Nun gut. Wir
befinden uns mitten im medialen Sommerloch. Im Normalfall wäre zum jetzigen
Zeitpunkt noch das Thema „Fußball-WM“ in aller Munde. So jedoch befinden wir
uns Dank eines Fußballers nun in einer sommerlichen „Rassismus“- und
„Integrationsdebatte“, dummerweise: bis es keiner mehr hören kann.
Das
Regionalfernsehen des WDR schickte kürzlich ein Reporterteam zu einer
Grundschule, in der man sich verstärkt um Kinder mit so genanntem
„Migrationshintergrund“ kümmern muss. In diesem Fall übernimmt das eine
Lehrerin, die selbst einen solchen hat. Das wäre im Prinzip mindestens höchst
sinnvoll.
Thematischer Aufhänger:
Der Fußballer Mesut Özil, der sich stets beharrlich weigerte, bei Länderspielen
die obligatorische Nationalhymne mitzusingen: Dazu meinte diese Lehrerin, auch sie
selbst würde den Text der Hymne nicht kennen – schon deshalb nicht, weil sie in
ihrem alltäglichen Leben keine Rolle spiele.
Das stimmt
natürlich. Nur die wenigsten Bürger singen nach dem Frühstück oder vor der
Nachtruhe erst einmal die Nationalhymne. Mit erhöhter Wahrscheinlichkeit trifft
das allerdings auch auf die meisten Österreicher, Franzosen und Dänen zu. So
könnte man auch fragen, was der aktuelle „Top10“-Hit, den jeder Zweite auswendig
mitträllert, mit dem Alltag zu tun hat.
Sportliche (Groß-)Ereignisse
sind eben nicht der Alltag. Zu solchen Anlässen kann das gemeinsame
Hymnensingen durchaus eine ebensolche Gemeinsamkeit vermitteln, wie u.a. das
Tragen von Nationaltrikots. Es kann eine Gelegenheit sein, um Gemeinsamkeit zu
demonstrieren. Und Gemeinsamkeit ist doch eigentllich auch das, worum es bei
diesem Thema geht(?).
Gelinde
gesagt etwas „unfair“ jedoch, dass diese Lehrerin den ihr anvertrauten unschuldigen
Kindern ein Video präsentierte. Die Fußballnationalmannschaft vor einem Spiel
im Jahr 1974, und es sang doch tatsächlich nachweislich kein einziger Spieler
die Nationalhymne mit. Der Versuch eines „Siehste“-Effekts mit unterschwelligem
Verweis auf die Kritik am sanglosen Özil.
Ein
Vergleich, der jedoch schlimmer hinkt als ein Fußballer nach einem Foul. Damals
nämlich wirkte immer noch der Zweite Weltkrieg nach. Das Singen der Hymne galt
als nationalistisch-ungehörig. Für die Nationalkicker eingeführt hatte das im
Jahr 1984 der damals neue Teamchef Franz Beckenbauer. Übrigens unter dem Aspekt
des Teamgedankens, der Gemeinsamkeit.
Und dann kamen
noch die guten, alten „deutschen Werte“ zur Sprache. So fragte die Lehrerin rhetorisch,
ob sie denn nur eine gute Deutsche sei, wenn sie den Hymnentext kenne. Es sei
doch viel wichtiger, die deutschen Werte zu teilen. Warum das wichtiger ist,
blieb dagegen ungeklärt. Ebenso, was das nun in Bezug auf diesen Fußballer
Mesut Özil bedeutet.
Özil nämlich ließ
sich bekannterweise fragwürdig mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan
ablichten, der einen mutmaßlich diktatorischen Hang zur Staatsführung hat,
menschenrechtlich äußerst bedenklich. Und wenn Herr Özil selbst nicht
erklärungsbereit ist, wie man das verstehen soll, muss er sich nicht wundern,
wenn seine Wertvorstellungen ersatzweise von anderen interpretiert werden.
Die „deutschen
Werte“. Ich kann nichts dafür, aber mir fällt seit Kurzem dazu immer spontan
dieses alte Zechengelände in Nordrhein-Westfalen ein, das im Rahmen des
Strukturwandels eine neue Bestimmung bekommen sollte. Da gab es heftigste
Auseinandersetzungen zwischen Bürgern, die ein Kulturzentrum haben wollten, und
den anderen, die lieber ein Einkaufszentrum („Spaßmeile“) hätten.
Die „deutschen
Werte“. Schon bei der Frage „Kultur oder Shopping“ driften die deutschen Wertvorstellungen
offenkundig ziemlich auseinander. Und ein Immigrant ist dann integriert, wenn
er die Werte teilt, über die sich „die Deutschen“ selbst nicht einig sind, und
aus reinen Kompromissgründen gezwungen sind, sie staatsbürgerlich mitzuvertreten.
Die „deutschen
Werte“ schwanken schon regionalbedingt bedenklich zwischen Trachten, Sauerkraut
und Schützenverein einerseits, sowie allem möglichen anderen, etwa Schlabberlook,
Currywurst und Kegelklub andererseits. Erfolgreiche Integration ist davon abhängig,
wo ein Immigrant zufällig landet.