Mittwoch, 1. August 2018

hymnisch vermengt

Nun gut. Wir befinden uns mitten im medialen Sommerloch. Im Normalfall wäre zum jetzigen Zeitpunkt noch das Thema „Fußball-WM“ in aller Munde. So jedoch befinden wir uns Dank eines Fußballers nun in einer sommerlichen „Rassismus“- und „Integrationsdebatte“, dummerweise: bis es keiner mehr hören kann.

Das Regionalfernsehen des WDR schickte kürzlich ein Reporterteam zu einer Grundschule, in der man sich verstärkt um Kinder mit so genanntem „Migrationshintergrund“ kümmern muss. In diesem Fall übernimmt das eine Lehrerin, die selbst einen solchen hat. Das wäre im Prinzip mindestens höchst sinnvoll.

Thematischer Aufhänger: Der Fußballer Mesut Özil, der sich stets beharrlich weigerte, bei Länderspielen die obligatorische Nationalhymne mitzusingen: Dazu meinte diese Lehrerin, auch sie selbst würde den Text der Hymne nicht kennen – schon deshalb nicht, weil sie in ihrem alltäglichen Leben keine Rolle spiele.

Das stimmt natürlich. Nur die wenigsten Bürger singen nach dem Frühstück oder vor der Nachtruhe erst einmal die Nationalhymne. Mit erhöhter Wahrscheinlichkeit trifft das allerdings auch auf die meisten Österreicher, Franzosen und Dänen zu. So könnte man auch fragen, was der aktuelle „Top10“-Hit, den jeder Zweite auswendig mitträllert, mit dem Alltag zu tun hat.

Sportliche (Groß-)Ereignisse sind eben nicht der Alltag. Zu solchen Anlässen kann das gemeinsame Hymnensingen durchaus eine ebensolche Gemeinsamkeit vermitteln, wie u.a. das Tragen von Nationaltrikots. Es kann eine Gelegenheit sein, um Gemeinsamkeit zu demonstrieren. Und Gemeinsamkeit ist doch eigentllich auch das, worum es bei diesem Thema geht(?).

Gelinde gesagt etwas „unfair“ jedoch, dass diese Lehrerin den ihr anvertrauten unschuldigen Kindern ein Video präsentierte. Die Fußballnationalmannschaft vor einem Spiel im Jahr 1974, und es sang doch tatsächlich nachweislich kein einziger Spieler die Nationalhymne mit. Der Versuch eines „Siehste“-Effekts mit unterschwelligem Verweis auf die Kritik am sanglosen Özil.

Ein Vergleich, der jedoch schlimmer hinkt als ein Fußballer nach einem Foul. Damals nämlich wirkte immer noch der Zweite Weltkrieg nach. Das Singen der Hymne galt als nationalistisch-ungehörig. Für die Nationalkicker eingeführt hatte das im Jahr 1984 der damals neue Teamchef Franz Beckenbauer. Übrigens unter dem Aspekt des Teamgedankens, der Gemeinsamkeit.

Und dann kamen noch die guten, alten „deutschen Werte“ zur Sprache. So fragte die Lehrerin rhetorisch, ob sie denn nur eine gute Deutsche sei, wenn sie den Hymnentext kenne. Es sei doch viel wichtiger, die deutschen Werte zu teilen. Warum das wichtiger ist, blieb dagegen ungeklärt. Ebenso, was das nun in Bezug auf diesen Fußballer Mesut Özil bedeutet.

Özil nämlich ließ sich bekannterweise fragwürdig mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan ablichten, der einen mutmaßlich diktatorischen Hang zur Staatsführung hat, menschenrechtlich äußerst bedenklich. Und wenn Herr Özil selbst nicht erklärungsbereit ist, wie man das verstehen soll, muss er sich nicht wundern, wenn seine Wertvorstellungen ersatzweise von anderen interpretiert werden.

Die „deutschen Werte“. Ich kann nichts dafür, aber mir fällt seit Kurzem dazu immer spontan dieses alte Zechengelände in Nordrhein-Westfalen ein, das im Rahmen des Strukturwandels eine neue Bestimmung bekommen sollte. Da gab es heftigste Auseinandersetzungen zwischen Bürgern, die ein Kulturzentrum haben wollten, und den anderen, die lieber ein Einkaufszentrum („Spaßmeile“) hätten.

Die „deutschen Werte“. Schon bei der Frage „Kultur oder Shopping“ driften die deutschen Wertvorstellungen offenkundig ziemlich auseinander. Und ein Immigrant ist dann integriert, wenn er die Werte teilt, über die sich „die Deutschen“ selbst nicht einig sind, und aus reinen Kompromissgründen gezwungen sind, sie staatsbürgerlich mitzuvertreten.

Die „deutschen Werte“ schwanken schon regionalbedingt bedenklich zwischen Trachten, Sauerkraut und Schützenverein einerseits, sowie allem möglichen anderen, etwa Schlabberlook, Currywurst und Kegelklub andererseits. Erfolgreiche Integration ist davon abhängig, wo ein Immigrant zufällig landet.