bilder aus, und der Sohn lernt mit Mama den mündlichen Vortragsteil auswendig, Wort für Wort, damit bloß nichts schiefgeht.

Und so lassen diese Eltern ihre Kinder – mit den besten Absichten – mitten ins Verderben laufen, die bei ihrem Referat hilflos auf das perfekt arrangierte Plakat deuten, das man ihnen familiär vorgefertigt in die Hand gedrückt hat, und ihren auswendig gelernten perfekten Text herunterbeten, als würden sie vor dem Weihnachtsbaum ein Gedicht aufsagen.

Abgesehen von der Benotung durch den Lehrer ist das Resultat einer solchen Perfektion eine themenverfehlte Zwangsbelehrung. Bei einer solchen Aktion geht es eben gar nicht um das Referieren über heimische Wildtiere oder wasauchimmer, es geht noch nicht einmal um das Referat an sich. In zweiter Linie geht es darum zu lernen, wie man Informationen sammelt, aussortiert, nach Prioritäten ordnet, und das Ganze für andere verständlich und interessant aufbereitet. Und in erster Linie geht es darum, dass Kinder lernen, das gemeinsam zu tun: Das Erlenen von Teamwork.

Auf die schnöde Perfektion ausgerichtete Eltern wissen überhaupt nicht, was sie da –mit den besten Absichten – anstellen. Sie stehlen ihrem Kind die gesamte Erfahrung(!), auf die es eigentlich ankommt. Selbst wenn es sich um die Erfahrung handelt, im Teamwork auch über etwas zu streiten, etwas Wichtiges vergessen zu haben und sich im freien mündlichen Vortrag zwischendurch zu verhaspeln.


Dienstag, 29. September 2015

flüchtig betrachtet

Natürlich hat man auch mich längst mehrfach nach meiner Meinung zur aktuellen Flüchtlingsthematik gefragt. Jedoch: Ich habe keine. Immer noch nicht. Das löst Verwunderung aus. In unserer hektischen Zeit, wo schließlich jetzt bereits schon wieder Weihnachtsleckereien käuflich sind, bleibt einem wohl auch keine Zeit mehr, sich lange mit der Meinungsbildung aufzuhalten.

Nein, mir fehlte wirklich die Zeit dafür, mich mit dem größeren Zusammenhängen dieser Thematik zu beschäftigen. Erschwerend hinzu kommt, dass man unablässig nahezu mehrmals täglich über neue Entwicklungen informiert wird. Vielleicht soll man auch gar keine Zeit haben, das Ganze groß zu reflektieren; man soll sich bitteschön eine Meinung über’s Knie brechen.

Bemerkenswert ist immerhin schon einmal die wechselnde Wortwahl in der medialen Berichterstattung: Zunächst handelte es sich um eine Flüchtlingskatastrophe, aus der ein Flüchtlingsstrom und dann eine Flüchtlingswelle wurde, bis man nun – vorerst – bei einer Flüchtlingskrise angekommen ist. Hier und da war auch von einem Flüchtlingsdrama zu hören. Das ist ziemlich interessant, wenn man weiß und sich bewusst macht, wie Sprache das Denken (gehörig) mitbeeinflusst.

„Die Sprache ist in der Lage, den Verstand zu verhexen“, Wittgenstein. Bei einer Katastrophe will man helfen. Doch wenn aus einem fließenden Strom eine reißende Welle wird, fühlt sich manch einer schnell verängstigt und bedroht, das darf man niemandem verübeln. Und wenn man – dadurch – offenbar inzwischen in eine Krise geraten ist, kann man sich in diesem Eindruck auch noch bestätigt fühlen, und geht zur Verteidigungshaltung über. Nicht einmal wegen irgendwelcher Flüchtlinge. Sondern wegen der Wortwahl.

Mindestens ebenso interessant war es, wie in den Medien klammheimlich vorausgesetzt wurde, dass „die Deutschen“ mit einreisenden Flüchtlingen ein Problem hätten, und fleißig in der Mottenkiste von Überfremdung und Fremdenhass gekramt wurde. So stolperte man thematisch prompt zum Rassismus und zu Neonazis, die das wohl als Aufruf verstanden haben, und (natürlich nachts im Dunkeln, im Vorbei- und Wegrennen) Molotowcocktails in Häuser warfen; quasi als dösige Schlagzeilenlieferanten auf mediale Bestellung.

Dafür konnte man gleich anschließend die Hilfseuphorie „der Deutschen“ bestaunen und beklatschen, die völlig überraschend „Fremde“ gar nicht ablehnen und abweisen. Eine Generation eben, die letztes Jahr in Berlin die Fußball-Weltmeister bejubelt haben: darunter Jérôme Boateng, Sami Khedira, Mesut Özil und Shkodran Mustafi, inzwischen ergänzt mit İlkay Gündogan, Karim Bellarabi und Emre Can.

Und dann war da noch die gewohnt stillschweigende Kanzlerin, die erst einmal abwartet, woher und wohin der Wind weht, um dann ihr Fähnchen darin flattern zu lassen. Mit einer „Mutrede“ meldete sich Angela dann schließlich zu Wort: „Wir schaffen das! Wir haben so vieles geschafft, wir schaffen das auch“. Wahrlich: welch mutige Worte.

Ähnlich mutig trieb Helmut Kohl vor 25 Jahren die Deutsche Einheit voran. Alle Bedenken u.a. eines Oskar Lafontaine, ein Vereinigungsprozess würde Jahrzehnte dauern und etliche Milliarden kosten, stampfte Kohl mit einem „Wir schaffen das!“ erfolgreich platt und rettete damit seine Wiederwahl. Im Jahr 1993 wurde daraufhin der „Solidaritätszuschlag“ eingeführt. Bis 1995 wurden zusätzlich die Mineralölsteuer. die Versicherungs-, die Tabak- und die Erdgassteuer erhöht. Parallel dazu explodierte die Neuverschuldung zwischen 1989 und 1993 von 28 Milliarden auf 154 Milliarden D-Mark: „Wir schaffen das!“.

Jedenfalls schien es so, als könne nur ein mittelschweres Erdbeben, ein Tsunami oder der Erstkontakt mit Außerirdischen das Flüchtlingsthema aus den Hauptschlagzeilen verdrängen. Von wegen. In den Redaktionen der Medien wurde entschieden, dass wir uns ab sofort hauptsächlich mit den Messwerten von Dieselabgasen beschäftigen sollen. Der unschlagbare Beweis dafür, dass die Zukunft unvorhersehbar ist.


Freitag, 18. September 2015

zukünftig sinnlos

Wenn es um die Dauerbaustelle Bildung geht, dann ist die herrschende Wissenschaftshörigkeit ein Teil davon. Man muss allerdings zugestehen, dass die Wissenschaften ein exzellentes Marketing betreiben, um regelmäßig auf sich aufmerksam und sich interessant zu machen. Am besten geeignet scheint dafür die Astronomie zu sein.

Neben „Wumm“- und „Peng“- und „Zisch“-Experimenten im schulischen Physik- und Chemieunterricht ist die Astromonie wohl „das“ Thema schlechthin, um Kinder für die Wissenschaft zu begeistern. Oder anders gesagt: Um uns schon im Kindesalter darauf getrimmt zu haben, was Wissenschaft (und nur(!) Wissenschaft) Atemberaubendes zu leisten imstande ist, um sich ihr in Ehrfurcht zu ergeben.

Dazu gehört auch, beim verzweifelten Herumzappen durch die Fernsehkanäle auf der Suche nach irgendetwas halbwegs Erträglichem regelmäßig in teils sonderbare Dokumentationen zu stolpern, in denen die essenziellen Fragen nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest gnadenlos durchgekaut werden – natürlich von Wissenschaftlern:

Der Weltraum. Unendliche Weiten. Planeten, Sterne, Galaxien, Raumsonden, Raumstationen, zukünftige Siedlungen auf dem Mond und auf dem Mars, außerirdisches Leben auf fernen Planeten, der „Urknall“ als die Geburt von allem, was überhaupt existiert. Wahnsinnig aufregend. Doch: Was soll das alles eigentlich?

Vor einigen Wochen wurden wir über die Entdeckung des Planeten „Kepler 452b“ informiert, einer „Erde 2.0“, womöglich mit Ozeanen, Flora, Fauna, eine Sensation. Seit dem hört man nichts mehr davon. Und selbst wenn. Anschließend wiederum durften wir erfahren, dass eine Raumsonde flüssiges Wasser auf dem Mars erspäht hat. Schon wieder eine Sensation. Und jetzt? Was sollen wir damit?

Und kürzlich versendete das seriöse ZDF auf einem seiner Nebenkanäle, „Neo“ oder „Info“, eine Dokumentation über unsere Zukunft auf dem Mond. Die Errichtung der ersten Mondbasis zu Forschungszwecken wurde darin waghalsig für das Jahr 2020 angekündigt. Man würde dann in den nächsten Jahrzehnten dazu übergehen, die Ressourcen des Mondes auszubeuten, Treibhäuser zu errichten, undsoweiter, um von Lieferungen von der Erde unabhängig zu sein. Nahezu zwangsläufig würden dann erste Kolonien errichtet werden, in denen immer mehr Menschen den Mond besiedeln. Wirklich faszinierend.

Doch die Frage, was das eigentlich soll, wird nicht einmal ansatzweise diskutiert. Die simple Aussicht auf das Machbare und Mögliche erstickt jede Frage nach dem Sinn bereits im Keim. Und wenn wir endlich wissen, wie das Universum entstanden ist, oder dass auf mindestens einem weiteren Planeten eine „höhere Form“ von Leben existiert: was dann? Was machen wir damit? Was stellen wir mit dieser Erkenntnis an? Haben Stephen Hawking und all seine Kollegen das auch schon geklärt?

Ein untrügliches Zeichen dafür, dass man es mit Wissenschaft zu tun hat. Oder wie Bazon Brock bereits erklärt hat: „Wissenschaft besteht nicht aus dem Lösen von Problemen, sondern aus dem Problematisieren selbst“. Und das verbinde man nun bitte mit der Kenntnis, dass es in der Menschheitsgeschichte nie zuvor dermaßen viele Wissenschaftler gab wie heute.


Montag, 17. August 2015

wundersam zivilisiert

Unser Denken (und damit immer auch: unser Verhalten) wird durch Medien aller Art beeinflusst. Dabei stürzt man sich seit einigen Jahren vornehmlich auf den Computer und das Internet. Doch der gehörige Einfluss des Fernsehens ist deshalb keineswegs unbedeutend geworden. Es wird nur nicht mehr darüber geredet. 

„Die große Show der Naturwunder“, moderiert von Frank Elstner in Co-Moderation von Ranga Yogeshwar, war bereits Thema in meinem Blog. Zuletzt, weil in dieser Show deutlich öfter und intensiver über Technologien gesprochen wird als über irgendwelche Wunder der Natur. Man hat den Eindruck, der Titel soll lediglich dazu dienen, den Zuschauer zum Einschalten zu verführen, um ihm etwas völlig anderes unterzuschieben.

Wenn es etwa kürzlich um das Naturwunder Licht ging, dann war das ganz offenkundig nur der Aufhänger dafür, um im TV-Studio ein Hochleistungs-Laser-Gerät zu demonstrieren. Ein Laserstrahl ist schließlich gebündeltes Licht, nicht wahr. Doch damit war der Bezug zur Natur auch bereits schon erledigt, der Rest war bloße Technologie.

