Dienstag, 26. Mai 2015

gedenglischt verkürzt

Dass Kinder heute immer früher gezwungen werden, irgendetwas Bestimmtes zu lernen, kann man kritisieren. Wenn etwa zunehmend von „gestohlener Kindheit“ gesprochen wird, und ein Kinderarzt ein Buch mit dem Titel „Lasst Kinder wieder Kinder sein“ veröffentlicht. Doch dass heute bereits in der Grundschule Englisch gelehrt wird, scheint fast schon überlebenswichtig zu sein.

Natürlich hatte auch ich zum Pflichttermin die Übertragung des Eurovision Songcontest eingeschaltet, der früher einmal Grand Prix Eurovision de la Chanson hieß. Der französische Titel wurde wahrscheinlich irgendwann zu kompliziert. In einer Zeit, in der elektronisch versendete Nachrichten, per SMS (wie altmodisch) oder (viel hipper) per „Twitter“ und „WhatsApp“ nur aus ein paar Wörtern bestehen dürfen, und deshalb auch noch alles mögliche wild abgekürzt wird. Man muss schon mit der Zeit gehen. In meinem Alter hat man mitunter den Eindruck, man wird hinterrücks von ihr überholt.

Ganz zeitgemäß folgt man so dem Beispiel „Die Abk. für Abk. lautet Abk.“. Da wäre ein GPEDLC doch kaum zumutbar. Also versetzen wir das ins viel zeitgemäßere Englisch, machen einen zeitgemäß kurzen, knackigen Titel daraus, der sich ebenso zeitgemäß praktisch abkürzen lässt: „ESC“. Wenn man die Gesamtveranstaltung schon dermaßen aufgeblasen hat, muss auch das Gerede und Getippe erleichtert und beschleunigt und der Aufwand dafür auf ein Minimum reduziert werden. Wir haben schließlich alle nur eine begrenzte Lebenszeit.

Immerhin lässt man die Veranstaltung weiterhin (noch) von Peter Urban kommentieren, der mit seinen teils angenehm ironischen und süffisanten Anmerkungen für meine Generation mindestens genauso dazu gehört, wie die Punktevergabe. Ein letztes mediales Relikt alter Zeiten.

Daher befürchte ich auch, dass den Verantwortlichen der Spagat zwischen Urzeit und Neuzeit irgendwann zu groß werden wird. Es wirkt schon etwas seltsam, wenn der inzwischen 67-jährige Kommentator einen Interpreten als „Gämer“ vorstellt, der nebenbei auch „Ständ-Ab-Sörfen“ würde, was immer das ist, und darauf hinweist, dass der Zuschauer sich natürlich auch für das „Smahtfon“ eine „Äpp daunloden“ kann, um für seinen Favoriten zu „woten“, und den sendungsbegleitenden „Häschtäg“ nennt, sicher ist sicher.

Doch auch sonst wird an allen Ecken und Enden fleißig „gebassert“ und werden Antworten in Quiz-Shows „eingelockt“. Und das sogar in Veranstaltungen, die explizit für Kinder ausgewiesen sind. Vielleicht sollten Lehrer ihren Unterricht damit zeitgemäß aufpeppen: „Soll ich deine Antwort einloggen?“.

Wie auch eine der unvermeidlichen Castingshows („The Voice Of Germany“) extra auch „for Kids“ gesendet wird. Nur, dass es hier auch noch so etwas wie „Bleint Odischens“ und „Kläsches“ und „Bättels“ gibt, und sich ständig irgendjemand „gefläscht“ fühlt. Man will gar nicht erst wissen, wie sich die „Tällents“ wohl „Bäckstädsch“ unterhalten. Und „gewotet“ wird natürlich auch hier.

Bei dem ganzen verdenglischten Sprachgeschwurbel heutzutage ist es ebenso wohltuend wie wundersam, dass man von „sozialen Netzwerken“ spricht. Nein, wirklich. Gut, dass die Kinder so früh wie möglich Englisch lernen. Das ist sicher weitaus praktischer und zumutbarer als das ganze Denglisch einzudeutschen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen