Donnerstag, 11. August 2011

ahnungslos beruhigt.




Und schon schlittern wir wieder in die nächste Finanzkrise. Also: nicht direkt wir. Die USA sind geschlittert. Und deshalb schlittern viele andere mit. Und wir auch. Weniger aus Solidarität, sondern weil „die Märkte beunruhigt“ sind. Es spricht einiges dafür, dass niemand weiß, was damit genau gemeint ist, doch es hält auch niemanden davon ab, beruhigen zu wollen. Oder um es mit Norbert Blüm zu sagen: „Die Rente ist sicher“.

Ich bin kein Finanzexperte. Ich habe mich auch damals, als die Deutsche Telekom an die Börse ging und die „Volksaktie“ beschworen wurde, nicht dazu verleiten lassen, mich mit Aktienkursen zu beschäftigen. Und ich habe mich nur kurz gewundert, als ein knappes Jahr später plötzlich vor der 20-Uhr-„Tagesschau“ eine Kurzsendung mit neuesten Nachrichten von der Börse eingeführt wurde, während man bis dahin allenfalls nebenbei am Ende der Hauptmeldungen den aktuellen Dollarkurs verkündete. Und ich muss den Tag verpasst haben, an dem irgendwelche sonderbaren „Rating-Agenturen“ ihren Betrieb aufnahmen.

Insofern gebe ich freimütig zu, jede neue globale Finanzkrise nur unzulänglich aus der Sicht eines sehr ahnungslosen Laien beurteilen zu können. Doch es beruhigt mich ein wenig, dass auch erklärte Finanzexperten offenkundig längst den Überblick verloren haben, den sie womöglich niemals hatten.

Wer die systemkritische Dokumentation „Kapitalismus – Eine Liebesgeschichte“ von Michael Moore gesehen hat, konnte darin verschiedene Investmentbanker erleben, wie sie stotternt versuchten, das Funktionsmodell diverser „Finanzprodukte“ zu erklären. Und der Chef der „Hypo Real Estate“ Immobilienbank, die Ende 2008 etliche Milliarden verpokerte, gab damals ebenso zu, nicht wirklich verstanden zu haben, was genau eigentlich mit dem Geld getrieben wurde und wie und warum und wohin genau es verpuffte.

Inzwischen sind es nicht mehr nur Banken, sondern ganze Staaten, Griechenland, Portugal, Spanien, kürzlich Italien, die USA und nun wohl auch noch Frankreich, die kurz vor der Pleite stehen, weil das irgendwelche privaten „Rating Agenturen“ in einem Meeting, kurz nach dem Frühstück, mal eben so beschlossen haben – zur Überraschung einiger dieser Staaten, die von ihrer drohenden Pleite noch gar nichts wussten.

Dort, in den „Rating Agenturen“ scheinen offenbar die zu sitzen, die noch Überblick haben. Und in China. Die Chinesen nämlich haben über die Jahre hinweg fleißig US-Staatsanleihen gekauft, sind dadurch inzwischen der größte Gläubiger der USA, kurz gesagt: den Chinesen gehören die Vereinigten Staaten. Früher wurden für solche Aktionen Kriege mit Millionen Toten geführt, heute muss man nur oft genug die „F12“-Taste am Computer betätigen und Staatsanleihen sammeln.

Einen relativ machtlosen Eindruck machen dabei die regierenden Politiker, auch die Mächtigsten, die gern in Frankreich und Deutschland vermutet werden, selbst der proklamierte „Mächtigste Mann der Welt“ in den USA. Wo noch nicht einmal die Finanzexperten noch eine Ahnung haben, wissen die Politiker immerhin eines: „Die Märkte sind beunruhigt“ und müssen beruhigt werden. Und so wird auf Pressekonferenzen öffentlich erklärt: Wir können völlig beruhigt sein.

Doch warum eigentlich „wir“? Sind wir „die Märkte“? Im Prinzip schon: Jeder Otto Normalbürger, als Kunde, als Konsument und Verbraucher, an der Tankstelle, im Supermarkt, überall, zwangsläufig. Jeder einzelne Cent, der seinen Besitzer wechselt, beeinflusst irgendwie irgendeinen „Markt“. Nur wie genau, das versteht eben keiner mehr. Vielleicht ist das auch ganz gut so. Denn wie meinte Henry Ford bereits vor einigen Jahrzehnten: „Würden die Menschen das Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh“.
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Montag, 1. August 2011

böse verborgen.