Diese abendlich versendete Mogelpackung könnte Ranga Yogeshwar zu verdanken sein, der es nur mit Mühe schafft, einen Satz zu bilden, in dem der Begriff „Wissenschaft“ nicht vorkommt, und sich sogar noch am Ende, wenn der Abspann bereits läuft, schnell noch bei allen Wissenschaftlern bedankt, die diese Show unterstützt haben. Ganz, ganz wichtig so ein Hinweis.

Diesmal wurde u.a. ein Einspieler angekündigt: Ranga Yogeshwar reiste auf Kosten des Gebührenzahlers nach Sumatra und besuchte dort das Ureinwohnervolk der Talang Mamak, das mitten im tropischen Regenwald lebt. Besser gesagt: was dort davon noch übrig ist. Denn natürlich durfte der Hinweis auf den Raubbau an der Natur nicht fehlen, indem der Mensch den Regenwald gnadenlos abholzt. Also: „Der Mensch“ als solcher.

Jedenfalls wurde ein Medizinmann präsentiert, der aus den verschiedensten Pflanzen des Regenwaldes hochwirksame Medizin gewinnt und die heilende Wirkung allerlei Blätter, Baumrinden und Wurzeln erklärte. Der Regenwald quasi als natürliche Apotheke. Offenkundig schwer beeindruckt kommentierte Ranga Yogeshwar, sich dem gegenüber wie ein Analphabet zu fühlen.

Und man fragt sich, warum dem Zuschauer das dermaßen nachdrücklich unter die Nase gerieben wird. Dabei ist doch leicht vorstellbar, was hierzulande los wäre, wenn ein Medizinmann eine Praxis eröffnen und sein Wissen in Talkshows verbreiten würde: Mit Hohn und Spott würde man sich über diesen Hokuspokus lächerlich machen. Dafür würde die Pharmaindustrie schon sorgen. Nicht auszudenken man würde sich in Zukunft aus den Wäldern bedienen und alte Hausmittel verwenden, statt Tabletten und Kapseln aus den Chemielaboren zu schlucken: -zig Tausende Arbeitsplätze gingen verloren, das Bruttosozialprodukt würde in sich zusammenfallen, Deutschland wäre wohl am Ende.

Trotzdem ist auch das Volk der Talang Mamak „in der Moderne angekommen“, wie es heißt. Auch dieses Ureinwohnervolk im tiefsten Regenwald ist inzwischen mit Brillen, T-Shirts und Sandalen, Töpfen und Matratzen ausgestattet. Wie auch in Fällen anderer Urvölker auf dieser Welt beklagt man bei dieser Gelegenheit prompt den Verlust derer Kulturgüter: Da wird sich nicht mehr zur Jagd kriegsbemalt und wird nicht mehr getanzt, um irgendeinen Gott zu besänftigen, sondern das Ganze macht man jetzt allenfalls noch gegen Bares zur Show für Touristen.

Tragisch. Dabei dachte ich immer, genau deshalb betreibt man Entwicklungshilfe. Wohin sollten sich Ureinwohner denn bitte sonst entwickeln? Und wie man weiß, schicken Hilfsorganisationen erst einmal schulmedizinische, also: richtige Ärzte zu solchen Völkern, um deren Medizinmann vor den Augen seines Stammes lächerlich machen. So kommen Urvölker eben „in der Moderne an“, dadurch entwickeln sie sich dorthin, wo sie bitteschön hin sollen: Willkommen in der zivilisierten Welt.

Dazu gehören dann wohl auch Planierraupen und Bagger, die den Regenwald abholzen. Sumatra, so wurde der Zuschauer – wenn auch ohne Beweis – informiert, verliere „in jeder Stunde eine Waldfläche in der Größe von 88 Fußballfeldern“. Dafür legt man Palmölplantagen an so weit das Auge reicht. Und Palmöl stecke eben nicht nur in unserem Biosprit, sondern auch in jedem zweiten Supermarktprodukt.

Kurz gesagt: Wir, „die Verbraucher“, sind natürlich wieder schuld am Untergang der Welt und wurden entsprechend aufgerufen, beim Einkauf achtsamer zu sein. Und wenn wir das tatsächlich sind, dann werden wir schuld daran sein, dass in Malaysia und Indonesien die Wirtschaft zusammenbricht, und die Menschen, die sich doch gerade so schön zivilisiert entwickeln, wieder zurück müssen in die Reste des Regenwaldes.

Dabei sagte kürzlich noch der Gründer des „Herta“-Wurstwarenkonzerns, Karl Ludwig Schweisfurth, zum Elend der Massentierhaltung: „Man macht es sich zu einfach, das immer auf den Konsumenten zu schieben. Das ist eben das System“. Stimmt ziemlich genau. Und das hat einiges damit zu tun, was an der Börse stattfindet, Spekulation, Aktienkurse, Gewinnerwartungen undsoweiter – eine Parallelwelt für sich, meilenweit entfernt von jeder Realität.

Mittwoch, 12. August 2015

heldenhaft abgedreht

Bei der Vorstellung, was Kinderherzen höher schlagen lässt, hatte ich früher immer deutlich anderes im Kopf als „Star Wars“, „Transformers“ und „Spiderman“. Entweder haben sich die Zeiten leicht geändert oder ich habe mich geirrt. Das Positive an einem solchen Irrtum wäre der Irrtum an sich: Er würde die Erkenntnis bestätigen, dass man auch mit zunehmendem Alter immer noch dazulernen kann. Ob man will oder lieber nicht.

Mein Gott, ist unser Junge noch naiv. Vergleichsweise. Sogar jetzt noch, gerade die zweite Klasse Grundschule hinter sich gebracht, gerade acht Jahre alt geworden, hat er nicht geringste Ahnung, um was es sich bei „Star Wars“ handelt oder wer oder was „Spiderman“ ist. Im Kinderprogramm sieht er sich noch immer vorzugsweise „Biene Maja“ und „Heidi“ an. Sowohl aus pädagogischen, wie auch aus psychologischen Gründen fragte ich ihn kürzlich „Sag’ mal, weißt Du eigentlich irgendetwas über ‚Transformers’?“, und bekam darauf die Antwort „Ja, dass Du andauernd davon redest“.

In der Tat. Zuletzt in einem örtlichen Spielwarengeschäft bei der Fahndung nach einem Geburtstagsgeschenk für einen Freund unseres Jungen. Es gibt da die Einrichtung einer so genannten „Geschenkebox“: Die Geburtstagskinder suchen sich Spielwaren in einer gewissen Preisspanne aus, die Artikel werden in einer Box zwischengelagert, und die eingeladenen Kinder treffen daraus eine Auswahl. So ist sichergestellt, dass die oder der Beschenkte nur etwas geschenkt bekommt, dass sie oder er sich tatsächlich wünscht. Wenn auch auf Kosten jeder sonstigen wirklichen Überraschung.

Bei einem schweifenden Blick über die Inhalte solcher Kisten kann es einem die Nackenhaare kräuseln. Männliche Kinder im Grundschulalter wünschen sich offenbar vorwiegend Aktionsspielzeug in den Kategorien entsprechender Aktionsfilme und -TV-Serien, eben à la „Star Wars“, „Transformers“ und ähnlichen Kram. Manches davon ist kaum als Spielzeug identifizierbar. Man muss es einfach in Erwägung ziehen, weil man sich gerade in einem Spielwarenladen befindet.

Meine Synapsen stellen mir dabei spontan mehrere Fragen zur Verfügung. Etwa, wie Kinder in diesem Alter eigentlich mit derlei Zeug überhaupt erst einmal in Berührung kommen, tatsächlich über das heimische Fernsehen oder über Videospiele, und ob das den Eltern durch Unaufmerksamkeit entgeht oder unbedacht schnurz ist oder den Kindern gar bewusst zu Unterhaltungszwecken zur Verfügung gestellt wird.

Noch während ich versuchte, diesen Gedanken als Unsinn abzuschütteln, näherte sich mir in diesem Spielzeugladen von rechts ein Elternpaar mit ungefähr vierjährigem Jungen. Während sich die Mutter zielgerichtet entfernte, machte der Vater den Kleinen auf ein Regal aufmerksam, in dem mehrere gleichartige Spielzeugschusswaffen ausgestellt waren, so etwas wie eine Armbrust und die Nachahmung eines Maschinengewehrs, natürlich Plastikmüll, in grellgrün und orange gefärbt: „Schau mal, da!“, ermunterte der Mann den circa-4-Jährigen.

Das ist also, worauf Eltern ihre Kinder heute aufmerksam machen: „Schau mal, da!“. Diese Szene hat mich derart unfassbar beeindruckt, dass ich prompt eine Recherche anstellte, wie dieser Krempel den Kindern angepriesen wird. Und zwar handelte es sich dabei um „Zombie Strike Blaster“, in fünf verschiedenen Ausführungen: „Zombie Strike Eilte Double Strike“, „Zombie Strike Sidestrike“, „Zombie Strike Armbrust“, „Zombie Strike Slingfire” sowie „Zombie Strike Sledgefire“, letztere mit Doppellauf für zwei „Zombie Strike Darts“, die nacheinander abgefeuert werden können, ohne nachzuladen, Reichweite circa 20 Meter. Und da sagt ein Vater zu seinem etwa vierjährigen Jungen: „Schau mal, da!“.

Tatsächlich berichtete mir unser Junge bereits kurz nach der Einschulung von einem Mitschüler, dessen Utensilien komplett im „Star Wars“-Thema gehalten seien, beim Tornister (auch: Ranzen, Schulpack o.ä. genannt) angefangen, Federmäppchen, Sportbeutel, etc, etc. Da waren die Burschen gerade sechs Jahre alt. Wie kommt ein 6-jähriger dazu, „Krieg der Sterne“ überhaupt bereits zu kennen, einen Darth Vader, einen R2D2-Roboter, Kampfraumschiffe, Laserschwerter und den ganzen Kram?

Warum wird so etwas durch die Eltern nicht nur nicht bereits im Ansatz verhindert, sondern durch den Kauf solcher Schulutensilien auch noch gefördert? „Wenn dem Jungen das doch gefällt“, nicht wahr. Na, klar. Aber: Warum eigentlich? Oder kann einem das wirklich schnurz sein, wenn Kinder im Grundschulalter auf „lebende“ Kampfroboter abfahren, die sich aus Automobilen „transformieren“, und sich gegenseitig über den Haufen ballern? Was muss da bloß an Geräuschen aus dem Kinderzimmer zu hören sein, wenn ein Junge mit solchem Spielzeug hantiert, womöglch noch gemeinsam mit ein paar anderen Freunden?

Wie können Eltern das als normal empfinden? Wie können sich solche Eltern dann noch ernsthaft wundern, wenn der Nachwuchs durch leichte Reizbarkeit und Aggression auffällt, und durch Sprüche, die wenig altersgemäß sind? Doch es scheint, als sei das normaler als ich bisher dachte. Und einer aus dieser Generation wird einmal Bundeskanzler. Willkommen im Bildungszeitalter.

Samstag, 8. August 2015

diskutabel gepunktet

Ich weiß ganz genau, dass die Bewertung von Fähigkeiten und Leistungen, zum Beispiel mittels irgendwelcher „Punkte“ oder Schulnoten, völliger Unsinn ist. Natürlich wird das in aller Selbstverständlichkeit praktiziert. Trotzdem ist es Unsinn. Doch ich habe keine andere Wahl, als mich von der Praxis eines Besseren belehren zu lassen. Zumindest in der Frage, wie die Praxis das Denken beeinflusst. Denn daran kommt man nicht vorbei.

Vor circa einem Jahr wurde unser Junge alterskonform in die F-Jugend seines Fußballvereins hochgestuft. Ab dieser Jugend wird dann auch eine kleine Liga mit fünf/sechs regionalen Mannschaften betrieben. Doch die Resultate sämtlicher Spiele werden grundsätzlich „o.E.“ bewertet: „ohne Ergebnis“. Es ist also nicht möglich, einen Tabellenstand auszurechen, weder nach den einzelnen Spieltagen, noch am Ende.

