Mittwoch, 8. September 2004

(Wieder-)Aufbau Ost

Die Deutschen vermissen ihre Mauer. Alle? Nein, nicht alle. Aber immerhin wohl so viele, dass es zur Schlagzeile in den Medien reicht. Tatsächlich sind es gerade einmal 20 Prozent, die sich angeblich "die Mauer zurückwünschen". Wie immer, lohnt es sich durchaus, eine solche Meldung nicht einfach nur im Vorbeigehen mit kurzem Kopfnicken oder -schütteln zu konsumieren.
Also: Was genau vernehmen wir eigentlich aus den Medien? Wir erfahren, dass eine Umfrage durchgeführt wurde. Das Ergebnis dieser Umfrage soll sein, dass "jeder fünfte Deutsche den Mauerfall rückgängig machen würde, wobei jedoch die Meinungen in Ost- und Westdeutschland deutlich auseinander gehen". Wir erfahren, dass "etwa jeder vierte Westdeutsche und jeder achte Ostdeutsche den Mauerfall rückgängig machen würde" und "31 Prozent der Ostdeutschen, aber nur neun Prozent der Westdeutschen halten die bisherigen finanziellen Hilfen für den Osten für zu niedrig". Aha.Was sollen uns diese Zahlen nun sagen? Soll hier womöglich der Eindruck erweckt werden, dass "die Ostdeutschen" nun "ihre Mauer" wiederhaben wollen, weil sie der Meinung sind, "zu wenig Geld vom Westen" einzukassieren?Die Gedanken sind frei. Und genau das ist bei dieser (wie bei nahezu sämtlichen veröffentlichten) Umfragen das Problem:
Die Zahlen, die einem vorgesetzt werden, beinhalten den Anschein von "objektiven Daten" - doch das sind sie eben nicht.Und auch der übliche dezente Hinweis darauf, dass es sich um eine angeblich "repräsentative Umfrage" handelt, soll den Anschein erwecken, es handele sich um nichts weiter als "objektiv ermittelte und neutrale Zahlen", deren Bewertung dem Leser/Zuschauer überlassen bleibt. Doch das ist mitnichten so. Eine solche Umfrage ist weder objektiv noch neutral und auch die ermittelten Zahlen sind weder objektiv noch neutral, weil sowohl die Umfrage als auch die Ergebnisse eine Botschaft beinhalten und (unterschwellig) transportieren.
Schauen Sie einfach einmal genau(er) hin. Jeden, der an die Objektivität und Neutralität dieser Umfrage glaubt, fordere ich auf, sich einmal die Frage zu stellen, w-a-r-u-m sie wohl überhaupt durchgeführt wurde. Nein. Mitnichten ist diese Umfrage durchgeführt worden, damit unsere Politiker die Stimmung "der Deutschen" erfahren. Vielmehr erfahren unsere Politiker die Ergebnisse dieser Umfrage aus den Medien. So, wie alle anderen Bürger auch. Der Punkt ist: W-i-r sollen erfahren, welche und wieviele Deutschen sich "die Mauer zurückwünschen". Warum sollen wir das erfahren? Was soll Otto Normalverbraucher mit dieser Information anfangen? Am Schreibtisch? Am Fließband? In der U- Bahn? Am Stammtisch(!)?
Der Grund, w-a-r-u-m diese Umfrage durchgeführt wurde, und dass w-i-r (alle) die Ergebnisse erfahren sollten, ist deshalb nicht ganz unbedeutend, weil die Menschen unterschwellig und sehr unauffällig mit einem Gedanken konfrontiert werden, den sie womöglich bis dahin gar nicht hatten. Anders formuliert: In wenigen Wochen ist Deutschland 14 Jahre wiedervereinigt. Es ist ein einziges Deutschland. Es ist de facto kein geteiltes Land mehr. Seit 14 Jahren. Dennoch werden seit 14 Jahren unablässig Monat für Monat die neuesten Arbeitslosenzahlen auch fein säuberlich in "Ost" und "West" getrennt bekannt gegeben. Seit 14 Jahren wird den Menschen Monat für Monat unter die Nase gerieben und werden wir monatlich daran erinnert, dass es eine "Situation im Osten" und eine andere "im Westen" gibt. Wer eine Idee hat, welchen Sinn und Zweck das haben soll, den bitte ich, mir diesen Sinn und Zweck mitzuteilen. Immerhin erfahren wir nicht / sollen wir nicht erfahren, wie sich die Arbeitslosenzahlen im Vergleich von Nord zu Süd oder im Vergleich von NRW zu Bayern darstellen - was sicherlich auch nicht ganz uninteressant wäre.
Dasselbe Phänomen entdecken wir übrigens auch bei dieser Umfrage, bei der (natürlich: "repräsentativ") 1002 Westdeutsche und 1005 Ostdeutsche befragt wurden.Auch hier steckt die Botschaft (unterschwellig) im Detail: Es werden nicht Bayern und Pfälzer und nicht Sachsen und Thüringer, sondern eben Ostdeutsche und Westdeutsche bzw deren Meinungen gegenüber gestellt. Es scheinen eben nicht alle Deutschen gleich zu sein. Wer nun "gleicher" ist, darf man sich frei aussuchen. "Dank" dieser Umfrage(!), ohne die das nicht möglich wäre(!).
Der andere Punkt ist: Uns wird vorenthalten, welche Frage den Menschen überhaupt gestellt wurde. Was genau hat man die Menschen gefragt, als man sie am Telefon aus Heiterem Himmel überraschte? Was hat man die Menschen gefragt? Etwa: "Guten Tag, wir führen eine Umfrage durch. Wünschen Sie sich die Mauer zurück?". Es fehlt eine bedeutende Information in dem Ganzen: Es heißt, dass "jeder fünfte Deutsche den Mauerfall rückgängig machen würde" ... wenn? ... wenn, was? Dieses "Wenn" wird unterschlagen. Es wird schlichtweg unterschlagen, unter welchen Umständen "jeder fünfte Deutsche den Mauerfall rückgängig machen würde". "Jeder fünfte Deutsche würde den Mauerfall rückgängig machen" ... wenn? ... wenn, was? Wenn er Kanzler wäre? Wenn er nicht bald eine Arbeitsstelle bekommt? Wenn sich das Wetter nicht bessert? Oder etwa: Wenn man ihn am Telefon nach seiner Meinung fragen würde(!)?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen