Donnerstag, 24. Juni 2010

kopflos pauschali(si)ert.

Nach politischen Chaostagen und –wochen unserer Chaosregierung herrscht weiterhin Chaos. Diesmal herrscht es zwischen den Regierenden bei dem x-ten Versuch, das Gesundheitssystem doch noch irgendwie zu retten.
.
Ende Januar verkündete Gesundheitsminister Rösler (FDP) drohend, er würde von der Einführung einer „Gesundheitsprämie“ von 20 oder 30 Euro pro versichertem Kopf (daher so genannt: „Kopfpauschale“) seine politische Zukunft abhängig machen – als würde ihn tatsächlich jemand auf diesem Posten vermissen.
.
Im April (also: zufällig kurz vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen) dementierte Rösler, eine solche „Kopfpauschale“ einführen zu wollen, sondern es sei vielmehr die Einführung einer „einkommensunabhängigen Prämie“ geplant. Aha. Sowohl das eine wie auch das andere lehnte CSU-Chef Seehofer jedoch kategorisch ab. Zunächst erstaunlicherweise, da die EInführung einer „Kopfpauschale“ schließlich im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, doch inzwischen weniger erstaunlich, weil zwischenzeitlich auch im Falle umfassender Steuersenkungen auf den Koalitionsvertrag fröhlich gepfiffen wurde.
.
Nach nunmehr also 8 Monaten regierungs-interner Verhandlungen zwischen FDP und CDU/CSU stehen mittlerweile sieben Krankenkassen vor der Pleite und droht im Gesundheitssystem ein Defizit von 11 Milliarden Euro im Jahr 2011.
Als Ergebnis dieser Verhandlungen kam am Wochenende heraus, dass der Bund wieder einmal 2 Milliarden Euro in das marode System pumpt, weitere 4 Milliarden sollen irgendwie (wie genau, das weiß man noch nicht) bei Pharmaindustrie, Ärzten, Apothekern und Krankenhäusern eingespart werden, während der Rest von 5 Milliarden Euro – selbstverständlich – die Versicherten zahlen sollen.
.
Das bedeutet, dass rein durchschnittlich jedes Kassenmitglied zusätzliche 8 Euro zahlen muss. Allerdings stehen einige Krankenkassen wirtschaftlich so gut da, dass sie darauf locker verzichten können. Während andere Kassen so miserabel dastehen, dass sie weit mehr als 8 Euro, nämlich bis zu 37,50 Euro, von ihren Versicherten fordern müssen, die sich daraufhin erwartungsgemäß woanders versichern und die betroffenen Kassen so noch weiter in Schieflage geraten werden.
.
Also wieder einmal eine grandiose Leistung der regierend Verantwortlichen. Doch damit längst nicht genug. Seit dem 1. Januar dieses Jahres ist das so genannte „Bürgerentlastungsgesetz“ in Kraft, wonach die Beiträge zur Pflege- und Krankenversicherung steuerlich voll absetzbar sind.
Das heißt: Auch die Zusatzbeiträge von zwischen 8 und 37.50 Euro, die die Versicherten zunächst einmal zur Rettung des Gesundheitssystems zahlen, kosten letztlich dem Staat die entsprechenden Steuereinnahmen in Höhe von geschätzten 600 Millionen Euro. Welch eine Logik. Und so kann dann auch im nächsten Jahr mit großem Erstaunen und Entsetzen festgestellt werden, dass das Gesundheitssystem vor dem Kollaps steht und im Staatshaushalt Milliarden fehlen.
.


Montag, 7. Juni 2010

frisch gestrichen.