Angeblich ist das Absicht. Die Jungs sollen eben immer noch den Spaß am Spiel im Vordergrund sehen, nicht den Wettkampfgedanken von Sieg oder Niederlage. Erfahrungsgemäß jedoch ist das blankes Theoriegeschwafel und offenbart ein eklatantes pädagogisches Unwissen. Gewonnen oder verloren werden die Spiele nämlich trotzdem, mitsamt der dazugehörigen Siegesfreude oder Frustration. Und gerade auch den Umgang mit Niederlagen darf man als Teil der Bildung betrachten, als Teil der Persönlichkeitsentwicklung.

Erstaunlicherweise sehen die Kinder das von sich aus ähnlich. Erstens sind Kinder nicht dumm, können die Tore zählen und wissen schließlich den Endstand, und zweitens wollen sie das auch genau so haben. Was das betrifft ist es völlig belanglos, dass die Ergebnisse offiziell ständig „o.E.“ lauten. Diese Praxis bewirkt allenfalls das Gegenteil, wenn sich die Kinder nicht ernstgenommen fühlen, als wären ihre Spiele nur ein bisschen Herumgekicke und hätten keine wirkliche Relevanz.

Erschwerend hinzu kommt noch, dass in dieser Altersgruppe neuerdings – jedenfalls offiziell – ohne Schiedsrichter gespielt werden soll. Die Kinder sollen jede strittige Situation unter sich ausmachen, ob ein Foul ein Foul war, ob der Ball tatsächlich in vollem Umfang die Linie überquert hat, und so weiter. Da diskutieren die Eltern am Spielfeldrand heftiger untereinander als die Kinder. Auf dem Spielfeld nämlich entscheidet der Bursche, der einen Kopf größer ist und drei Kilo mehr auf den Rippen hat als die anderen, ganz ohne Diskussion, mit dem Recht des Stärkeren.

Das Ganze hat eine interessante Parallele zur Schule. Aus beruflichen Gründen weiß ich, dass die Bewertung und Beurteilung menschlicher Leistungen durch so etwas wie „Punkte“ oder auch Schulnoten groben Unfug darstellt, weil das schlicht und einfach unmöglich ist. Außer natürlich, man glaubt ganz fest daran und macht es möglich, indem man es erzwingt. Doch dieses Fachwissen hin oder her: In der alltäglichen Praxis verhält es sich ein wenig anders. Nämlich ungefähr so, wie beim Fußball.

Kinder, die man erst einmal mit der Notenvergabe in Berührung gebracht hat, finden das mehrheitlich ziemlich toll. Der Vergleich gegenüber anderen ist dabei zwar auch ganz nett, doch hauptsächlich geht es Kindern um deren eigene Noten. Sie wollen beurteilt haben, was sie können. Und das ist eben, was durch Schulnoten versprochen wird.

In der dritten Schulklasse jedoch wird jetzt (jedenfalls in Bayern) auf das sonst übliche Zwischenzeugnis im Januar verzichtet. Statt dessen soll es lediglich ein „Lernentwicklungsgespräch“ mit der Klassenlehrerin geben, das gleichzeitig den Elternsprechtag ersetzt. Man fragt sich fast, ob hinter dieser Idee derselbe Kopf steckt, der sich den Unsinn für die Fußballjugend ausgedacht hat.

Montag, 3. August 2015

strukturell gewandelt

Gegen so genannte „wirtschaftliche Interessen“ ist nur wenig auszurichten. Wenn es darum geht, dass irgendwo viel Geld (oder: noch mehr Geld) zu machen ist, wird alles andere zweitrangig. Das ist es wahrscheinlich, warum Deutschland ein so wahnsinnig reiches Land mit wahnsinnig wohlhabenden Bürgern ist, ...die jedoch manchmal zu ihrem Glück gezwungen werden müssen.

Kürzlich wurde – ganz nebenbei – über die Nachrichten im Radio mitgeteilt, dass der „Allgäu Airport“ in Memmingen endlich ausgebaut werden darf. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat das jetzt entschieden. Wie üblich, stand dem Ganzen der notorische Protest uneinsichtiger Anwohner und dem Bund Naturschutz (BN) entgegen. Die einen sorgten sich um ihre Gesundheit wegen des Fluglärms, die anderen argumentierten wie immer mit Klimaschutz und Artenerhaltung. Beides richterlich als unbegründet verworfen und abgeschmettert. Wie üblich.

Und auch Deutschlands zweitgrößter Flughafen, nämlich der in München, darf jetzt endlich noch größer werden. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat nach etlichen Jahren nun auch die letzten Beschwerden gegen die Revision im Verfahren um die dritte Start- und Landebahn zurückgewiesen. Ein für allemal. Jetzt dürfen die Bagger anrücken. Auch hier sind sämtliche Bedenken und Einwände natürlich unbegründet. Ausschließlich begründet ist, wie immer, das wirtschaftliche Interesse, das offenbar über allem schwebt.

Das erinnert mich unweigerlich an meine Heimatstadt Duisburg und ihre enormen Probleme mit dem Strukturwandel, viel mehr noch mit den krampfhaften Versuchen eines Imagewandels: weg vom Image der grauen „Stadt Montan“, von Bergwerken, Stahlwerken und von Szenarien aus Schimanski-Tatorten, irgendwohin, wo Duisburg endlich als moderne, attraktive Großstadt wahrgenommen wird. Attraktiv vor allem natürlich für Investoren, irgendwann in der Folge dann auch für die Bürger. Auf dem Papier jedenfalls wäre das folgerichtig, es muss nur gut geplant sein.

Da versuchte man etwa, die Stadt Bochum mit ihrem Touristenmagneten „Starlight Express“ zu kopieren, stampfte für „Les Misérables“ ein eigenes Musicaltheater aus dem Boden, und vollführte damit eine recht peinliche Pleite. Für das Jahr 2010 holte man die „Love Parade“ mit stolzgeschwellter Brust nach Duisburg und muss jetzt noch froh sein, wenn nach der tragischen Katastrophe die Stadt anderswo im Land trotzdem noch eher mit Schimanski in Verbindung gebracht wird. Und dann hat man mitten in der City ein Spielcasino eröffnet. In einer Stadt notorisch am Rande der Pleite, mit einer Arbeitslosenquote von 13,2%, doppelt so hoch wie auf Bundesebene: Ein Spielcasino. Natürlich.

Ideen vom Feinsten für den Strukturwandel. Im gedanklichen Hamsterrad für die wirtschaftlichen Interessen, die irgendwann eventuell und möglicherweise vielleicht auch einmal den Bürgern zugute kommen würden sollen könnten. Vielleicht sollte man in Duisburg den Bau eines Flughafens ins Auge fassen. Das hat sogar in Memmingen funktioniert und kann problemlos durch alle Instanzen durchgeboxt werden. Der darf dann allerdings keinesfalls Horst-Schimanski-Airport heißen.

Freitag, 10. Juli 2015

reichlich verwässert

Man kann sich fast schon täglich fragen, auf welchem Stand die heutige Schulbildung eigentlich stattfindet. Kein Wunder, wenn Schulbücher und Arbeitsblätter rein aus Kostengründen über etliche Jahre hinweg durch die Klassen geschleift werden, auch wenn sich der Wissensstand der Menschheit längst darüber hinweg entwickelt hat. Eine „Bildungsoffensive“ als grob fahrlässige Fehlbildung wehrloser Kinder.

Da kam unser grundbeschulter Junge mit der Botschaft nach Hause, es gäbe im Heimat- und Sachkundeunterricht endlich ein neues Thema: Wasser. Also H2O ganz im Allgemeinen, in der Natur, in Flüssen, Seen, Meeren und in Wolkenform, Wasser aus der Leitung, abgefüllt in Flaschen, eingefüllt in Zahnputzbecher und Badewannen. Wasser, das Lebenselixier schlechthin. Nun gut: Neben Licht und Sauerstoff, versteht sich. Naja, und auch neben Wind und Wetter, neben Gravitation, Erdrotation, Neigungswinkel der Erdachse, Photosynthese und dem Gesamtökosystem.

Einen groben Umriss über Erscheinungsformen und Anwendungsbereiche des Wassers liefert dann sogar ein extra Arbeitsblatt, das den Zweitklässlern ausgehändigt wurde. Die Betonung muss hierbei auf „grob“ liegen. Das Ganze mutet ähnlich an, als würde man die Griechenlandkrise darauf reduzieren, dass es dabei um ganz viel Geld im Allgemeinen und den Euro im Speziellen gehe. Wie man mit solch einem Arbeitsblatt tatsächlich arbeiten kann, muss man dahingestellt sein lassen und auf die Kompetenz der Lehrkraft vertrauen.

Schließlich steht da wortwörtlich, man soll unbedingt Wasser sparen. Das ist, was unseren Kindern beigebracht wird. Natürlich: Auf unserem Planeten ist trinkbares Süßwasser nur begrenzt vorhanden. Und in Afrika gibt es nur ganz, ganz wenig davon. Dort müssen die Menschen Kilometer weit zum Brunnen laufen, und natürlich auch wieder zurück, für ein paar Liter Wasser, das hier bei uns einfach aus der Leitung kommt und sogar zur Klospülung verwendet wird. Man sollte deshalb also sparsam mit dem kostbaren Gut umgehen.

Grober Unfug, gelehrt auf der Grundschule, wahrscheinlich sogar planmäßig, nämlich per Lehrplan, überrollt von einer Bildungsoffensive. Tatsächlich nämlich ist dieser Fimmel des Wassersparens zum ernsthaften Problem geworden. Abwasserkanäle werden nicht mehr ausreichend durchspült, weshalb sich übelriechende Rückstände und Gase in der Kanalisation bilden, die den Beton der Rohre zersetzen. Städte und Gemeinden geben Unsummen dafür aus, die Kanäle mit Tausenden Litern Wasser aus Hydranten zu fluten. Das kostet. Und das erhöht erstens die Wasserpreise und macht zweitens das Wassersparen zur Farce.

Und das noch ganz abgesehen davon, dass der Wassergeiz den Grundwasserspiegel steigen lässt. In Berlin zum Beispiel in den letzten 25 Jahren um einen ganzen Meter. Das wiederum bedroht die Fundamente etlicher Gebäude, unter anderen des Roten Rathauses und des Konzerthauses am Gendarmenmarkt. Die Behebung dieses Problems schätzt man auf 100 Millionen Euro in den nächsten 50 Jahren. Und zwar: …weil Wasser gespart wird.

In voller Ignoranz dieses besseren Wissens wurde unser Sohn nun also amtlich schulisch belehrt, dass Wassersparen unheimlich wichtig sei. So muss man als Eltern gegen die Autorität einer Lehrkraft ankämpfen, was bei Kindern im Grundschulalter ziemlich schwierig ist. Man könnte sich natürlich auch direkt an die Lehrkraft wenden, mit der dringlichen Bitte, den Unsinn mindestens zu relativieren und den Kindern auch die Nachteile des Wassersparens zu erklären. Unter anderem. Denn es gibt eine ganze Menge solchen Unfugs, der den Schulkindern gelehrt wird.

Allerdings gilt man dann schnell als so genannte „Helikopter“- bzw. „Hubschrauber-Eltern“, die sich besserwisserisch in die pädagogischen Angelegenheiten der Schule einmischen. Alternativ erklärt man den Kindern das bessere Wissen höchstpersönlich selbst, idealerweise im Rahmen der Hausaufgaben. Das Dumme daran ist, dass bei der nächsten Lernzielkontrolle nur das alte, falsche Wissen die volle Punktzahl bringt. Ein Kind, das das richtigere Wissen hat, bekommt Punktabzüge und eine schlechtere Note. Willkommen in der Bildungsrepublik!

