Dienstag, 11. Februar 2014

durchschnittlich genial

Wie ein Spitzenkoch letztens erklärte, sind Jungköche, die bei ihm in die Lehre gehen, durchgehend überrascht vom Geschmack einer „echten“ Sauce Hollandaise – weil durchgehend alle nur den Durchschnittsgeschmack der Fertigsaucen kennen. Der Sieg des Durchschnitts über das Geniale. 

Nach längerer Zeit bin ich kürzlich mal wieder auf Rüdiger Gamm gestoßen. Der Mann ist seit mehreren Jahren als „Superhirn“ und „Gedächtnisgenie“ bekannt und vollführt enorme, vornehmlich mathematische Leistungen, über die Otto Normalmensch nur staunen kann.

Gern gestellt wird dabei die Frage „Wie macht er das nur?“. Nicht verwunderlich, dass Rüdiger Gamm zwischenzeitlich so bereits zum Forschungsobjekt von Hirnforschern wurde. Im Zeitalter von Computertomographie und Magnetenzephalogrammen muss das Geheimnis schließlich irgendwo in seinem Gehirn verborgen liegen. Wo sonst.

Der Savantforscher Prof. Allan Snyder wiederum ist der Ansicht „Genius Is In Everyone“ – potenziell hat jeder von uns das Zeug zum Genie. Mit anderen Worten: Höchstleistungen erfordern keineswegs ein außergewöhnliches „Superhirn“, sondern sind jedem von uns, mit unserem ganz gewöhnlichen, konventionellen Alltagsgehirn möglich. Wir nutzen diese Möglichkeiten einfach nicht.

Ich teile diese Auffassung. Ich würde jedoch zu der umgekehrten Frage anregen. Nämlich nicht danach, was jemanden zu einem „Superhirn“ macht, oder wie jeder von uns ein Genie werden kann. Sondern ich würde erst einmal fragen, was eigentlich den massenhaften Durchschnitt ausmacht und warum. Was außer(-)gewöhnlich ist, bemisst sich schließlich am Gewöhnlichen, und eine über(-)durchschnittliche Leistung verdankt ihre nackte Existenz dem Durchschnitt.

Über ein paar gedankliche Streifzüge gelangt man zu der etwas unpopulären Erkenntnis, dass unser Bildungssystem, von der Schulbildung über „PISA“, Fortbildung und Weiterbildung bis zur „Bildungsoffensive“ keineswegs darauf ausgerichtet ist, außergewöhnliche Genies zu produzieren - sondern Durchschnitt. Der Durchschnitt, durchschnittliche Fähigkeiten und durchschnittliche Leistungen sind als Maßstab gesetzt, den es zu erfüllen gilt; festgelegt in Lehrplänen, überprüft in Lernzielkontrollen, nachhaltig zementiert durch Förder- und Bildungsmaßnahmen aller Art.

Für den Nichterfüllungsfall, für den Fall des Unterdurchschnittlichen, hat man jede Menge Präventions- und Gegenmaßnahmen erfunden – für diejenigen, die das Potenzial zum Genie haben, hat man… gar nichts. Besser als „sehr gut“ im Erfüllen der Durchschnittsanforderung kann man eben nicht sein. Den Betroffenen steht schließlich ohnehin eine glänzende Karriere bevor. Oder mehrere Psychotherapien, weil die Symptome der notorischen Unterforderung fehlgedeutet werden.

Andererseits: Wo kämen wir auch hin, wenn wir nur noch Genies hätten? Wenn es von Außer(-)gewöhnlichen nur so wimmelt, wenn es keine breite Masse des Gewöhnlichen mehr gäbe?
Wir hätten keine „Mittelschicht“ mehr, die gern als „Fundament der Stabilität“ in Wirtschaft und Demokratie betrachtet wird: Irgendwo schwebend zwischen der Aussicht „nach oben“ zu kommen und der Angst vor einem „sozialen Abstieg“.
Wir hätten keinen Massengeschmack mehr und keine Massenproduktion für einen Massenbedarf, weder für Mode und Lebensmittel, noch für Medikamente und Therapien, keinen gewöhnlichen Maßstab mehr für Plattenverkäufe und Pop-Charts, Buchverkäufe und Bestseller, Kinofilme und „Kassenschlager“, für Einschaltquoten, und für das, was ein „Star“ ist, überhaupt: ein „Erfolg“.

Nein: Die breite Masse des Durchschnitts ist dringend erforderlich, ansonsten würden mehrere Welten zusammenbrechen. Gut, dass das jemand erfunden hat. Das muss ein Genie gewesen sein.

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