Wenn es um Sparmaßnahmen geht, könnten sich vielleicht an erster Stelle einige Volksvertreter einige ihrer Stellungnahmen sparen – gerade bei Themen, von denen sie ganz offensichtlich weitaus weniger als die Hälfte verstehen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall und herausgekommen ist dabei „das größte Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik“. Einen Tusch bitte.
.
Frisch gestrichen werden sollen also bei „HartzIV“-Empfängern etwa „Leistungen, die nicht dazu dienen, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen“. Das ist eine interessante Angelegenheit. Denn Menschen, denen das Existenzminimum zugestanden wird, erhalten vom Staat – das sagt der Begriff deutlich aus – das Minimum zur Existenzsicherung. Was sind bei einem Minimum dann Leistungen, die nicht dazu dienen, arbeitslose Menschen wieder in Arbeit zu bringen? Die Miete vielleicht? Na, sicher: Was trägt der staatliche Mietzuschuss bitteschön dazu bei, dass Arbeitslose wieder Arbeit finden? Eben. Also: streichen. Oder wie ist das gemeint?
.
Und wie ist das eigentlich bei Senioren, deren Rente nicht ausreicht, um den Monat finanziell zu überleben und auf staatliche Unterstützung angewiesen sind? Wie ist das bei krankheitsbedingt arbeitsunfähigen Menschen? Wie ist das bei der eine Million Über-50-jährigen, die auf diesem Arbeitsmarkt kaum Chancen haben und bei den rund 700.000 alleinerziehenden Müttern, die Kanzlerin Merkel explizit hervorgehoben hat? Leistungen kürzen! Rigoros. Alles pauschal streichen, was nicht dazu dient, diese Menschen wieder in Arbeit zu bringen, selbst wenn das in den meisten dieser Fälle kaum möglich sein dürfte, und bei mitbetroffenen Rentnern völlig sinnlos ist.
.
Im Gegenteil werden auch solche Leistungen eingespart, die hilfreich wären, Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Ein paar zusätzliche Euro etwa, um Passfotos für Bewerbungen machen lassen zu können, vielleicht auch für einen monatlichen Frisörbesuch, um auf den Passfotos einen ordentlichen Eindruck zu machen, vielleicht auch für Briefmarken, um die (ggf.: etlichen) Bewerbungen denn auch abschicken zu können. Auch das wird (weiterhin) eingespart und werden Arbeitsuchende von ihrem nochmals gekürzten Existenzminimum abknapsen müssen. Irgendwie.
.
Parallel zu diesem großartigen „Sparpaket“ soll das Gesundheitssystem, das pathologisch am Rande des Kollaps steht, demnächst durch eine zusätzliche „Kopfpauschale“ von zwanzig oder dreißig Euro finanziert werden – ein Betrag, den „HartzIV“-Empfänger von ihrem mutmaßlich nochmals gekürzten Existenzminimum dann erst recht nicht aufbringen können werden, und der deshalb in Milliardenhöhe vom Staat gezahlt werden wird.
Das gleicht sich wunderbar damit aus, auf alleinerziehende Mütter einen obligatorischen Arbeitszwang auszuüben, und ihnen dafür die notwendige Kinderbetreuung staatlich finanzieren müssen.
.
Was für eine bestechende Logik. So sieht der von der Regierung selbstbejubelte „Kraftakt“ aus, als Ergebnis einer fast elfstündigen Nachtsitzung. Wobei Angela Merkel am Sonntag noch vorsorglich verkündete, es hätte niemand vor, an der „Sozialen Marktwirtschaft“ zu rütteln. Womöglich jedoch wäre genau das angebracht: zumindest ein wenig daran zu rütteln, um mit einer anderen Logik auf andere Ideen zu kommen, die ausnahmsweise echte Lösungen ermöglichen.
.
Und ansonsten? Was ist das Signal, das von höchster Stelle ausgeht? Wir müssen „sparen, sparen, sparen“. Wenn das noch ein paar Mal wiederholt wird, bis es auch der Letzte gehört hat, dann kann in Kürze über die „Kaufzurückhaltung“ der Konsumenten gejammert werden, die den Konjunkturmotor lahmlegt, die Steuereinnahmen wegbrechen lässt und ein neues Sparpaket erfordert.
.


Dienstag, 1. Juni 2010

wie geölt.