Montag, 6. Juli 2015

erlebnisreich gezwungen

Im Zuge der unaufhaltsamen Digitalisierung unserer Welt sind natürlich auch die Kinder davon mitbetroffen. Laut irgendeiner Studie sollen angeblich rund zwanzig Prozent der Dreijährigen(!) bereits regelmäßig im Internet surfen. Es gibt Eltern, die das gut finden und fördern. Andere finden das erschreckend. Und die Wahrheit liegt wahrscheinlich und wie immer irgendwo dazwischen.

Es ist gerade ein paar Monate her, da wurde in Expertenkreisen heftig diskutiert, ob und wenn wie oft und wie lange Kinder sich mit Computer und Internet beschäftigen sollten, und ob dabei die analogen Erfahrungen nicht zu kurz kämen. Analoge Erfahrungen... der Versuch, einen Begriff zu etablieren, der das Gegenteil von digitalen Anwendungen darstellen soll. Dieser Versuch ist nicht ganz gelungen.

Analoge Erfahrungen soll quasi heißen: „in echt“, irgendwas machen, und zwar selbst! Basteln, musizieren, noch besser: draußen in der freien Natur, auf dem Spielplatz oder Bolzplatz, noch besser: irgendwas im Wald, Geräusche und Gerüche aufnehmen, das wäre alles „analog“. Also im Gegensatz zum nur passiven Konsum digitaler Medien, Computerspiele, YouTube, Facebook und das ganze. So soll das begrifflich zumindest gemeint sein.

Einerseits befinden sich Eltern damit ständig im Erlebniszwang. An vergleichsweise freien Nachmittagen, die ausnahmsweise nicht vollgepackt sind mit Hausaufgaben. Erst recht an Feiertagen und Wochenenden muss etwas unternommen werden, ob man will oder nicht, bei jedem Wetter. Notfalls müssen sich alle Beteiligten eben dazu zwingen.

Wie steht das Kind denn sonst schließlich da, wenn die Lehrerin in der Morgenrunde fragt: „Und was habt ihr am Wochenende gemacht?“. Wehe, wenn es da nichts Besonderes zu erzählen gibt. Da rümpfen nicht nur die Mitschüler die Nase, das notiert sich auch die Lehrerin gleich in ihr Notizbuch. Das wird jedenfalls von Eltern gemeint.

Erlebniszwang erst recht auf Geburtstagspartys: Den eingeladenen Kindern noch ein Aha-Erlebnis zu bieten ist jedoch eine echte Herausforderung. Man muss fast schon eine Hüpfburg aufbauen, am besten eine ganze Kirmes, damit die Party nicht zum müden 08/15-Ereignis wird. Und prompt sind die nächsten Eltern gefordert, das noch irgendwie zu übertreffen.

Andererseits beinhalten analoge Erfahrungen natürlich auch ein immenses Gefahrenpotenzial. Man stelle sich vor, womit sich Kinder so alles infizieren können, wenn sie draußen spielen, mit den Fingern im Dreck und in Pfützen. Nicht auszudenken, Kinder würden noch auf Bäume klettern, wie früher. Schließlich könnten sie herunterfallen und sich weh tun. Wie früher. Schlimmer noch, sie spielen irgendwo Fußball, wo Fensterscheiben zu Bruch gehen können, oder machen Klingel- oder sonstige Lausbubenstreiche. Dafür werden die Eltern heute gleich verklagt. Dann sollen die Kleinen doch lieber in ihrem Zimmer bleiben, wo nicht viel passieren kann.

Das Ergebnis ist, dass heute angeblich 70% der Kinder zwischen 8 und 12 Jahren höchstens ein Mal pro Woche draußen spielen. Um die 20% haben noch nie einen Bauernhof besichtigt und weitere 20% sind noch nie auf einen Baum geklettert. Es können mehr Kinder auf einem Bild einen Roboter erkennen als eine Eule, und können Tastenfunktionen von Apparaten besser zuordnen die Blätter von Bäumen.

Die Frage ist, wie vieles davon bedauert und beklagt, und was von wem und warum dafür getan und gelassen wird. Rund die Hälfte der Eltern ist der Ansicht, dass Kinder unter 14 Jahren ohnehin nicht unbeaufsichtigt draußen spielen sollten. Der Radius um das eigene Zuhause, in dem Kinder spielen, ist seit den 1970er Jahren um 90% geschrumpft.

Alles rein sicherheitshalber, versteht sich, aus Angst und Sorge. Wehe, das Kind gerät außer Sichtweite. Da kann es doch besser in seinem Zimmer an seinem Computer prima lernen, mit Lernspielen, in Lernportalen, undsoweiter. Das ist schließlich alles von Pädagogen empfohlen und vom TÜV gesiegelt. Und außerdem ist dabei der Lernerfolg viel leichter überprüfbar als bei analogen, „echten“ Erfahrungen.

Montag, 29. Juni 2015

zweifach gebildschirmt

Es gibt Begriffe, die werden höchst unauffällig in unseren Sprachgebrauch eingeschleust und verwendet, als wären sie schon immer da gewesen. Mit anderen Begriffen wird das zumindest versucht. Manche davon sollen irgend etwas wahnsinnig Neues bezeichnen, das meist nur ein mittelalter Hut ist. Der Begriff „Second Screening“ gehört neuerdings auch mit dazu. 

Die Elektropopgruppe „Kraftwerk“ hat seit den 1970er Jahren einen immensen Einfluss auf die moderne Musik weltweit. Im Gegensatz zu weniger bedeutsamen Musikern verfolgt „Kraftwerk“ ein ganz bestimmtes Leitmotiv: „Die Menschmaschine“. Die Abhängigkeit des Menschen von Maschinen aller Art, die er selbst erschaffen hat, die Roboterisierung und Computerisierung unseres Lebens.

Während ihres Konzertes in der Londoner Tate Modern im Jahr 2013 machten sich zahlreiche Besucher eher unbewusst zum Teil der Performance, indem sie mit ihren Smartphones am ausgestreckten Arm Fotos und Videos von den Künstlern machten. Den Blick also nicht auf die Bühne gerichtet, sondern auf den Bildschirm eines elektronischen Apparates. Das Erleben des Konzertes vorgefiltert durch eine digitale Linse. Man fragt sich, warum die Besucher eigentlich überhaupt persönlich anwesend sein wollten.

Mir kam das in Erinnerung, weil gerade die Queen für ein paar Tage in Deutschland war. Genauer gesagt: Es war die Berichterstattung über den Besuch von Königin Elisabeth II. in Frankfurt am Main, Hunderte von Schaulustigen säumten den Roten Teppich vor dem Römer und warteten in der Mittagshitze satte drei Stunden lang auf das Vorbeischreiten der Queen, um zu winken, zu rufen und zu jubeln. Doch ein Mann in dieser Menge drehte sich genau in diesem Moment um.

Nach drei Stunden Warterei kehrte er der Königin den Rücken zu, gerade als sie auf seiner Höhe war. Nur so war es ihm schließlich möglich, ein „Selfie“ zu machen: Das eigene Gesicht im Bild – und hinter ihm die Queen. Toll. Das sagt einiges darüber aus, was man heute so wichtig nimmt. Vor allem sich selbst und zwar im Vordergrund. Da muss sogar die englische Königin digital im Hintergrund bleiben.

Früher sagte man bei solchen Gelegenheiten: „Ich war dabei! Ich habe das mit eigenen Augen gesehen!“. Das kann man heute nicht mehr und ist auch nicht so wichtig. Man hat statt dessen ein „Selfie“ gemacht, auf einem Chip gespeichert und auf seine Facebook-Seite gesetzt. Es sieht dann immerhin so aus, als sei man wohl dabei gewesen. Und vielleicht erinnert man sich noch ganz genau, wie man sich im entscheidenden Moment umgedreht und nichts gesehen hat.

Da kursiert seit relativ Kurzem der Begriff „Second Screening“. Doch das meint noch nicht einmal eine solche Second-Hand-Wahrnehmung der persönlichen Umgebung über einen digitalen Bildschirm. Sondern man will das visuelle Multitasking bezeichnet haben, das gleichzeitig-abwechselnde Begucken von mindestens zwei, mitunter sogar mehreren Displays.

Die eigene sinnliche Wahrnehmung ist in diesem Begriff also gar nicht erst enthalten. Vielleicht ist das auch besser so. Vielleicht wäre sie gerade einmal der „Fourth“ oder „Fifth Screen“. In jedem Fall: mit nachgeordneter Priorität. Am wichtigsten ist, was gerade auf einem Bildschirm zu sehen ist. Das passt dann auch perfekt zum „Selfie“ mit der Queen: „Wenn ich hingesehen hätte, hätte ich sie sehen können, vielleicht wäre es sogar zum Augenkontakt und zu einem kleinen Smalltalk gekommen. Aber dann hätte ich ja jetzt kein Selfie“. Man muss eben Prioritäten setzen.

Freitag, 19. Juni 2015

sprachlich verstolpert

Wie meinte Wittgenstein: Die Sprache ist in der Lage, den Verstand zu verhexen. Doch so weit muss man gar nicht gehen. Manchmal weiß man wirklich nicht mehr, ob man über sprachliche Stolperer amüsiert schmunzeln oder sich über das Verdummungspotenzial aufregen soll. Und außer diesem Entweder-Oder gibt es da natürlich noch die fließenden Grenzen.

Ein einmaliger sprachlich verrutschter Ausrutscher gelang kürzlich dem ARD-Korrespondenten in Brüssel, Rolf-Dieter Krause, als er zur andauernden Griechenland-Problematik meinte: „Doch geschehen ist seit dem nichts. Im Gegenteil“. Das Gegenteil von Nichts. Das ist so grandios, so etwas kann nur aus dem Moment heraus passieren. Das könnte nicht einmal Dieter Bohlen absichtlich texten.

Apropos andauernd und Musik: Ein seltsamer Dauerbrenner im Radio ist das Lied „New York, Rio, Rosenheim“.von der Combo „Sportfreunde Stiller“, in dem es beispielhaft verkorkst heißt: „Die Welt ist groß genug - wir sind nicht allein“. Welch Glück, dass Lyrik nicht unbedingt erklärt werden muss. Doch für vertonten Tiefgang sind ohnehin andere zuständig.

Von grober Seltsamkeit ist auch der Refrain eines neuen Liedes von Sarah Connor aus Oldenburg in Oldenburg, von der ich früher dachte, sie würde die weibliche Hauptrolle in den „Terminator“-Streifen spielen: „In all Deinen Faaabn, mit all Deinen Naaabn“ trällert sie da. Das Weglassen des „r“ (Farben/Narben) ist mindestens fragwürdig. Nicht zuletzt, wenn das von einer Sängerin stammt, die auch die deutsche Nationalhymne in „Brüh im Glanze…“ umtextete.

Wie Sprache nach Wittgenstein den Verstand verhexen kann, veranschaulicht auch die Dokumentationsreihe eines Nachrichtenkanals auf dramatische Weise mit dem dramatischen Titel „Klima extrem – Wetter außer Kontrolle“. Dramatische Belege des globalen Klimawandels, der natürlich am Wetter zu erkennen ist. Für den Fastfood-TV-Konsum setzt man Klima und Wetter kurzerhand gleich. Und Letzteres ist demnach inzwischen sogar „außer Kontrolle“. Wohl im Gegensatz zu früheren Zeiten vor dem Klimawandel.

