Mittwoch, 19. März 2014

chaotisch belehrt

Na, das musste ja irgendwann passieren. Da kommt unser Junior von der Grundschule nach Hause, und präsentiert ein Arbeitsblatt, das die elterlichen Bildungsbemühungen glatt zunichte macht. Dabei liegt das größere Problem zunächst nicht einmal in der schulisch verabreichten Fehlbildung, sondern darin, wie man nun darauf reagieren soll.

„Papa…“, bekam ich einleitend von unserem Junior zu hören, „…wir haben heute Wörter mit ‚Ch’ gelernt, und ich habe ein Rätsel für dich: Wenn die Mama in mein Zimmer guckt und da liegt ganz viel durcheinander herum, weißt du, wie man das nennt?“. Ich ahnte Fürchterliches: „Hm. Nun sag`nicht: Chaos?“ …und wurde in meiner Ahnung bestätigt: „Ja, genau!“.

Und tatsächlich: Auf einem Arbeitsblatt waren vorgegebene Worte, beginnend mit „Ch…“, verschiedenen vorgegebenen Umschreibungen zuzuordnen, so unter anderen das Wort „Chaos“ der Umschreibung „großes Durcheinander“.
Na, prima. Da muss man sich nun als Elternteil über die Autorität einer Lehrerin erheben, die ein Erstklässler noch als unantastbar betrachtet. Und man muss seinem Kind erklären, dass in der Schule auch schon einmal etwas Falsches gelehrt wird. Eine knifflige Angelegenheit.

Denn: Chaos ist eben kein „großes Durcheinander“, wie die noch wehrlosen Grundschüler es noch nicht besser wissen können und lernen sollen, sondern Chaos ist der Begriff für „nicht-lineare Phasenübergänge“.
Tja. Mit diesem Wissen klingt es eher amüsant, wenn Erstklässler zum Begriffsverständnis erklärt bekommen, dass so etwas in ihrem Kinderzimmer stattfinden soll. Und mit diesem Wissen ist es eher unwahrscheinlich, dass eine Mama jemals zu ihrem Kind sagen wird „Na, was sind denn das schon wieder für nicht-lineare Phasenübergänge in deinem Zimmer?“.

Nun gut: Chaos ist im herrschenden Allgemeinverständnis immer noch ein „großes Durcheinander“. Sicherlich. Und mein Wissen jenseits der allgemeinen Verbreitung ist berufsbedingt. Ich kann nichts dafür, dass ich es anders weiß. Sicherlich. Aber was heißt das beides schon? Allgemeinverständnis hin oder her, kann ich nicht erwarten, dass immerhin in der Schule das korrektere Wissen vermittelt wird? Oder muss man tatsächlich die institutionell verordnete Fehlbelehrung hinnehmen?

Oder soll ich mich einfach nicht so anstellen und doch nicht so penibel sein? Entschuldigung, aber hier geht es eben nicht um intellektuellen Kleinkram. Irgendwann einmal soll(t)en Kinder lernen, dass Chaos ein „Aufschaukeln von Effekten“ beinhaltet („kleine Ursache, große Wirkung“), sowie die Fähigkeit von Systemen zur Selbstregelung („Autopoiesis“), dass chaotische Vorgänge permanent und überall in der Natur stattfinden, dass Chaos ein Naturgesetz und ein Hauptmerkmal des Lebens ist…

…wie soll ein Kind dafür ein Verständnis entwickeln, wenn man ihm vorher in den Kopf gesetzt hat, dass Chaos ein „großes Durcheinander“, ein „Drunter-und-Drüber“, eine „gewaltige Unordnung“ sei? Warum belehrt man Kinder erst einmal mit diesem Fehlverständnis, um das später irgendwann mühsam korrigieren zu müssen?
Nein, man macht es sich viel einfacher: das geschieht in der Regel gar nicht, sondern man belässt es einfach dabei. Das Ergebnis ist dann die allgemeine Verbreitung einer Fehlbildung, die man mit ihrer allgemeinen Verbreitung begründet, ansonsten möge man bitte nicht so penibel sein.

Und das… in unserem deklarierten Bildungszeitalter des Lernens und des Wissens. Und kaum, dass man sich das von der Seele gebloggt hat, kommt der Nachwuchs von der Schule nach Hause und berichtet stolz, „die 5 Sinne des Menschen“ gelehrt bekommen zu haben. Oh, Gott…

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