„Das Böse in uns“. Unter diesem Titel ging die Fernsehsendung „ttt – Titel, Thesen, Temperamente“ Sonntagabend der Frage nach, „was Menschen zu grausamen Attentätern macht“ (Untertitel) bzw. „wie Menschen zu kaltblütigen Attentätern werden“. Es war der Versuch, in einem allenfalls zehnminütigen Bericht zu klären, was der Menschheit seit Jahrtausenden rätselhaft ist.

Ein solcher Versuch muss kläglich scheitern, sollte man meinen. Doch wenn die verantwortliche Redaktion offenbar anderer Ansicht ist und diesen Versuch nicht nur unternimmt, sondern auch noch waghalsig in ihrem „Kulturflaggschiff“ öffentlich-rechtlich ausstrahlt, muss man das einfach gesehen haben.

Das erste Kunststück liegt hier wieder einmal in dem, was man in einem solchen TV-Bericht eben nicht sieht: in der redaktionell vorab stellvertretend für den Zuschauer getroffenen Entscheidung, wen man denn eigentlich befragt und zu Wort kommen lässt, wenn es um „das Böse in uns“ geht. Früher hätte man sich dazu wohl an einen Geistlichen gewandt, heute befragt man – selbstverständlich – zeitgemäß einen Psychiater und einen Neurobiologen, um so zwangsläufig in die Folgerung zu stolpern „Der geheime Code des Bösen liegt verborgen, tief im Innern des Gehirns“.

Der österreichische Psychiater, so wird behauptet, sei einer der renommiertesten Gerichtspsychiater und -gutachter Europas(!), hätte für sein aktuelles Buch über 300 Mörder befragt und deren Persönlichkeit analysiert, wisse also „wie kaum ein anderer, wie Mörder denken und fühlen“ und „wie das Hirn von Mördern tickt“. Da fragt man sich glatt, warum überhaupt noch zusätzllich ein Neurobiologe befragt wurde.

Dieser Psychiater jedenfalls, der phänomenalerweise aufgrund simpler Befragungen genau weiß, was physiologisch in Gehirnen stattfindet, ist sich sicher: Einem Attentäter „fehlt jegliches mitmenschliches Gefühl“ und „Je höher der Planungsgrad ist und je länger die Vorlaufzeit, desto böser ist eine Tat“, sowie „Das Böse begegnet uns alltäglich in Streit, Rache, Eifersucht und in seiner schlimmsten Form im eiskalten Vernichtungsplan eines Fanatikers“. Da spricht geballte Fachkompetenz. Eine solche Erkenntnistiefe ist nur echten Experten möglich.

Leider klärt nichts davon, was das Ganze denn nun mit dem Gehirn zu tun haben soll. Und das eben ganz abgesehen davon, dass ein Psychiater von Haus aus für „die Psyche“, also für Seele und Gemüt, zuständig ist, und man sich aussuchen kann, ob es nur fragwürdig oder schon grob fahrlässig ist, beides als Produkt von Gehirnfunktionen zu vermuten – und das insgesamt auch noch auf simple Befragungen zurückzuführen.

Ganz anders natürlich bei dem zusätzlich befragten Neurobiologen, der zumindest im Fachbereich Gehirnforschung weitaus glaubwürdiger ist, sich jedoch zu Fragen äußert, die mit seinem Fachbereich herzlich wenig zu tun haben:
So referiert dieser Fachmann über „Schmerzzentren“ des Gehirns, sie würden „nicht nur dann reagieren, wenn wir physisch, körperlich bedroht werden, sondern auch dann, wenn wir sozial ausgegrenzt werden, wenn wir gedemütigt werden, wenn man uns den Respekt verweigert“. Das hat ungefähr die gleiche Qualität, als ob ein Orthopäde erklärt, warum jemand für Malerei völlig untalentiert ist und sich als Linkshänder sozial ausgegrenzt fühlt.

Und das: im „Kulturflaggschiff“ des Ersten Deutschen Fernsehens, einem Sender mit gebührenfinanziertem Bildungsauftrag. Aber warum eigentlich nicht. Es gab Zeiten, da wurden sehr ernsthaft Schädel per Hand vermessen und über den Daumen gepeilt kartografiert, um daran charakterliche Eigenschaften festzumachen. Heute lacht man darüber.
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