Bei dieser Thematik gehört unbedingt noch die Wetterfee des Ersten Deutschen Fernsehens, Claudia Kleinert, erwähnt: In einer kürzlichen Wetterprognose für Nordrhein-Westfalen kündigte sie „lokale Gewitter“ an, deren Entladungen sich jedoch örtlich nicht exact vorhersagen ließen: „Es hängt davon ab, wo Sie sind“. Das Wetter hängt davon ab, wo man ist. Wer hätte das gedacht.

Im Grunde könnte man jede Wettervorhersage auf diesen einen Satz beschränken. Tut man aber nicht. Im Gegenteil. Wenn man sich nachts „Die Tagesschau vor 25 Jahren“ ansieht, fragt man sich, wie man damals bloß mit dermaßen wenig Wetter ausgekommen ist. Oder: Warum man sich heute der Wetterlage dermaßen ausführlich widmet. Vielleicht, weil man aus dem Wetterbericht und der Wettervorhersage inzwischen sprachlich eine -Prognose gemacht hat. Unter anderem. Siehe auch hier: "Das Geschäft mit dem Wetter" (NDR)


Mittwoch, 3. Juni 2015

entlarvend geblattert

Na, endlich. Da hat der Blatter Sepp nun doch den Rücktritt vollzogen. Das ganze Trara um den Weltfußballverband („FIFA“) war gleich an zwei Abenden die Topmeldung der „Tagesschau“. Entweder regiert der Fußball tatsächlich heimlich die Welt, oder an diesen zwei Tagen ist weltweit ansonsten nichts wichtigeres passiert. Alles eine Frage der subjektiven Relativität.

Bei Helmut Kohl waren es seinerzeit sechzehn Jahre, bis man ihn nicht mehr sehen konnte. Jedenfalls nicht als Bundeskanzler. „Sechzehn Jahre sind genug“ war damals der erfolgreiche Slogan der Opposition. Joseph Blatter saß ein Jahr länger im Chefsessel der FIFA. Man konnte und wollte ihn einfach nicht mehr sehen. Doch weil das als Argument selten ausreicht, hat man sich welche gesucht: Intrigen, Korruption, Skandale. Der Fußball als sprichwörtliche Nebensache.

Sogar das öffentlich-rechtliche ZDF ließ sich dazu hinreißen, die USA in dem ganzen Theater als selbsternannte Weltpolizei darzustellen. Schließlich forderte sogar die US-Jusitzministerin Loretta Lynch den Rücktritt von Blatter. Doch erst als das FBI die mediale Bühne betrat, mitsamt Hausdurchsuchungen, sogar in der FIFA-Zentrale, da war es dann soweit.

Und der Laie wundert sich: Was haben eigentlich die USA und das FBI mit der Schweizer FIFA und deren Vereinsvorsitzenden zu tun? Wie zu erfahren war, reicht es allein schon, dass vermutete Korruptionsgelder vermutlich in US-Dollar gezahlt wurden, damit sich die USA als legitimiert betrachten, um global aktiv zu werden, wo auch immer, gegen wen auch immer. Doch das ist nicht einmal der Knackpunkt an der Sache.

Der Knackpunkt liegt irgendwo rund um die Frage: Was macht eigentich Edward Snowden? Wenn das US-amerikanische FBI beispielsweise E-Mail-Korrespondenz und Kontoauszüge als Beweismittel anführt… hat auch da wieder die NSA herumspioniert oder hat das FBI einen Spitzel in die FIFA eingeschleust, getarnt als Platzwart, oder – kurz gefragt – warum fragt hier eigentlich keiner nach dem Datenschutz?

Das scheint gerade schnurz zu sein, wenn der Blatter Sepp einfach nicht anders aus seinem Sessel zu vertreiben war. Aber wenn es um uns selbst geht, verstehen wir keinen Spaß mit dem Datenschutz. Auf Schritt und Tritt verfolgt, nicht nur von „Google“, „Facebook“ & Co., auch durch Kredit- und Payback-Karten, über das Smartphone und das Kfz-Navigationssystem, und so weiter.

Und jetzt diskutiert man schon wieder über die Vorratsdatenspeicherung, mit der jedes Telefonat jedes Bürgers gespeichert wird, mit welcher Rufnummer telefoniert, wie lange, von welchem Aufenthaltsort aus, nicht nur auf Verdacht, sondern ganz ohne und grundsätzlich, auf Vorrat eben, nur rein sicherheitshalber. Der eine oder andere Handtaschenräuber konnte dadurch schon gefasst werden, heißt es.

Doch auch diese Sorgen und Ängste haben mindestens zwei Seiten. Kein Mensch hat auch nur das geringste Problem damit, seinen überflüssigen Verpackungsmüll in einem „Gelben Sack“ vor der eigenen Haustüre abzustellen – obwohl dieser Beutel so durchsichtig ist, dass der Inhalt mindestens die Anzahl und das Alter der Familienmitglieder mitsamt deren Ernährungs- und Lebensgewohnheiten verrät, öffentlich am Straßenrand einsehbar. Womöglich ist man so auch Sepp Blatter auf die Schliche gekommen.

Dienstag, 26. Mai 2015

gedenglischt verkürzt

Dass Kinder heute immer früher gezwungen werden, irgendetwas Bestimmtes zu lernen, kann man kritisieren. Wenn etwa zunehmend von „gestohlener Kindheit“ gesprochen wird, und ein Kinderarzt ein Buch mit dem Titel „Lasst Kinder wieder Kinder sein“ veröffentlicht. Doch dass heute bereits in der Grundschule Englisch gelehrt wird, scheint fast schon überlebenswichtig zu sein.

Natürlich hatte auch ich zum Pflichttermin die Übertragung des Eurovision Songcontest eingeschaltet, der früher einmal Grand Prix Eurovision de la Chanson hieß. Der französische Titel wurde wahrscheinlich irgendwann zu kompliziert. In einer Zeit, in der elektronisch versendete Nachrichten, per SMS (wie altmodisch) oder (viel hipper) per „Twitter“ und „WhatsApp“ nur aus ein paar Wörtern bestehen dürfen, und deshalb auch noch alles mögliche wild abgekürzt wird. Man muss schon mit der Zeit gehen. In meinem Alter hat man mitunter den Eindruck, man wird hinterrücks von ihr überholt.

Ganz zeitgemäß folgt man so dem Beispiel „Die Abk. für Abk. lautet Abk.“. Da wäre ein GPEDLC doch kaum zumutbar. Also versetzen wir das ins viel zeitgemäßere Englisch, machen einen zeitgemäß kurzen, knackigen Titel daraus, der sich ebenso zeitgemäß praktisch abkürzen lässt: „ESC“. Wenn man die Gesamtveranstaltung schon dermaßen aufgeblasen hat, muss auch das Gerede und Getippe erleichtert und beschleunigt und der Aufwand dafür auf ein Minimum reduziert werden. Wir haben schließlich alle nur eine begrenzte Lebenszeit.

Immerhin lässt man die Veranstaltung weiterhin (noch) von Peter Urban kommentieren, der mit seinen teils angenehm ironischen und süffisanten Anmerkungen für meine Generation mindestens genauso dazu gehört, wie die Punktevergabe. Ein letztes mediales Relikt alter Zeiten.

Daher befürchte ich auch, dass den Verantwortlichen der Spagat zwischen Urzeit und Neuzeit irgendwann zu groß werden wird. Es wirkt schon etwas seltsam, wenn der inzwischen 67-jährige Kommentator einen Interpreten als „Gämer“ vorstellt, der nebenbei auch „Ständ-Ab-Sörfen“ würde, was immer das ist, und darauf hinweist, dass der Zuschauer sich natürlich auch für das „Smahtfon“ eine „Äpp daunloden“ kann, um für seinen Favoriten zu „woten“, und den sendungsbegleitenden „Häschtäg“ nennt, sicher ist sicher.

Doch auch sonst wird an allen Ecken und Enden fleißig „gebassert“ und werden Antworten in Quiz-Shows „eingelockt“. Und das sogar in Veranstaltungen, die explizit für Kinder ausgewiesen sind. Vielleicht sollten Lehrer ihren Unterricht damit zeitgemäß aufpeppen: „Soll ich deine Antwort einloggen?“.

Wie auch eine der unvermeidlichen Castingshows („The Voice Of Germany“) extra auch „for Kids“ gesendet wird. Nur, dass es hier auch noch so etwas wie „Bleint Odischens“ und „Kläsches“ und „Bättels“ gibt, und sich ständig irgendjemand „gefläscht“ fühlt. Man will gar nicht erst wissen, wie sich die „Tällents“ wohl „Bäckstädsch“ unterhalten. Und „gewotet“ wird natürlich auch hier.

Bei dem ganzen verdenglischten Sprachgeschwurbel heutzutage ist es ebenso wohltuend wie wundersam, dass man von „sozialen Netzwerken“ spricht. Nein, wirklich. Gut, dass die Kinder so früh wie möglich Englisch lernen. Das ist sicher weitaus praktischer und zumutbarer als das ganze Denglisch einzudeutschen.

Dienstag, 19. Mai 2015

vertoppt gemodelt

Das Körpergewicht des Bundesbürgers scheint zurzeit wieder thematisch in Mode zu sein. Im doppelten Sinne. Denn jetzt ist die Modeindustrie an der Reihe, mit ihrem Ableger der Textilgestaltung im Allgemeinen, und deren Präsentation durch so genannte Models im Speziellen. Und dieser Zusammenhang ist gar nicht so plausibel, wie es vielleicht erst einmal scheint.

Ausgerechnet jetzt, wo Medienberichten zufolge wieder die jährliche Sendereihe „Germany’s Next Topmodel“ ausgestrahlt wird, und kurz vor der Kürung der Siegerin, wird doch tatsächlich eine Studie veröffentlicht, wonach (natürlich: unter anderem) dieses Sendekonzept mitverantwortlich für das Krankheitsbild der Magersucht unter jungen Frauen sei, sogar bereits im Teenageralter.

Und das, wie gesagt, ausgerechnet jetzt. Kurz vor dem großen Finale, das wie üblich als großes TV-Event angesetzt war, wird plötzlich wieder an allen Ecken und Enden über Magersucht diskutiert, über die Folgen und die Ursachen, und wird reflexartig über diese Castingshow hergefallen, die körperliches Untergewicht als Erfolgseigenschaft suggeriert. Ohne jede Rücksicht auf die Arbeitsplätze, die von dem Gesamtproblem abhängen, in der Heidi-Klum’schen Produktionsfirma, in der Sendeanstalt, in all den Arztpraxen und Psychiatrien.

Damit nicht genug. Ausgerechnet das große Finale, musste nach nicht einmal einer Stunde abgebrochen und im TV-Kanal durch einen Spielfilm ersetzt werden. Eine Bombendrohung soll die Evakuierung der Festhalle erzwungen haben. Ein Schelm, der auf den Gedanken kommt, hier würde es sich lediglich um eine clevere PR-Intervention handeln, um die negative Begleitdiskussion über Magersucht durch spektakuläre Schlagzeilen zu ersetzen. Man könnte auch munkeln, dass der TV-Sender nach einer guten halben Stunde zum ersten Mal die desaströse Einschaltquote abgefragt und Plan B aus der Schublade geholt hat.

Das alles jedoch geht haarscharf am Kern der Angelegenheit vorbei. Und dieser Kern verbirgt sich irgendwo in der Frage, was eigentlich ein „Topmodel“ ist, und warum man das weiß, warum man darüber informiert ist, was das ist. Obwohl ich ein Mann bin, waren mir zwar verschiedene Topmodels immer bekannt, die meisten allerdings lediglich namentlich. Aber: warum? Und warum kennt man zwar weibliche Topmodels, doch von männlichen weiß man gerade einmal, dass es sie geben soll, allerdings ohne „top“ zu sein.

