Montag, 17. August 2015

wundersam zivilisiert

Unser Denken (und damit immer auch: unser Verhalten) wird durch Medien aller Art beeinflusst. Dabei stürzt man sich seit einigen Jahren vornehmlich auf den Computer und das Internet. Doch der gehörige Einfluss des Fernsehens ist deshalb keineswegs unbedeutend geworden. Es wird nur nicht mehr darüber geredet. 

„Die große Show der Naturwunder“, moderiert von Frank Elstner in Co-Moderation von Ranga Yogeshwar, war bereits Thema in meinem Blog. Zuletzt, weil in dieser Show deutlich öfter und intensiver über Technologien gesprochen wird als über irgendwelche Wunder der Natur. Man hat den Eindruck, der Titel soll lediglich dazu dienen, den Zuschauer zum Einschalten zu verführen, um ihm etwas völlig anderes unterzuschieben.

Wenn es etwa kürzlich um das Naturwunder Licht ging, dann war das ganz offenkundig nur der Aufhänger dafür, um im TV-Studio ein Hochleistungs-Laser-Gerät zu demonstrieren. Ein Laserstrahl ist schließlich gebündeltes Licht, nicht wahr. Doch damit war der Bezug zur Natur auch bereits schon erledigt, der Rest war bloße Technologie.

Diese abendlich versendete Mogelpackung könnte Ranga Yogeshwar zu verdanken sein, der es nur mit Mühe schafft, einen Satz zu bilden, in dem der Begriff „Wissenschaft“ nicht vorkommt, und sich sogar noch am Ende, wenn der Abspann bereits läuft, schnell noch bei allen Wissenschaftlern bedankt, die diese Show unterstützt haben. Ganz, ganz wichtig so ein Hinweis.

Diesmal wurde u.a. ein Einspieler angekündigt: Ranga Yogeshwar reiste auf Kosten des Gebührenzahlers nach Sumatra und besuchte dort das Ureinwohnervolk der Talang Mamak, das mitten im tropischen Regenwald lebt. Besser gesagt: was dort davon noch übrig ist. Denn natürlich durfte der Hinweis auf den Raubbau an der Natur nicht fehlen, indem der Mensch den Regenwald gnadenlos abholzt. Also: „Der Mensch“ als solcher.

Jedenfalls wurde ein Medizinmann präsentiert, der aus den verschiedensten Pflanzen des Regenwaldes hochwirksame Medizin gewinnt und die heilende Wirkung allerlei Blätter, Baumrinden und Wurzeln erklärte. Der Regenwald quasi als natürliche Apotheke. Offenkundig schwer beeindruckt kommentierte Ranga Yogeshwar, sich dem gegenüber wie ein Analphabet zu fühlen.

Und man fragt sich, warum dem Zuschauer das dermaßen nachdrücklich unter die Nase gerieben wird. Dabei ist doch leicht vorstellbar, was hierzulande los wäre, wenn ein Medizinmann eine Praxis eröffnen und sein Wissen in Talkshows verbreiten würde: Mit Hohn und Spott würde man sich über diesen Hokuspokus lächerlich machen. Dafür würde die Pharmaindustrie schon sorgen. Nicht auszudenken man würde sich in Zukunft aus den Wäldern bedienen und alte Hausmittel verwenden, statt Tabletten und Kapseln aus den Chemielaboren zu schlucken: -zig Tausende Arbeitsplätze gingen verloren, das Bruttosozialprodukt würde in sich zusammenfallen, Deutschland wäre wohl am Ende.

Trotzdem ist auch das Volk der Talang Mamak „in der Moderne angekommen“, wie es heißt. Auch dieses Ureinwohnervolk im tiefsten Regenwald ist inzwischen mit Brillen, T-Shirts und Sandalen, Töpfen und Matratzen ausgestattet. Wie auch in Fällen anderer Urvölker auf dieser Welt beklagt man bei dieser Gelegenheit prompt den Verlust derer Kulturgüter: Da wird sich nicht mehr zur Jagd kriegsbemalt und wird nicht mehr getanzt, um irgendeinen Gott zu besänftigen, sondern das Ganze macht man jetzt allenfalls noch gegen Bares zur Show für Touristen.

Tragisch. Dabei dachte ich immer, genau deshalb betreibt man Entwicklungshilfe. Wohin sollten sich Ureinwohner denn bitte sonst entwickeln? Und wie man weiß, schicken Hilfsorganisationen erst einmal schulmedizinische, also: richtige Ärzte zu solchen Völkern, um deren Medizinmann vor den Augen seines Stammes lächerlich machen. So kommen Urvölker eben „in der Moderne an“, dadurch entwickeln sie sich dorthin, wo sie bitteschön hin sollen: Willkommen in der zivilisierten Welt.

Dazu gehören dann wohl auch Planierraupen und Bagger, die den Regenwald abholzen. Sumatra, so wurde der Zuschauer – wenn auch ohne Beweis – informiert, verliere „in jeder Stunde eine Waldfläche in der Größe von 88 Fußballfeldern“. Dafür legt man Palmölplantagen an so weit das Auge reicht. Und Palmöl stecke eben nicht nur in unserem Biosprit, sondern auch in jedem zweiten Supermarktprodukt.

Kurz gesagt: Wir, „die Verbraucher“, sind natürlich wieder schuld am Untergang der Welt und wurden entsprechend aufgerufen, beim Einkauf achtsamer zu sein. Und wenn wir das tatsächlich sind, dann werden wir schuld daran sein, dass in Malaysia und Indonesien die Wirtschaft zusammenbricht, und die Menschen, die sich doch gerade so schön zivilisiert entwickeln, wieder zurück müssen in die Reste des Regenwaldes.

Dabei sagte kürzlich noch der Gründer des „Herta“-Wurstwarenkonzerns, Karl Ludwig Schweisfurth, zum Elend der Massentierhaltung: „Man macht es sich zu einfach, das immer auf den Konsumenten zu schieben. Das ist eben das System“. Stimmt ziemlich genau. Und das hat einiges damit zu tun, was an der Börse stattfindet, Spekulation, Aktienkurse, Gewinnerwartungen undsoweiter – eine Parallelwelt für sich, meilenweit entfernt von jeder Realität.

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