Donnerstag, 4. September 2014

unweigerlich zukünftig.

Ich halte es für möglich, dass uns unsere Kinder später einmal fragen werden: „Warum habt ihr das nicht verhindert?“. Und man wird schulterzuckend dastehen und hilflos antworten: „Na, wie denn?“. Oder man bereitet sich jetzt schon darauf vor, für diesen Moment eine halbwegs plausible Antwort parat zu haben. Eines kann man jedenfalls gewiss nicht: sich aus allem heraushalten.

Das, wovon hier die Rede ist, ist (u.a.) die unaufhaltsam zwanghafte Vertechnisierung mit ihren Folgen. Man darf das übrigens ohne weiteres auch „gesellschaftliche Neurose“ nennen: Der technische, digitale Fortschritt, der irgendwann mit und durch die Firma „Apple“ aus der bloßen Zweckmäßigkeit herausgeholt und in die Welt der Mode gepfropft wurde. Seit „Apple“ ist Technik „trendy“ und „sexy“. Auf solch eine Idee muss man auch erst einmal kommen.

Gut. Ich bin Jahrgang 1970. Das begründet zwar nichts, doch sicherlich dürfte das eine Rolle spielen. In meiner Teenagerzeit besaßen ein paar männliche Mitschüler einen Heimcomputer, die meisten einen „C64“, manche sogar einen mit Floppydisc. Andere hatten einen „Schneider CPC“, der standardmäßig eine Datasette eingebaut hatte. Manch einer hatte dazu noch einen Akustikkoppler, über den man Daten zu einem BTX-System senden konnte. Die High-Tech-Computerwelt im Kinderzimmer. Wahnsinn.

Einerseits vermittelt das ein wenig Genugtuung gegenüber der jüngeren Generation, die bei solchen Begriffen, C64, Floppydisc, Datasette, BTX, usw. mindestens ebenso stutzt, wie ich, wenn mir heute Schlagworte des Digitalisierungszeitalters um die Ohren geworfen oder auf die Augen gedrückt werden.

So, wie kürzlich, als jemand auf „Facebook“ kommentierte, er habe „ProSieben entliket“, weil „die den ganzen Tag schon HIMYM-Stuff posten“, da liefe man Gefahr, dass „hier was gespoilert wird“.  Zunächst dachte ich: Das war’s. Diesen Rückstand hole ich in meinem Alter nicht mehr auf.

Allerdings dachte ich das schon öfter. Spontan fällt mir da „Starbucks“ ein, wo jemand vor mir einen Frappuccino Karamell bestellte, und zwar „bitte A, V, J und M“ (ohne Gewähr). Natürlich. Und das scheint deutlich normaler zu sein als der simple Kaffee, den ich haben wollte. So normal, wie sprechende Backautomaten in Supermärkten, die freundlich aus dem Lautsprecher säuseln, dass das gewünschte Produkt gerade frisch aufgebacken wird, was ungefähr drei Minuten dauert.

Nein, ich hege keine generelle Verweigerungshaltung gegenüber dem technischen Fortschritt oder sonstigen Veränderungen. Wahrscheinlich stelle ich (mir) einfach nur zu oft die Frage „Was soll das eigentlich?“.

So, wie damals, als verkündet wurde, „Apple“ (s.o.) habe jetzt die größte Innovation seit Jemals geleistet, und Mobiltelefon und Computer miteinander verschmolzen, nämlich zum „Smartphone“. Tja. Und was soll das? Doch inzwischen: Wo man auch ist, im Kaufhaus, in der U-Bahn, am Flughafen, auf Veranstaltungen… jeder zweite, den man sieht, wirft gerade einen Blick auf sein Mobilgerät. Da fragt man sich, ob man heute den Mitmenschen mehr mitzuteilen hat als früher oder wichtigeres, oder nur deswegen, weil es inzwischen möglich ist.

Nein, ich verweigere mich nicht. Ich bin völlig up-to-date. Ich weiß zum Beispiel, dass die ersten „SmartWatches“ erhältlich sind, mit denen man quasi locker aus dem Handgelenk heraus kommunizieren kann. Ich weiß, dass es die ersten Brillen gibt, die enorm wichtige Informationen aus dem Internet auf die Gläser projizieren – an ebensolchen Kontaktlinsen wird sicher längst gearbeitet. Und ich weiß, dass in ein paar Jahren Drohnen zur Paketauslieferung eingesetzt werden sollen.

Das Straßenbild wird in Zukunft also geprägt sein von Menschen, die ständig ihren Handrücken vor das Gesicht halten oder hinter ihren Brillengläsern wild mit den Pupillen zucken, alle in leicht geduckter Haltung, in Deckung von der nächsten Drohne, und um nicht von einem abgeworfenen Paket getroffen zu werden. Und das Ganze wird man für cool halten, für trendy und völlig normal. Es ist unausweichlich. Wer will das schon aufhalten? Vor allem: mit welchen Argumenten?