Mittwoch, 6. April 2016

ahnungslos gestört

Kürzlich war in irgendeinem Nebenkanal eine Folge der Sendung „Faszination Wissen“ zu bestaunen, in der dem Zuschauer durchgehend erklärt wurde, was man über das Reizthema „ADHS“ so alles nicht weiß. Doch das ist vielleicht gar nicht einmal so paradox, wie es zunächst klingt.

Es gibt hyperaktive Kinder, die ein Aufmerksamkeitsdefizit haben. Oder umgekehrt. Für diese Beobachtung hat man eine passende Krankheit erfunden, die „ADHS“ genannt wird, mitsamt dazugehörigen Diagnosen und Therapieansätzen. So machen sich Pharmakonzerne Kunden und Therapeuten machen sich Patienten.

Dummerweise auf Kosten wehrloser Kinder und hilfloser Eltern. Die Kinder sind durch eine solche Diagnose als „gestört“ gebrandmarkt, die Eltern gleich mit dazu, noch abgesehen von fast unvermeidlichen Selbstvorwürfen und etlichen Sorgen.

In einer Folge der Sendung „Faszination Wissen“ wurde allerdings auch sehr schön das Zweifelhafte angesprochen. Irgendwelche Ursachen für „ADHS“ nämlich, also Krankheitsursachen, sind mindestens blanke Spekulation.

Zum Beispiel die Idee, es müsse sich um „fehlgeschaltete Gene“ handeln. Eine bloße Vermutung, mit der dennoch fachlich argumentiert wird: „Wir können schon – ohne jemals ein Gen untersucht zu haben – sagen, es müssen Gene sein, die dafür verantwortlich sind“, spricht ein Prof. Dr. Marcel Romanos, Kinder- und Jugendpsychiater an der Uni Würzburg. Das ist mal echt wissenschaftlich.

So hieß es in der Sendung: „Falsch geschaltete Gene verhindern, dass Botenstoffe in ausreichender Menge erzeugt werden. Weil die fehlen, werden Signale in Nervenzellen nicht richtig übertragen. Die Folge: Eine Funktionsstörung im Gehirn“. Aha. So lässt sich neben der Genforschung ganz elegant auch wieder einmal die Hirnforschung in dem Geschwafel unterbringen. Es liegt schließlich beides voll im Trend, ganz gleich, worum es geht.

Jedoch, so in der Sendung weiter: „Ein großes Problem aber gibt es: Bis heute hat man die Gene, die ADHS verursachen sollen, nicht gefunden. Auch die angenommene Störung im Gehirn ist bis heute nicht bewiesen. Schon seit Jahren suchen Hirnforscher nach Beweisen“.

Kurz gesagt: Man weiß nichts. Man vermutet Ursachen, die man nicht findet. Man vermutet Zusammenhänge, die man nicht nachweisen kann. Aber trotzig besteht man darauf, dass „ADHS“ als Krankheit existiert. Basta. Wozu haben wir sonst die Diagnosemethoden und Therapieverfahren entwickelt.

Und dann kam Prof. Dr. Kerstin Konrad zu Wort, Neuropsychologin an der RWTH Aachen, und berichtet, dass Gehirnregionen, die für die Impulskontrollen zuständig seien, bei „ADHS“-Betroffenen nicht richtig arbeiten würden. Doch das sei noch immer kein Beweis für irgendetwas, denn:

 „Das (ein Beweis) ist es in der Regel eher nicht, weil wir ja Patienten untersuchen, die schon erkrankt sind, und wir damit nicht ganz sicher sein können, sehen wir das Ergebnis der Erkrankung oder führt das, was wir sehen, zur Ausbildung der Erkrankung“.

An solchen Stellen fällt mir immer Bazon Brock ein: „Das Wesen von Wissenschaft ist es nicht, Probleme zu lösen, sondern es besteht im Problematisieren selbst“. So eben auch im Falle von „ADHS“. Und hier lässt man es sich nicht entgehen, auch das Leben an sich als Ursache zu vermuten und zum Problem zu machen:

Unter Medizinern ist höchst umstritten, ob eine Stoffwechselstörung im Gehirn „ADHS“ verursacht. Denkbar ist auch das Gegenteil: Dass diese Störung eine Folge davon ist, dass mit „ADHS“-Kindern anders umgegangen wird als mit gesunden Kindern, und sich ihr Gehirn deshalb anders entwickelt“, verlautet es in der Sendung.

Auf Deutsch heißt das: Kinder, denen man die Diagnose „ADHS“ unterstellt, bekommen (wie auch deren Eltern) Probleme, die sie ohne diese Diagnose gar nicht hätten - und das bezeichnen wir dann als „krank“ und als „Störung“. Ein echtes Kunststück. Vielleicht wird die Medizin deshalb gern auch Heil-Kunst genannt.

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