Der britische Ölkonzern BP ist auch mit dem x-ten Versuch gescheitert, die auf dem Meeresgrund sprudelnde Ölquelle abzudichten. Noch nicht einmal geschredderte Golfbälle, die man in das defekte Steigrohr pumpte, haben geholfen. Das Öl läuft, und läuft und läuft. Bislang angeblich mindestens 75 Millionen Liter, die sich seit dem 20. April mittlerweile im Golf von Mexiko verteilen, Tiere töten und Vegetation zerstören. Ein Ende ist nicht absehbar.
.
Ein Sprecher von BP meinte gestern Abend gegenüber dem US-amerikanischen Nachrichtensender CNN: „Wir kämpfen pausenlos gegen das Öl und werden nicht ruhen, bis wir die Katastrophe in den Griff bekommen haben“. So etwas nennt man „agentic shift“: eine rhetorische Verschiebung der ursächlichen Kraft. Das Leck, das durch eine Ölbohrung entstanden ist, eine Katastrophe, für die Menschen verantwortlich sind, wird sprachlich unauffällig gleichgesetzt mit einer Art „Naturgewalt“, der man ausgeliefert sei, mit einem Hurrikan, einem Tsunami, einem Vulkanausbruch – und BP kämpft als unbeugsamer Streiter dagegen an. Da fehlt nur noch, dass sich BP selbst als Weltretter hinstellen wird, wenn das Leck irgendwann abgedichtet sein wird.
.
Wie heute zu erfahren war, hat BP das Ganze inzwischen rund 1 Milliarde Dollar gekostet. Schön zu wissen, dass man die Zerstörung der Welt auch aus abgehobener, rein ökonomischer Sicht betrachten kann. Wirtschaftswissenschaftler werden diese glänzende Gelegenheit sicher nutzen, um daraus hochzurechnen, wie viel Geld es kosten würde, den gesamten Planeten zu zerstören, und welche Steuern dafür erhöht werden müssten.
.


eingelullt in schwarz-rot-gold.

Denken Sie einmal 4 Jahre zurück: Gesundheitsministerin Ulla Schmid präsentierte ihr Konzept für die Große Gesundheitsreform. Und zwar am Tag des Eröffnungsspiels der Fußball-WM 2006. Zwei Tage später stellte Finanzminister Peer Steinbrück die Eckpunkte der Unternehmenssteuerreform vor, in deren Rahmen große Kapitalgesellschaften bis zu 12% weniger Steuern zahlen sollten, finanziert durch eine Anhebung der Gewerbesteuer, zu Lasten von Kleinbetrieben. In den Folgetagen wurde verkündet, dass die Förderalismusreform, durch die der Bund einige Milliarden Euro einsparen wollte, leider gescheitert sei. Alles das hatte damals kaum jemand bemerkt, weil ganz Deutschland im Trubel des „Sommermärchens“ damit beschäftigt war, in bester Feierlaune Fähnchen zu schwenken.
.
In 10 Tagen ist es wieder so weit: vier Wochen lang Fußball-WM. Vier Wochen lang Zeit für die Politik, vergleichsweise unauffällig zu agieren – zumindest jedoch, so lange das deutsche Team mitspielen darf.
Diesmal allerdings hat die heiße Phase etwas früher begonnen, weil nach 28 Jahren wieder eine Deutsche den europäischen Liedermacherwettbewerb gewonnen und dadurch eine kleine nationale Euphoriewelle ausgelöst hat. Eine Euphoriewelle, die noch nicht einmal künstlich bis zum WM-Start am 11. Juni gestreckt und gedehnt werden musste, wie zu befürchten war.
Denn gestern quetschte sich der bisherige Bundespräsident mit seinem Rücktritt in die Schlagzeilen und drängte damit sehr abrupt und sehr frühzeitig die „Lenamania“ in die Niederungen der Rand- und Nebenmeldungen.
.
Termingerecht zum Abschluss der Achtelfinalspiele der Fußball-WM am 29. Juni wird einen Tag später das neue Staatsoberhaupt gewählt und werden wir bis dahin mit zwei brandheißen Themen parallel dauerbeschäftigt. Mindestens bis dahin lohnt es sich, das Treiben der Regierenden etwas genauer zu beobachten, das in dieser Zeit nur am Rande erwähnt werden wird; womöglich nur im Videotext auf Seite 172.
.