Natürlich: Ein Mode-Model ist ein Beruf. Soweit ich weiß, kein Beruf, für den man eine konventionelle Ausbildung oder ein Studium benötigen würde. Man bzw. Frau muss lediglich irgendein unbestimmbares „Etwas“ haben, das angeblich nicht einmal nur an bloßer Schönheit festzumachen sein soll. Und solche, die das noch besonderere „Etwas“ haben, und den Ikonen der Modeindustrie ganz besonders gefallen, sind „top“. Doch woher weiß man das als Otto Normalbürger? Warum ist man darüber informiert?

Man kennt noch nicht einmal den „Mitarbeiter des Monats“ im Elektrogeschäft um die Ecke, geschweige denn, ob dort überhaupt ein solcher gekürt wird. Und weil man ihn nicht kennt, weiß man auch nichts über sein Körpergewicht und es interessiert einen auch nicht. In der Regel wird man auch den Sumo-Weltmeister nicht kennen und (deshalb) auch sein berufsspezifisches Übergewicht nicht thematisieren. Aber man kennt eine ansonsten wildfremde Frau, die hin und wieder, alle paar Wochen, irgendwo auf dieser Welt über einen Laufsteg wandert. Warum eigentlich?

Freitag, 8. Mai 2015

natürlich verwundert

Hier und da wird zwischendurch immer einmal wieder darauf hingewiesen, dass Quiz-Shows im Fernsehen bitte keinesfalls als Veranstaltungen missverstanden werden dürfen, in denen es um Wissen oder gar um Bildung gehen würde. Nein. Es geht um nichts weiter als Unterhaltung. Um nackte, bloße, pure Unterhaltung. Und wie man weiß, kann Unterhaltung ziemlich naiv und dümmlich sein – als Wissen und Bildung verpackt.

Es gibt eine gewisse Anzahl von Prominenten, die man fast schon nicht mehr sehen kann. Prominente, die von einer Talkshow und Quizshow zur nächsten durchgereicht werden. Einige davon sind wahrscheinlich überhaupt nur deshalb prominent. Man kann allerdings wohlwollend darüber hinwegsehen, weil Prominente dazu verdonnert sind, erspielte Gewinnsummen an gute Zwecke zu spenden. Ob sie wollen oder nicht.

Beispielsweise wurde doch kürzlich vom Ersten Deutschen Fernsehen „Die große Show der Naturwunder“ ausgestrahlt. Nach dem üblichen austauschbaren Strickmuster dürfen Prominente versuchen, verschiedene Fragen aus verschiedenen Wissensgebieten zu beantworten. Dennoch (siehe oben) handelte es sich hier keineswegs um ein Quiz über Wissen und Bildung, wie Verantwortliche ständig betonen. Sondern das war nur pure Unterhaltung. Man darf das einfach nicht vergessen.

Diskutabel könnte das Ganze jedoch schon dadurch sein, dass in diesem Fall Ranga Yogeshwar als Co-Moderator neben Frank Elstner eingesetzt war. Yogeshwar ist allerdings eher nicht als Unterhaltungskünstler bekannt und versucht auch gar nicht erst, diesen Eindruck zu erwecken. Zum einen übernimmt Yogeshwar in dieser Show den Part ausgedehnter Erklärungen zu den Auflösungen, zum anderen ist jedes zweite Wort in seinem Sprachschatz entweder „Wissenschaft“ oder „Wissenschaftler“. Dennoch soll sich das Ganze (siehe oben) nicht um Wissen drehen. Das soll Unterhaltung sein. Nicht, dass wir das vergessen.

Das Warten auf den Unterhaltungsaspekt endete in einer seltsamen Sackgasse, allerdings natürlich abhängig davon, was man als unterhaltsam betrachtet. Und die Seltsamkeit resultierte aus der Suche nach den „Naturwundern“ in dieser „großen Show der Naturwunder“. Thematisch ging es um Roboter, die sich „schlangenähnlich“ bewegen, jedoch selbstredend von Ingenieuren viel besser konstruiert als es jede natürlich gebürtige Schlange beherrscht. Es ging um Beton, der in der Natur nicht vorkommt, sondern ein künstliches Laborprodukt ist. Es ging um Bohrer, die in Operationssälen von Chirurgen verwendet werden. Und es ging um ein „spannendes Experiment“ (vielmehr: um eine Studie) mit dem Ergebnis, dass Kinder eher zum Lügen neigen, wenn sie selbst belogen werden; jedenfalls wenn das in einem Labor unter Laborbedingungen passiert. Nur von „Naturwundern“ weit und breit keine Spur. Außer man hält diese Themen dafür. Oder es ist einem schnurz und macht sich darüber keine Gedanken, sondern lässt sich einfach unterhalten. Um Denken und Wissen geht es schließlich nicht. Vergessen wir das bitte nicht.

Wenn es nach den Beschwörungen der Verantwortlichen solcher Shows nicht um Wissen geht, sondern um bloße Unterhaltung, dann wird offen zugegeben, dass der Anschein von Wissen lediglich als Verpackung dient. Ungefähr so, wie an unseren Schulen. Nur, dass hier weniger auf Unterhaltung Wert gelegt wird, sondern auf (Lehr-) Planerfüllung.

Wie ich bereits an verschiedenen Stelle angemerkt hatte: Information ist mittlerweile zu einer Ware geworden. Und Waren haben es an sich, dass sie verkauft werden müssen. Eine attraktive Verpackung gehört mit dazu. Und die Begriffe „Wissen“ und „Bildung“ sind offenbar äußerst attraktiv und verkaufsfördernd. Die Anhäufung von Wissen als Konsumprodukt, zeitgemäß häppchenweise und als Fast Food.

Donnerstag, 23. April 2015

gewichtig überlastet

Im Grunde sollte man seinen Fernseher verschenken. Oder zumindest erst einmal in den Keller bringen. Fürchterlich, in was man so alles hineinzappt, auf der verzweifelten Suche nach etwas halbwegs Konsumierbarem am noch relativ frühen Abend. Und dann fallen auf irgendeinem Kanal plötzlich doch ein paar Schlüsselworte, die mein näheres Interesse wecken.

Es lag nicht am Breitbildformat, dass beim Zappen eine ziemlich schwergewichtig erscheinende, junge Frau auf dem Bildschirm auftauchte. Wie erklärt wurde, wog sie um die einhundertachtzig Kilogramm. Diese Angabe erschien anhand des optischen Eindrucks glaubwürdig. Die junge Frau hatte ein junges Kind auf dem Arm, offensichtlich bereits ebenfalls übergewichtig, eine Dreijährige, die angeblich das Durchschnittsgewicht eines siebenjährigen Kindes besaß.

An solchen Stellen frage ich mich standardmäßig, warum dem fernsehenden Volk so etwas in die Augen gesendet wird. Doch diese Frage ist rhetorisch. Man weiß es schließlich. Es geht um Geld. Es geht um Werbeeinnahmen aus den Werbeblöcken. Und diese Werbezeit wird nur gebucht, wenn die Einschaltquoten stimmen. Also wird irgendetwas gesendet, das gute Quoten bringt. Mitunter getarnt als Reportage oder Dokumentation. Wie in diesem Fall.

Die Schlüsselworte, die mich dazu brachten, nicht sofort weiter zu zappen, fielen in der Erklärung der jungen Mutter, ihr enormes Übergewicht sei – laut ärztlicher Auskunft – ein Genfehler. Und den hätte sie an ihr Töchterchen weiter vererbt. Die Gehirne von Mutter und Tochter würden deshalb permanent „Hunger! Hunger!“ rufen. Ein wirklich tragisches Schicksal, das mit eingeschnittenem Bildmaterial unterstützt wurde: Die arme Frau beim ständigen Öffnen von Tiefkühl-Pizza-Kartons, Dosen und Mikrowellen-Mahlzeiten.

Man fragt sich prompt, wie der präsentierte Ernährungsberater und Fitnesstrainer in Personalunion (ein „Personal Coach“) eigentlich diesen Genfehler beheben will oder welchen medizinischen Eingriff am Gehirn er wohl vornehmen wird. Doch auch diese Frage ist lediglich rhetorisch. Aus fachlicher Sicht ist die Sachlage genauso klar wie schlimm. Nämlich vor allem schlimm für Otto Normalbürger, der zum wohlverdienten Feierabend mit solcher Desinformation berieselt wird.

Da ist zum Beispiel die bedauerlich übliche Verquickung von Genen und Gehirn, oder wahlweise umgekehrt von Gehirn und Genen. Das scheint für den gemeinen TV-Zuschauer erstaunlich plausibel zu sein. Oder es ist einfach schnurz. Man weiß jedenfalls, dass der Betroffene machtlos ausgeliefert ist, und deshalb zwangsläufig auch psychisch leidet. Und schon haben wir das übliche Süppchen aus Psyche, Gehirn und Genen, aus dem Therapiefälle gemacht sind.

Die fehlende Stimmigkeit liegt (hier) allerdings darin, dass Verhalten nicht vererbt werden kann. Und selbst wenn wir es hier mit einem Genfehler zu tun hätten, der das Gehirn der jungen Mutter veranlasst, ihr ein ständiges Hungergefühl vorzugaukeln, würde sie nichts daran hindern, alle zehn Minuten einen Salat, einen Apfel oder eine Banane zu verspeisen.

Genau daraus wird dann auch die Stimmigkeit schnell noch hinterher gebastelt: Erst verrät die gewichtig überbelastete junge Frau, dass sie in ihrer Ehe und Partnerschaft unglücklich ist, und – Genfehler hin oder her – eigentlich vor allem deshalb pausenlos mampft. Sieh an. Prompt kann der ernährungsberatende Fitnesstrainer daraufhin versprechen, das Gewicht der jungen Mutter mit einer Ernährungsumstellung radikal zu reduzieren. Ihr bleibt eine langweilige Gentherapie und ein Eingriff am offenen Schädel also dann doch erspart. Da haben wir aber alle noch einmal Glück gehabt.


Freitag, 20. März 2015

farblich versprochen

Wenn man sich nun seit mehr als zwanzig Jahren mit dem Denken und Verhalten beschäftigt, kommt einem in dieser Zeit natürlich etliches vor die Augen, das fachlich damit zusammenhängt. So einiges davon ist grober Unfug. Doch gerade auf diesen Quatsch stößt man immer wieder, in Funk und Fernsehen, Büchern und Websites. Das sind die besten Voraussetzungen dafür, dass blanker Unsinn zur Allgemeinbildung wird.

Ein Paradebeispiel für dieses Phänomen ist der „rosa Elefant“. Mit fast schon mystischer Qualität wird man seit -zig Jahren aufgefordert „Denken Sie jetzt bitte nicht an einen rosa Elefanten“, mit der zwanghaft darauf folgenden Erklärung, man hätte „trotzdem“ doch prompt dieses farbige Rüsseltier vor Augen. Und das, obwohl man explizit gebeten wurde, nicht daran zu denken. Der Grund dafür sei – ganz trend- und zeitgemäß – natürlich „das Gehirn“, das das Wort „nicht“ unterschlagen würde.

Allerdings müsste es schon leicht verwundern, dass man dieses bildhafte Beispiel problemlos verstehen kann – obwohl es darin von „nicht“ nur so wimmelt. Das Ganze lebt schlicht von der Beeindruckung. Der Effekt scheint so spektakulär, dass man auch die Erklärung dazu glaubt. Tatsächlich kennt man dasselbe seit etlichen Jahren von David Copperfield, der – nur umgekehrt und wortlos, dafür gestenreich und mit Musik – nichts auftauchen, sondern verschwinden lässt, nämlich ganze Eisenbahnwaggons. Das Spektakuläre resultiert aus erfolgreicher Ablenkung.

