Mittwoch, 20. Juli 2011

vergesslich (v)erklärt.


Wir haben uns daran gewöhnt, in einer Welt voller Wissenschaftler zu leben. Wissenschaftler, die an den wichtigsten Problemen unserer Zeit herumforschen, die uns mit ihren Studien an den gefundenen Wahrheiten teilhaben lassen, das Rätselhafte erklärbar machen, und uns damit in unsicheren Zeiten ein bisschen mehr Sicherheit geben. Man darf nur nicht weiter nachhaken und keine dummen Fragen stellen.

Wozu brauchen wir eigentlich noch unser Gedächtnis, wenn wir jede Antwort zu jeder Frage jederzeit per Mausklick aus dem Internet holen können, per Google, per Wikipedia oder auch per vegleichsweise neuartiger „Apps“, et cetera? Ein Forscherteam aus den USA hat im Wissenschaftsmagazin „Science“ jetzt eine passende Studie veröffentlicht, die diese Frage angeblich beantwortet. Das Ergebnis von vier Jahren Forschungsarbeit – was womöglich deutlich schneller gegangen wäre, hätten die Forscher einfach im Internet gesucht.

Wie kaum anders zu erwarten, ist durch diese Studie nun endlich erwiesen, was wir alle schon geahnt haben: Wenn alle möglichen Informationen abrufbereit im Internet zur Verfügung stehen, leidet unser Gedächtnis und Erinnerungsvermögen. Wir müssen uns eben nicht mehr sonderlich anstrengen, nichts mehr großartig in Büchern nachschlagen, unser Gehirn verlernt quasi zu lernen.

Eine durchaus interessante Frage wäre jedoch, warum man diese Forschungen eigentlich auf das Internet beschränkt und nicht auch das Fernsehen einbezogen hat? Man dürfte hier schließlich den identischen Effekt haben: Warum nach Ostafrika reisen, um sich über die dortige Dürre und Hungersnot zu informieren, wenn das doch in der „Tagesschau“ innerhalb von zwei Minuten erklärt wird? Oder ist das etwas anderes als dasselbe über das Internet zu erfahren? Und wenn ja: warum?

Oder: weder-noch. Zum Beispiel, weil es ein Unterschied ist, etwas wissen oder lediglich in-Erfahrung-bringen zu wollen oder nur informiert-zu-sein – inkusive dessen, was man überhaupt unter „Lernen“ und „Wissen“ versteht, beziehungsweise welches Verständnis in dieser Studie klammheimlich vorausgesetzt wird? Außerdem: Leben wir denn nicht gerade wegen des Internet in einem „Zeitalter des Wissens“ und einer „Wissensgesellschaft“?

Eine andere Frage wäre, ob nicht vielleicht auch die jeweilige Bedeutung eine Rolle spielen könnte? Es macht schließlich einen gewaltigen Unterschied, ob man etwas wissen möchte, um die Frage eines Gewinnspiels zu beantworten, oder ob eventuell die gesamte berufliche Zukunft davon abhängt.
Fragen über Fragen, die eine Studie aufwirft, die eigentlich eine Antwort geben soll. Das wiederum wirft die Frage nach der Relevanz auf, nämlich wer dafür eigentlich verantwortlich ist, nämlich Frau Betsy Sparrow, eine Psychologieprofessorin an der US-amerikanischen Columbia University.

So wird das Ganze erheblich fragwürdig bei dem Hintergrund, dass sich die Psychologie von Haus aus mit der Seele und dem Gemüt beschäftigt – was mit Gedächtnisleistung und Erinnerungsvermögen allenfalls am Rande zu tun hat. Das ist ungefähr so, als ob ein Stauforscher eine Studie über den Verschleiß verschiedener Autoreifen erarbeitet, daraus Rückschlüsse auf den Benzinverbrauch zieht, und dadurch nachweist, warum in Holland so viele Fahrräder gestohlen werden.
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