Montag, 1. August 2011

böse verborgen.



„Das Böse in uns“. Unter diesem Titel ging die Fernsehsendung „ttt – Titel, Thesen, Temperamente“ Sonntagabend der Frage nach, „was Menschen zu grausamen Attentätern macht“ (Untertitel) bzw. „wie Menschen zu kaltblütigen Attentätern werden“. Es war der Versuch, in einem allenfalls zehnminütigen Bericht zu klären, was der Menschheit seit Jahrtausenden rätselhaft ist.

Ein solcher Versuch muss kläglich scheitern, sollte man meinen. Doch wenn die verantwortliche Redaktion offenbar anderer Ansicht ist und diesen Versuch nicht nur unternimmt, sondern auch noch waghalsig in ihrem „Kulturflaggschiff“ öffentlich-rechtlich ausstrahlt, muss man das einfach gesehen haben.

Das erste Kunststück liegt hier wieder einmal in dem, was man in einem solchen TV-Bericht eben nicht sieht: in der redaktionell vorab stellvertretend für den Zuschauer getroffenen Entscheidung, wen man denn eigentlich befragt und zu Wort kommen lässt, wenn es um „das Böse in uns“ geht. Früher hätte man sich dazu wohl an einen Geistlichen gewandt, heute befragt man – selbstverständlich – zeitgemäß einen Psychiater und einen Neurobiologen, um so zwangsläufig in die Folgerung zu stolpern „Der geheime Code des Bösen liegt verborgen, tief im Innern des Gehirns“.

Der österreichische Psychiater, so wird behauptet, sei einer der renommiertesten Gerichtspsychiater und -gutachter Europas(!), hätte für sein aktuelles Buch über 300 Mörder befragt und deren Persönlichkeit analysiert, wisse also „wie kaum ein anderer, wie Mörder denken und fühlen“ und „wie das Hirn von Mördern tickt“. Da fragt man sich glatt, warum überhaupt noch zusätzllich ein Neurobiologe befragt wurde.

Dieser Psychiater jedenfalls, der phänomenalerweise aufgrund simpler Befragungen genau weiß, was physiologisch in Gehirnen stattfindet, ist sich sicher: Einem Attentäter „fehlt jegliches mitmenschliches Gefühl“ und „Je höher der Planungsgrad ist und je länger die Vorlaufzeit, desto böser ist eine Tat“, sowie „Das Böse begegnet uns alltäglich in Streit, Rache, Eifersucht und in seiner schlimmsten Form im eiskalten Vernichtungsplan eines Fanatikers“. Da spricht geballte Fachkompetenz. Eine solche Erkenntnistiefe ist nur echten Experten möglich.

Leider klärt nichts davon, was das Ganze denn nun mit dem Gehirn zu tun haben soll. Und das eben ganz abgesehen davon, dass ein Psychiater von Haus aus für „die Psyche“, also für Seele und Gemüt, zuständig ist, und man sich aussuchen kann, ob es nur fragwürdig oder schon grob fahrlässig ist, beides als Produkt von Gehirnfunktionen zu vermuten – und das insgesamt auch noch auf simple Befragungen zurückzuführen.

Ganz anders natürlich bei dem zusätzlich befragten Neurobiologen, der zumindest im Fachbereich Gehirnforschung weitaus glaubwürdiger ist, sich jedoch zu Fragen äußert, die mit seinem Fachbereich herzlich wenig zu tun haben:
So referiert dieser Fachmann über „Schmerzzentren“ des Gehirns, sie würden „nicht nur dann reagieren, wenn wir physisch, körperlich bedroht werden, sondern auch dann, wenn wir sozial ausgegrenzt werden, wenn wir gedemütigt werden, wenn man uns den Respekt verweigert“. Das hat ungefähr die gleiche Qualität, als ob ein Orthopäde erklärt, warum jemand für Malerei völlig untalentiert ist und sich als Linkshänder sozial ausgegrenzt fühlt.

Und das: im „Kulturflaggschiff“ des Ersten Deutschen Fernsehens, einem Sender mit gebührenfinanziertem Bildungsauftrag. Aber warum eigentlich nicht. Es gab Zeiten, da wurden sehr ernsthaft Schädel per Hand vermessen und über den Daumen gepeilt kartografiert, um daran charakterliche Eigenschaften festzumachen. Heute lacht man darüber.
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