Das mit dem fachlichen Spektakel begann in unseren Breitengraden vor etwas mehr als zwanzig Jahren mit dem holländischen Motivationstrainer Emil Ratelband, der barfüßige Menschen über zehn Meter glühende Kohlen jagte, abschließend ausrufend „Tsjakkaa!“ (sprich: „tschacka“). Heute fühlen sich Berater und Trainer gezwungen, ihr Haupthaar senkrecht in die Höhe zu toupieren oder ein breites, knalliges Stirnband zu tragen. Dem Spektakel wegen. Das ist irgendwie so wahnsinnig „anders“.

Im Falle des rosa Elefanten jedenfalls besteht die trickige Ablenkung darin, dass es eben nicht „das Gehirn“ ist, das irgendwelche Worte unterschlagen würde, sondern der Knackpunkt liegt in den Worten an sich, in der Sprache. Leider jedoch ist das nun einmal ein vergleichsweise ziemlich unspektakuläres Thema. Und so greift man zu der Binsenweisheit „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ und verweist auf das trendige Modethema Gehirn.

Tatsächlich jedoch verpufft das Ganze schon im Ansatz, wenn man dazu auffordert, bitte nicht an den Andromedanebel zu denken oder an das Hebb’sche Neuron. In der Regel passiert dann vor dem geistigen Auge relativ wenig bis gar nichts, trotz aktivem Gehirn. Es hängt eben (unter anderem) davon ab, was man in seinem Hinterkopf vorrätig hat, ob und wie man darauf angesprochen wird, und ob und wie jemand in der Lage ist, Zusammenhänge zu bilden.

Eine Reaktion ist niemals nur eine bloße Frage der vorherigen Aktion, keine simple Verbindung von Ursache und Wirkung, auch nicht im Falle von rosa Elefanten, und schon gar nicht, indem man mit wachsender Begeisterung ständig auf „das Gehirn“ verweist. Und wenn es das nicht ist, sind es wahlweise „die Psyche“ oder „die Gene“ oder alles das zusammen. Man kann es nicht mehr hören.


Freitag, 27. Februar 2015

irrsinnig belehrt

Und wieder einmal ist es erschreckend, mit welcher Bildung unsere Kinder schon in der Grundschule konfrontiert werden. Eine glatte Fehl-Bildung, per Lehrplan staatlich verordnet, wehrlosen Kindern durch die Autorität der Lehrkraft aufgezwungen, und dann auch noch die Kinder am besten benotet, die den Irrsinn am besten gelernt haben. 

Ich habe das an verschiedenen Stellen bereits mehrfach angesprochen, und werde nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen: Zahlen sind Zahlen. Und sonst gar nichts. Zahlen sind keine Lebewesen und keine Gegenstände, sondern Zahlen sind Zahlen, und so etwas wie (Zahlen-)Werte sind wieder etwas anderes, und erst recht noch anders, wenn Zahlen nur eine reine Symbolfunktion als Ziffern haben.

Fast erwartungsgemäß kommt unser Sohn (wie der geneigte Leser inzwischen weiß: Zweitklässler in der Grundschule) kürzlich nach Hause und hat jede Menge Material über Wärme, Kälte, Temperaturen, Celsiusgrade, Thermometer, undsoweiter im Schulgepäck. Ebenso erwartungsgemäß wurde ihm beigebracht, dass je nach Wärme und Kälte die Temperatur jeweils steigt oder fällt, was man prima an einem handelsüblichen Thermometer ablesen kann.

Und wieder einmal: schulisch verordnetes Fehlwissen. Denn Nein, Nein und nochmals Nein! „Die Temperatur“ steigt nicht und sie fällt nicht, weder bei Wärme noch bei Kälte, denn Temperatur ist ein Messwert, also ein Wert, der durch messen ermittelt wird, und sonst gar nichts. Bei zwei Messungen erhält man oftmals zwei unterschiedliche Werte, die man vergleichen kann. Doch deshalb „steigt“ hier nichts und „fällt“ hier nichts.

Wenn man auf die Uhr sieht, und es ist nicht mehr Zehn, sondern Zwölf, dann ist die Zeit nicht um zwei Stunden gestiegen. Und wenn in der Schule bei Frühlingswetter und „wärmeren Temperaturen“ demnächst draußen Weitsprung geübt wird, dann sind es schließlich die Kinder, die in den Sandkasten springen, und nicht das Meter am Bandmaß entlang. Doch wer will das schon „so genau nehmen“. Nein, wir nehmen es lieber komplett irrsinnig.

In Kürze kommt dann ein selbsternannter „Merkmeister“ an die Grundschule, der vormittags den Kindern und abends den Eltern erklären will, wie sich die Gedächtnisleistung verbessern und damit das Lernen effektiver gestalten lässt. Oder anders gesagt: Es wird alles mögliche unternommen, um ein Halb- und Fehlwissen zu optimieren, bei den Kleinsten angefangen, mit den besten Absichten. Willkommen im Bildungszeitalter.

Montag, 9. Februar 2015

chancenlos fortschrittlich

Es gibt Menschen, die vom technologischen Fortschritt komplett begeistert sind, und sich hechelnd und geifernd auf dem neuesten Stand der Entwicklung halten, um bloß nichts zu verpassen. Warum nicht. Andere sammeln Briefmarken. Ich persönlich sehe die Technologie nicht zwangsläufig als Beginn des Weltuntergangs, aber erstmals skeptisch wurde ich, als ich die Erfindung des „Walkman“ erleben durfte.

In meiner Teenagerzeit hielt ich mich für den Schöpfer des Begriffes „Kommunikationsbremse“. Das nämlich war mein persönliches Begleitsynonym für „Walkman“, weil Mitschüler mit einem tragbaren Cassettenabspielgerät auf Zurufe und Ansprache nicht mehr reagierten.

Erstaunlicherweise wurde das damals medial eher wenig thematisiert. Man stürzte sich lieber auf die damals beginnende Verbreitung des Homecomputers, der die Teenager davon abhalten würde, sich an der frischen Luft zu bewegen, und zu „sozialer Isolation“ führen würde.

Damals wie heute, diese Scheinproblematik wird immer noch bei Bedarf aufgewärmt, nur die Technologie ist eine andere. Es sind nicht mehr Cassetten, sondern MP3s, nicht mehr „C64“-Heimcomputer mit „Pacman“-Spielchen und Akustikkoppler, sondern Smartphones und Internet und „Facebook“. Ansonsten alles wie gehabt, nur eben „fortschrittlich“.

Doch das, was jetzt auf uns zukommt – heißt es – besitzt eine ganz andere Qualität von „Fortschritt“: Die enormen Entwicklungen im Bereich „künstliche Intelligenz“, gepaart mit den enormen Entwicklungen im Bereich der Robotik. Allein bei diesem Gedanken beginnt bei manchem wieder das Hecheln und Geifern. Andere haben schlimmste Befürchtungen und wird Angst und Bange.

Zu befürchten haben wir allerdings recht wenig, solange es Ingenieure sind, die mit ihren Schraubendrehern und Lötkolben ihren Apparaten „Intelligenz“ zuschreiben: Wer selbst den ganzen Tag im Bauplan-Denken von „an oder aus“ lebt, der bezeichnet auch das „Null oder Eins“ von Computerchips als „intelligent“.

Und dann wäre da noch der Roboter als solcher. Wem dabei auf Anhieb diverse Figuren aus einschlägigen Science-Fiction-Filmen in den Sinn kommen, darf überraschend erfahren, dass wir „längst von Robotern umgeben“ sind, die nur nicht Roboter genannt werden; nämlich in Form unscheinbarer Imbiss-, Cola- und Leergutautomaten.

Spätestens hier werden die wirklichen Gefahren intelligenter Roboterisierung erkennbar: Wer jemals mit einem Leergutautomaten zu kämpfen hatte, der hat verloren. Chancenlos gegen eine Plastikkiste mit Flascheneinwurfmulde. Dass für den Benutzer kein „Reset“-Schalter eingebaut wird, ist mitnichten Zufall. Die Herrschaft der Maschinen hat längst begonnen.

Freitag, 30. Januar 2015

zwischenmenschlich erledigt

Inzwischen nervt es dann doch, das Thema PEgIdA. Jetzt kämpfen sie nicht nur gegen irgend etwas, sondern auch noch mit sich selbst und unter- und gegeneinander. Bei mir persönlich ist es mittlerweile so weit, dass ich bei jeder neuen Meldung an Volker Pispers denken muss: „Die Medien sind nicht dazu da, um uns zu informieren oder aufzuklären, sondern um uns zu beschäftigen“.

Auf dem (längst überschrittenen) Höhepunkt dieser Medialthematik wurde im seriösen „heute journal“ des ZDF ein mehrfach interessantes Interview geführt, eingeleitet von mahnenden Worten des Moderators Klaus Kleber: „Wer aber Islamisierung als politische konkrete Gefahr beschwört, der muss dann doch bitteschön Fakten auf seiner Seite haben. Die aber sprechen eine ganz andere Sprache als die Emotiononen und Parolen zum Beispiel der PEgIdA“.

Es folgte die Präsentation einer Handvoll solcher „Fakten“, wenn man statistisch erhobene Zahlen so nennen will, etwa dass „weniger als 5% Muslime in Deutschland leben“, wovon zwei Millionen deutsche Staatsbürger seien. 28% der weiblichen davon würden ein Kopftuch tragen, unter den 16-25-jährigen seien es mit 22% jedoch „deutlich weniger“. Abschließend wird noch hinterher geworfen, dass in Deutschland 45.000 Kirchen stehen, aber nur 2.400 Moscheen.

Dermaßen erschlagen von Zahlen soll noch einer unbelastet frei denken und dem Weiteren folgen können. Jedoch: Was sollen eigentlich diese Zahlen? Warum werden ausgerechnet diese Zahlen präsentiert und keine anderen? Warum wird etwa nicht auch die prozentuale Verteilung von Muslimen und Christen unter den Schwarzfahrern, Inhabern von Bibliotheksausweisen oder Döner-Konsumenten präsentiert?

Dass in Deutschland 45.000 Kirchen stehen, aber nur 2.400 Moscheen, hat ungefähr den qualitativen Gehalt, als ob man energiepolitisch feststellt, dass den circa 23.600 Windenergieanlagen in Deutschland nur 17 Kernkraftwerke gegenüberstellen, oder dass wir in Deutschland, verkehrspolitisch, circa 5.600 Bahnhöfe haben, doch nur 40 Flughäfen. Gut zu wissen. Und jetzt? Was soll eine solch hingeklatschte Information?

Das sollte dann wohl in einem Interview näher gedeutet werden, Klaus Kleber mit Hans-Joachim Maaz, u.a. Psychiater und Vorsitzender der Stiftung Beziehungskultur, der erklärte: „Da sind viele Probleme, die zusammen kommen, sehr individuelle Probleme, da sind natürlich noch Ost-West-Probleme, Menschen, die zu kurz gekommen sind, die sich ausgegrenzt erleben, deren Hoffnung nicht aufgegangen ist im Westen, und es ist, wie man hört, auch eine Systemkritik an der Gesellschaft.. Diese Fragen müssten tatsächlich analysiert werden, die Leute wollen verstanden werden“. Sieh an.

Und darauf Klaus Kleber: „Wenn ich sie richtig verstehe, dann ist das, was wir gerade versucht haben, die Fakten darzustellen, wie sie tatsächlich sind, das geht dann an den Problemen völlig vorbei?“.
Auch wenn „rein faktisch“, also: statistisch, in Deutschland 45.000 Kirchen stehen, aber nur 2.400 Moscheen, ist es ein Unterschied, ob man in der Umgebung einer Kirche oder einer Moschee lebt, genau so, ob in Bahnhofsnähe oder in der Einflugschneise eines Flughafens. Mitunter gehen Zahlen – „Fakten“ – glatt am wirklichen Leben vorbei, das stimmt.

Dazu gehört auch, dass nicht die Zahlen, Daten und Statistiken, Experten-Analysen, Politik und Talkshow-Diskussionen das Problem klären, sondern ein simpler zwischenmenschlicher Konflikt aus dem wirklichen Leben. So meinte nach dem Rücktritt und Austritt von PEgIdA-Sprecherin Kathrin Oertel der Vize-Vorsitzende der AfD, Alexander Gauland: „Mit ihrem Austritt ist für mich das Thema Pegida erledigt“. So einfach ist das.

Immerhin waren wir eine Zeitlang thematisch beschäftigt. Jetzt könnten wir doch eigentlich mal wieder ein paar Klimaforscher reaktivieren und den Winter ausdiskutieren, andererseits hatten wir schon länger kein hochgefährliches Grippevirus mehr. Nur eines ist sicher: Man wird ein Thema finden, um uns zu beschäftigen.


Montag, 26. Januar 2015

schulisch getutet

Es ist in mehrfacher Hinsicht aufregend, Vater eines Grundschülers zu sein, und live und in Farbe mitzubekommen, was unbeteiligten Theoretikern entgeht – gerade, wenn es um Wissen, Bildung und insbesondere um Fragen der Schulbildung geht. Noch schlimmer, wenn man sich als direktbeteiligter Zwangspraktiker auch noch leidenschaftlich beruflich mit solchen Themen beschäftigt.

Da berichtet unser siebenjähriger Sohn, inzwischen Zweitklässler, er habe in seinem anstaltlichen Unterricht nun ganz neu „Tun-“ und „Wie-Wörter“ erlernt. Na, prima. Und das, wo man den Nachwuchs jahrelang schon vorschulisch darauf hingewiesen hat, das „Tu’“ bitte tunlichst zu vermeiden, außer in unvermeidbaren Fällen, in denen beispielsweise „der Bauch weh tut“.

Um den Lerneffekt sicherzustellen, reagierte ich bei Notwendigkeit mit einem „Tuuut … Tuuut“. Das hatte Wirkung. Und nun lernt unser Junge offiziell „Tun-Wörter“, um in ein paar Jahren umzulernen, dass man das eben doch nicht sagt, sondern die selben Wörter bitte eleganter als  „Verben“ bezeichnet. Auch wenn der Bauch dann immer noch weh tut, und deshalb nicht etwa verbt.

Nach dieser Einleitung durfte ich erfahren, dass die Hausaufgaben darin bestünden, „Tun-Wörter“ für Pflanzen zu finden. Ich war darüber nicht wirklich überrascht, auch nicht verblüfft, ich war irgend etwas anderes: Wörter, die beschreiben, was Pflanzen tun? Im Ernst? Oder nicht vielmehr, was der Mensch so alles mit Pflanzen anstellt?

In der Tat: Pflanzen… sprießen, wachsen, blühen. Aha. Etwas zu tun, bedeutet Handeln. Ist das Sprießen, Wachsen und Blühen also etwas, was Pflanzen tun(?), quasi sichtbare Ausdrucksformen ihres Handelns? Andererseits: Wenn der Bauch weh tut, dann handelt er wahrscheinlich auch nicht eigenmächtig. Erfahrungsgemäß ist es allerdings besser, man stellt solche Fragen nicht, sondern lässt den Jungen einfach seine „Tun-Wörter“ notieren. Schon alleine, um den zeitlichen Rahmen nicht zu sprengen, der für Hausaufgaben verantwortbar ist.

Doch kaum, dass man sich davon erholt hat, erfährt man, dass die Hausaufgaben auch das Notieren von Sätzen mit „Wie-Wörtern“ beinhaltet, wie beispielsweise „Die Nacht ist dunkel“. Aber nicht doch. Nein. Mitnichten. „Die Nacht“ ist eine Bezeichnung für eine Beobachtung – und sonst gar nichts. Und dass eine Bezeichnung „dunkel“ ist, das ist schulisch verordneter Unsinn.

Insgesamt: Eine sprachliche Schlamperei, die den Kleinsten in den Kopf gepflanzt wird, inmitten unseren Bildungszeitalters, mitten in unserer Wissensgesellschaft, in der man dann alle Hände voll zu tun hat, sich mit den Folgeproblemen herumzuschlagen.


Freitag, 23. Januar 2015

gesetzmäßig begeistert

Es gibt vereinzelte Menschen, die behaupten doch glatt, sie würden universelle „Lebensgesetze“ kennen, die einfach nur befolgt werden müssten, um erfolgreich, glücklich, reich und schön zu werden, beruflicher Erfolg und eine glückliche Ehe inklusive  – und netterweise bereit sind, ihre Mitmenschen darüber zu belehren, gegen Honorar, versteht sich.

Also: Es gibt so etwas wie „Lebensgesetze“. Wer dagegen verstößt, der hat ständig reihenweise Probleme, wer sie befolgt, der wird rundum glücklich und beruflich erfolgreich. Das klingt nicht nur relativ einfach, sondern gerade deswegen vielfach auch attraktiv. Zumal diese Lebensgesetze praktischerweise auch sehr ordentlich in Bausteine aufgeteilt und hierarchisch in Pyramidenform gestapelt sind,  sodass man prompt eine Umsetzungsstrategie parat hat. Eine Strategie für die Lebensumsetzung, eine Lebensumsetzungsstrategie sozusagen.

Wer nun meint, so etwas ähnliches hätte er doch schon einmal gehört, da war doch vor zwei Tausend Jahren irgend etwas mit in Stein gemeißelten Regeln, oder auch „Gebote“, zehn Stück, sogar direkt von Gott, eigentlich auch ganz einfach zu befolgen, der ist damit natürlich nicht ganz zeitgemäß. Zeitgemäß ist, nicht nur einfach irgend etwas zu Glauben, sondern zeitgemäß ist knallharte Wissenschaft, insbesondere alles aus der Gehirnforschung, wer auch immer davon plaudert.

Apropos Wissenschaft: „Das Leben ist keine Psychologie, sondern reine Physik“, darf man zwischendurch erfahren. Der entsprechende Bezug lautet „jede Ursache hat eine Wirkung“, „jede Wirkung hat ihre Ursache“, kurz: „Aktion gleich Reaktion“, und da „auch jeder Gedanke Energie ist“, haben nicht nur unsere Handlungen konkrete Konsequenzen, sondern auch bereits jeder einzelne unserer Gedanken.

Nun, wenn dem so wäre, dann wäre jede Handlung, sogar jeder Gedanke berechenbar, kalkulierbar und damit vorhersehbar. Schließlich: Wer von Physik spricht, der spricht von Naturgesetzen, also Gesetzmäßigkeiten, die sich anhand von Formeln berechnen und kalkulieren lassen – wie auch immer man die Zahlen ermittelt, die dafür gebraucht werden.

Aber: Halt! Nein. Doch nicht! Derselbe, der da meint, er spreche von reiner Physik, erklärt, nichts sei vorhersehbar, weder mittels Kaffeesatz noch Kristallkugeln, da der Mensch über einen freien Wille verfüge, damit also sein Denken und Handeln jederzeit ändern könne, physikalische Gesetzmäßigkeiten hin oder her.

Trotz dem sei eine „konsequente Zielorientierung“ für die strategische Umsetzung des Lebenserfolges unverzichtbar. Hm. Wohin genau, auf welches Ziel fixiert, plant man da eigentlich konsequent strategisch, wenn doch alles unvorhersehbar ist? Doch das alles sind Fragen, die in der geballten Begeisterung und Motivation von „Life Coaches“ keinen Platz haben.


Montag, 5. Januar 2015

total informiert

Wir leben im Zeitalter der totalen Information. Welche Auswirkungen das haben kann, erkennt man am besten, wenn man sich gar nicht direkt damit beschäftigt, sondern wenn es einem zwischendurch einfach auffällt. Und dabei ist einem dann sogar Elvis Presley behilflich. Und farbige Glühbirnen. Oder auch nicht.

Der „King Of Rock’n’Roll“, Elvis Presley, wäre in diesen Tagen achtzig Jahre alt geworden. Das dürfte der Grund dafür sein, dass momentan im Fernsehen alle Nase lang irgendeine Dokumentation über ihn zu sehen ist. Fast vierzig Jahre nach seinem Tod. Das ist nicht einmal bedeutsamen Politikern gelungen.

Man zappt am späten Abend dem entsprechend fast zwangsläufig in solch eine Dokumentation. Genau so, wie am vorherigen späteren Abend. Und so wird man darüber informiert, dass Elvis von seiner Frau Priscilla verlassen wurde, obwohl sie ihn doch sehr liebte, aus verschiedenen Gründen konnte sie trotz der großen Liebe nicht anders, sie musste sich von ihm trennen, verstehe einer die Frauen. Letzteres scheint dann doch nicht zwingend notwendig, denn abends darauf wird man anderweitig informiert, dass Priscilla den „King“ wegen eines gewissen Mike Stone verlassen hätte, in den sie sich verguckt hatte. Aha.

Damit nicht genug: In der einen Dokumentation wird man darüber informiert, Elvis hätte Anfang der 1970er in größter Geldnot einen Vertrag für eine Las-Vegas-Show unterschrieben, und seiner Ex-Frau Priscilla davon 1 Million Dollar gezahlt. In der anderen Dokumentation wird man darüber informiert, dass sie bis zu seinem Tod keinen Cent von Elvis bekommen hätte, sondern erst seit dem von der Vermarktung seines Namens profitieren würde.

Das Zeitalter der totalen Information. Man wird total informiert. So oder so. Ob man will oder nicht. Ob eine Information korrekt ist oder nicht, dieses Problem muss man selbst lösen. Oder auch nicht. Welchen Wert und welche Bedeutung eine Information tatsächlich hat, über die bloße Unterhaltung hinaus, wie zumindest im Fernsehen das „Infotainment“ immer wieder betont wird, auch das muss jeder selbst wissen. Oder eben auch nicht.

Der Großteil der Werbung macht da keine Ausnahme: Als Information getarnte Unterhaltung, Unterhaltung getarnt als Information, die gern auch „Verbraucherinformation“ genannte Werbung in der „heilen Welt“, in der sich alle wohlfühlen, lieb haben, gut gelaunt sind, und nur ein einziges klitzekleines Problemchen haben, das vom beworbenen Produkt gelöst wird, sodass man sich prompt wieder wohlfühlt. Die totale Information.

Ein kleiner Teil der Werbung folgt meiner Empfehlung, statt diesen gewöhnlichen Quark anzurühren mit „offenen Fragen“ zu arbeiten, also mit dem Gegenteil von verpackter Argumentation. Doch auch das will gekonnt sein. So kam mir kürzlich ein Werbespot von Philips vor die Augen, an dessen Ende ich nicht die geringste Ahnung hatte, was das Ganze überhaupt sollte. Mir wurde erklärt, es ginge darin wohl um farbige Glühbirnen. Nur leider war von farbigen Glühbirnen weder etwas zu hören noch zu lesen. Vielleicht ging es ja doch um etwas ganz anderes: Einfach mal wieder den Markennamen in die Welt zu pusten: „Übrigens, uns gibt es auch noch“. Gut zu wissen. Es lebe die totale Information.